Umbesetzung im Vorstand

Technikchef Vishal Sikka kehrt SAP den Rücken

Martin Bayer ist Chefredakteur von COMPUTERWOCHE, CIO und CSO. Spezialgebiet Business-Software: Business Intelligence, Big Data, CRM, ECM und ERP.
Paukenschlag wenige Wochen vor SAPs wichtiger Hausmesse Sapphire: Technikvorstand Vishal Sikka, der die Entwicklung des Hoffnungsträgers HANA maßgeblich geprägt hatte, verlässt den Softwarekonzern. Der überraschende Abschied im Vorfeld des Rückzugs von Co-CEO Jim Hagemann Snabe in den Aufsichtsrat wirft Fragen auf, wie der neue starke Mann Bill McDermott die künftige SAP-Strategie ausrichten wird.

Der überraschende Rücktritt von SAPs Technikchef Vishal Sikka hat Diskussionen angefacht, welchen strategischen Weg der größte deutsche Softwarehersteller einschlagen wird. Wieder einmal steht der Konzern vor einem Wendepunkt. Nachdem es dem Führungs-Duo Bill McDermott und Jim Hagemann Snabe in den zurückliegenden Jahren gelungen war, den durch die ungeschickte Erhöhung der Wartungsgebühren angerichteten Vertrauensverlust ihres Vorgängers Leo Apotheker wieder gutzumachen und gemeinsam mit ihrem technischen Visionär Vishal Sikka eine langfristige Produktstrategie gerade für wichtige Themen wie Cloud Computing und Big Data auf den Weg zu bringen, steht das erfolgreiche Trio nun vor der Auflösung.

Der Vordenker und Technikchef Vishal Sikka kehrt dem Konzern den Rücken.
Der Vordenker und Technikchef Vishal Sikka kehrt dem Konzern den Rücken.
Foto: SAP

Bereits Mitte vergangenen Jahres hatte Co-CEO Snabe bekanntgegeben, sich nach der Hauptversammlung am 21. Mai dieses Jahres aus dem operativen Geschäft zurückziehen und danach für einen Posten im SAP-Aufsichtsrat kandidieren zu wollen. Nun hat auch SAPs technischer Vordenker Sikka seinen Rücktritt bekannt gegeben. Begründet wurde dieser Schritt in einer offiziellen Verlautbarung seitens SAP mit persönlichen Gründen. SAPs Mitbegründer und heutiger Aufsichtsratschef Hasso Plattner würdigte den "entscheidenden Beitrag", den Sikka zur Entwicklung der eigenen Cloud- und HANA-Plattform geleistet habe. Plattner bedankte sich auch persönlich dafür: "Unsere Freundschaft wird auch in Zukunft bestehen bleiben", betonte er.

Hasso Plattners Schützling geht

Sikka galt als ein besonderer Schützling Plattners und wurde von vielen Marktbeobachtern als Wegbereiter für SAPs Hoffnungsträger, der In-Memory-Datenbank-Plattform HANA gesehen. Nachdem Snabe, der im Führungs-Duo den Part für Technik und Produkte verantwortete, seinen Rückzug angekündigt hatte, übernahm Technikvorstand Sikka einen Großteil von dessen Aufgaben. Bei Analysten galt der Inder als möglicher zweiter Mann neben McDermott.

Ab Mai 2014 wird Bill McDermott den Konzern als alleiniger CEO lenken
Ab Mai 2014 wird Bill McDermott den Konzern als alleiniger CEO lenken
Foto: SAP

Doch das ist nun Vergangenheit. Der starke Mann bei SAP ist der US-amerikanische Marketing- und Vertriebsspezialist Bill McDermott. Inwieweit Reibereien und Unstimmigkeiten über die Strategie und Ausrichtung von SAP mit ein Grund für die Demission Sikkas gewesen sind, bleibt indes Spekulation. SAP wollte entsprechende Vermutungen nicht kommentieren. Auch rund um Snabes Rückzug hatte es bereits Gerüchte über mögliche Unstimmigkeiten im engsten Führungszirkel gegeben.

