Telekommunikation und Informationsverarbeitung wachsen zusammen

20.03.1998

MÜNCHEN: Historisch gewachsen, bilden die Telekommunikation und die Informationsverarbeitung zwei voneinander getrennte Infrastrukturen. Im Bestreben, die Effizienz von Geschäftsprozessen zu erhöhen und gleichzeitig die Kosten für Upgrade, Pflege und Wartung dieser heterogenen Strukturen zu senken, arbeitet die Industrie mit Hochdruck an einer Vereinigung beider Welten.Der Weg zur Realisierung dieses Vorhabens ist steinig. Nicht nur Interessenskonflikte zwischen beiden Lagern, auch die weltweit sehr unterschiedliche Infrastruktur im Telekommunikationsbereich stehen einer schnellen Verschmelzung entgegen. Dennoch: Obwohl eine gemeinsame Basis noch nicht zu erkennen ist, arbeiten beide Lager konsequent an CTI-Anwendungen (Computer Telephony Integration). Während die Telekommunikationsanbieter den Fokus ihrer Aktivitäten auf computergesteuerte Kommunikationsanlagen, wie zum Beispiel Call Center legen, arbeitet die Computerbranche derzeit an leistungsfähigen Spracherkennungssystemen.

Horizontale Lösungen, basierend auf TK-Anlagen mit proprietärer Hard- und Software, dominieren heute den Markt. Das Fehlen standardisierter, offener Systemarchitekturen hemmt die Entwicklung vertikaler Anwendungen. Nach Ansicht der Experten könnte die ISDN-Schnittstelle auf der Telekommunikationsseite und das Internet auf Seite der Datentechnik zu den bestimmenden Faktoren einer zukünftigen Verschmelzung werden.

Über das Endziel von CTI besteht nach Ansicht von Dr. Günter Wenzel, Leiter der Entwicklung Private Netze der Bosch Telekom GmbH, trotz unterschiedlicher Denkansätze ein breiter Konsens: "Die Wunschvorstellung der Kommunikations-Avantgarde ist ein weltweiter Informations-Highway unbegrenzter Bandbreite auf der Grundlage von ATM oder IP (Internet Protocol). Drahtgebunden oder über Funk wäre es von jedem Ort der Welt aus möglich, sich in dieses Netz der Netze einzuklinken und mittels multifunktionaler Endgeräte in Wort und Bild zu kommunizieren und Daten auszutauschen. Dazu stehen in diesem Szenario weltweit bereits Server-Farmen bereit, von denen bei Bedarf die jeweils aktuelle Version der Applikationen in Form von Java-Applets heruntergeladen wird. So kann der Anwender dann auf Daten zugreifen, Dokumente bearbeiten und Nachrichten beliebiger Form austauschen. Auch die Sprachkommunikation ist als "Voice-over-IP-Datenstrom" in dieses Netz integriert."

Es gibt gute Gründe, konsequent an einer Integration von Telekommunikation und Informationstechnik zu arbeiten. Die derzeit vorherrschenden getrennten Infrastrukturen belasten im Geschäftsleben Unternehmen mit erheblichen Kosten. Da sind auf der einen Seite die hohen Gebühren für Zugänge an öffentliche Netze, auf der anderen Seite die Kosten für das Infrastruktur-Management wie beispielsweise Upgrade, Pflege und Wartung der heterogenen Systeme. Darüber hinaus führen, nach den Worten von Wenzel, redundante Daten und Abläufe, Medienbrüche und die geringe Durchgängigkeit von Geschäftsprozessen zu hohem Mehraufwand und langen Durchlaufzeiten.

Doch nicht nur Kostengründe forcieren die Entwicklung von CTI-Lösungen. Auch der Trend zu verstärkter Dienstleistungs- und Kundenorientierung trägt einen großen Anteil. Unter dem Stichwort "Customer Care" faßt Horst Plieske, Marketing Manager für Call-Center-Lösungen bei NCR in Augsburg, die Notwendigkeit von CTI zusammen. "Im Geschäftsleben geht es heute verstärkt darum, jeden Kundenkontakt mit bestmöglichem Service- und Qualitätsbewußtsein innerhalb kürzester Zeit wirtschaftlich abzuwickeln. Nur so können Wettbewerbsvorteile erarbeitet und gesichert werden."