Aus Sicht von Forrester-Analyst Stefan Ried ist das Timing von Sikkas Abschied einen Monat vor SAPs Hausmesse Sapphire allerdings durchaus pikant. Gerade auf diesen Großveranstaltungen werde die Strategie der Softwerker aus dem Badischen festgeklopft. Vielleicht sei man sich in der Chefetage nicht einig gewesen, was man Anfang Juni in Orlando, Florida, seinen Kunden und der Öffentlichkeit präsentieren sollte, mutmaßt der Experte.

2015 - das Jahr der Wahrheit

Doch gerade angesichts der gravierenden Veränderungen im Geschäftsmodell - vor allem hinsichtlich Cloud-Computing und der Entwicklung der HANA-Plattform - sowie der selbst gesteckten Ziele, kommt der richtigen strategischen Ausrichtung eine existenzielle Bedeutung zu. Schließlich steht mit 2015 das Jahr der Wahrheit an. Und die Ziele sind ehrgeizig - teilweise offenbar zu ehrgeizig. Erst Anfang des Jahres hatte die SAP-Führung ihr Margenziel verschoben. Ursprünglich sollte bereits im kommenden Jahr eine operative Marge von 35 Prozent zu Buche stehen. Dieses Ziel werde man jedoch erst 2017 erreichen, räumten die SAP-Verantwortlichen ein. Es habe noch kein Unternehmen gegeben, welches den Schritt in die Cloud gegangen wäre, ohne zwischenzeitlich bei Umsatz und Gewinn zurückzustecken, kommentierte damals Co-SAP-Chef Snabe.

An den anderen Zielen hielt der Konzern dagegen fest: Für 2015 erwarten die Walldorfer einen Jahresumsatz von 20 Milliarden Euro, 2017 sollen es 22 Milliarden Euro sein - zum Vergleich: 2013 beliefen sich die Einnahmen auf 16,8 Milliarden Euro. Um diese Ziele zu erreichen wird sich SAP jedoch steigern müssen. Nachdem man für das laufende Jahr seine Prognose für das Umsatzwachstum auf sechs bis acht Prozent zurechtgestutzt hatte, braucht SAP im kommenden Jahr ein zweistelliges Plus, um seine ambitionierte Messlatte nicht zu reißen. Bei den Cloud-Umsätzen peilt der Konzern für 2015 zwei Milliarden Euro an, das wären zehn Prozent vom Gesamtumsatz. Im vergangenen Jahr standen unter diesem Posten knapp 700 Millionen Euro zu Buche.

Vielleicht habe man bei SAP die Geduld verloren, vermutet IDC-Analyst Philip Carter. Wie der Rückzieher beim Margenziel gezeigt habe, stehe der Konzern unter Druck - von verschiedenen Seiten. Einerseits forderten Börse und Anleger mehr Wachstum und bessere Profitabilität, andererseits stehe mit dem Schwenk in Richtung Cloud ein massiver Umbau des gesamten Geschäftsmodells an. Beides lasse sich nur schwer unter einen Hut bringen.

Die HANA-Plattform bezeichnet Carter als wichtigen Meilenstein für SAP. Allerdings gebe es an dieser Stelle noch viel Erklärungsbedarf. Schließlich habe die Entwicklung in den vergangenen Jahren eine rasante Metamorphose von einem Analytics-Werkzeug über eine In-Memory-Datenbank zu einer Applikationsplattform hingelegt. In diesem Zusammenhang wollen die Kunden keine Visionen hören, wie das System in zehn Jahren aussehen wird - so wie es Sikka auf den vergangenen SAP-Hausmessen präsentiert hat, moniert der IDC-Analyst. Die Anwender wollten vielmehr wissen, wie sie die Plattform heute einsetzen können und vor allem was es ihnen bringt. "SAP muss die Dinge erklären und vereinfachen", lautet Carters Fazit.

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