Verbesserung der Kundenkommunikation steht im Mittelpunkt

Horst Rödiger vom Berliner Unternehmen DeTeWe erwartet mit der Entwicklung von CTI grundlegende Änderungen im Geschäftsleben. "Der effektive Umgang mit Informationen, ihre optimale Nutzung und Verteilung entscheiden mit über den Geschäftserfolg", glaubt er zu wissen.

Seiner Ansicht nach ist im heutigen Geschäftsleben der Kunde keine Rechengröße oder abstrakte Zielperson mehr, er ist der höchstpersönliche Angelpunkt jeden Geschäfts. "CTI bedeutet, kurz gesagt, die Zusammenführung zweier weit verbreiteter Basistechnologien zum Zwecke besserer Kundenpflege. Mit CTI lassen sich Unternehmensprozesse optimieren und überdies betriebswirtschaftlich wesentlich effizienter gestalten."

Anwendungsgebiete sieht Rödiger dort, wo regelmäßig und in großer Zahl Telefonate geführt und die zugehörigen Daten in der EDV verwaltet werden. Als Beispiel nennt er Telesales-Abteilungen. Durch den Wegfall von Wähl- und Wartezeiten läßt sich die Zahl der stündlich durch einen Mitarbeiter geführten Gespräche verdoppeln, teilweise sogar verdreifachen. Ein weiteres klassisches Einsatzgebiet für CTI sind Managementsysteme für kommende Anrufe, sogenannte Call Center. Ohne Personalaufstockung kann, laut Rödiger, die Erreichbarkeit einer Bestellannahme oder einer Hotline durch den sinnvollen Einsatz von CTI deutlich gesteigert werden. Wichtig ist seiner Erfahrung nach, daß die jeweilige CTI-Anwendung organisatorisch und technisch optimal in die Unternehmensstruktur eingepaßt ist. Nur so kann die notwendige Akzeptanz durch die Mitarbeiter sichergestellt werden.

CTI-Markt boomt

Die Marktforscher sind sich einig: Der CTI-Markt boomt. Die Analysten von Datamonitor prognostizieren dem Marktsegment Call Center bis zum Jahr 2001 ein Wachstum von nicht weniger als 227 Prozent! Nach ihren Umfrageergebnissen richten die Anbieter ihr Augenmerk insbesondere auf Deutschland, das beim Einsatz von CTI-Lösungen eine Vorreiterrolle einnehmen wird. Ausschlaggebend dafür ist nach Meinung der Branchenkenner die bestehende ISDN-Infrastruktur.

Der aktuelle Stand von 445.000 in Europa installierten CTI-Einheiten wird laut Datamonitor bis zum Jahr 2000 auf 12,5 Millionen Einheiten hochschnellen. 29 Prozent der im Jahr 2000 verkauften CTI-Einheiten werden bei deutschen Unternehmen installiert sein. Mit großem Abstand folgen Großbritannien mit 18 Prozent, Italien mit 17 Prozent und Frankreich mit 16 Prozent.

Daß sich die Ergebnisse der Marktforscher in der Praxis belegen lassen, zeigt ein Blick auf die Umsatzzahlen des amerikanischen Unternehmens Genesys Telecommunications Laboratories Inc., einem der weltweit führenden Anbieter von CTI-Softwarelösungen.

Um 146 Prozent stiegen die Umsatzzahlen im letzten Quartal 97. Auch der zukünftig hohen Bedeutung des deutschen Marktes trägt

das Unternehmen Rechnung. Am 1. Februar eröffnete Genesys sein erstes Büro in München. (sd)

Per Mausklick zu telefonieren ist eine der einfachen CTI-Anwendungen.

Nach der Kopplung von Unterhaltungselektronik und Computerindustrie durch CD und DVD, arbeiten die Entwickler jetzt verstärkt an der Kopplung von Computer- und Telekommunikationstechnik. Das Internet und neuartige CTI-Anwendungen sind Synonyme dafür.

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