TOP DE: Abschreibung im Medizinsektor dürfte Siemens Rekordgewinn kosten

08.07.2010
MÜNCHEN (Dow Jones)--Angetrieben vom Aufschwung im kurzzyklischen Geschäft strebt der Siemens-Konzern beim operativen Ergebnis 2009/10 einem Rekordjahr entgegen, beim Nettogewinn lässt eine mögliche Milliardenabschreibung in der Medizintechnik die Chancen auf einen Rekord hingegen stark schrumpfen. Denn der in den Jahren 2006 und 2007 zusammengekauften Medizin-Division Diagnostik steht nach Einschätzung mehrerer Analysten eine Wertberichtigung des Goodwills um mindestens 1 Mrd EUR bevor.

MÜNCHEN (Dow Jones)--Angetrieben vom Aufschwung im kurzzyklischen Geschäft strebt der Siemens-Konzern beim operativen Ergebnis 2009/10 einem Rekordjahr entgegen, beim Nettogewinn lässt eine mögliche Milliardenabschreibung in der Medizintechnik die Chancen auf einen Rekord hingegen stark schrumpfen. Denn der in den Jahren 2006 und 2007 zusammengekauften Medizin-Division Diagnostik steht nach Einschätzung mehrerer Analysten eine Wertberichtigung des Goodwills um mindestens 1 Mrd EUR bevor.

Zum Ende des Geschäftsjahres droht der Division eine Abschreibung des Goodwills in Höhe von 1 Mrd EUR, wie die Analysten von Merck Finck & Co in Ihrer jüngsten Siemens-Studie schreiben. LBBW-Analyst Michael Busse rechnet mit einer Abschreibung von 1 Mrd bis 1,5 Mrd EUR. "Die Abschreibung auf den Diagnostik-Goodwill wird höchstwahrscheinlich im Schlussquartal kommen", sagte Busse am Donnerstag zu Dow Jones Newswires.

Siemens-Finanzvorstand Joe Kaeser hatte jüngst auf einer Analystenveranstaltung des DAX-Konzerns erläutert, alle Geschäftsbereiche mit einem bedeutenden Goodwill würden regelmäßig überprüft. Eine konkrete Ankündigung wollte Kaeser zwar nicht machen, doch müsse man "die Realität anerkennen", sagte der Finanzvorstand. "Die Zahlen sind, wie sie sind". Und nach Kaesers Geschmack sind sie noch nicht, das machte er klar. Siemens müsse sich stärker anstrengen, mehr medizinische Instrumente in den Markt zu bringen. Denn der Verkauf der Instrumente zieht für Siemens margenstarken Service und den Verkauf von Reagenzien nach sich. In der Diagnostik-Division machen Service und Reagenzien mehr als 85% des Umsatzes aus.

Beim Wachstum, das für die Berechnung des Goodwills im Zuge einer Übernahme wichtig ist, schwächelt der DAX-Konzern. "Siemens schneidet in der Diagnostik nicht dramatisch schlechter als der Gesamtmarkt ab, aber man liegt doch leicht unter dem Wachstum des Gesamtmarkts", sagt Analyst Busse. Er hält daher eine Korrektur des Divisionswerts für angemessen.

Zuletzt war der Technologiekonzern beim Umsatzwachstum deutlich hinter seinen Zielen zurückgeblieben. Geplant haben die Münchener für die ersten fünf Jahre ihrer Diagnostik-Division jährlich 5% Umsatzzuwachs. In der ersten Hälfte des Geschäftsjahres 2009/10, das am 30. September 2010 endet, kam Siemens hier aber kein Stück voran, auch der Auftragseingang stagnierte. Die Marge der Diagnostik erreichte dabei 13,7% und lag damit klar unter dem internen Margenziel von 16% bis 19%.

Da der ehemalige Vorstandsvorsitzende Klaus Kleinfeld den Siemens-Konzern voll auf Megatrends wie den Demographischen Wandel ausgerichtet hat, wurde der Medizinsektor entsprechend üppig ausgebaut. 2006 kaufte Siemens für rund 4,2 Mrd EUR die Labordiagnostik von Bayer, im selben Jahr kam das US-Unternehmen Diagnostic Products (DPC) für etwa 1,5 Mrd EUR ins Portfolio. Ende 2007 kaufte der Mischkonzern für knapp 5 Mrd EUR Dade Behring. Gesamtvolumen: Fast 11 Mrd EUR.

"Dass Dade Behring zu teuer eingekauft wurde, war augenfällig", sagt Michael Bahlmann, Analyst bei M. M. Warburg. Die Übernahme des US-Konzerns erfolgte nahezu zeitgleich mit dem Verkauf von Siemens VDO, der damals 5,5 Mrd EUR Gewinn einbrachte. "Da hat man den hohen Preis, der für VDO erzielt wurde, mit vollen Händen wieder ausgegeben", sagt der Analyst.

Siemens strebt im laufenden Geschäftsjahr einem operativen Ergebnis seiner drei Sektoren Industrie, Energie und Medizintechnik von mehr als 7,5 Mrd EUR entgegen - das wäre Rekord für die Münchener. Laut Analyst Bahlmann könnte aber trotz operativem Spitzenergebnis beim Nettogewinn der Rekord verfehlt werden, wenn Siemens auf die Diagnostik 1 Mrd EUR oder mehr abschreiben muss.

Dennoch sieht er die drohende Wertberichtigung nicht als dramatisch an: "Eine Abschreibung auf den Diagnostik-Goodwill würde mir nicht die Tränen in die Augen treiben, denn als die drei Geschäfte gekauft wurden, wurde vermutlich für 80% aller Übernahmen zu viel bezahlt, nicht nur von Siemens", sagt der Marktbeobachter. Eine Abschreibung mache das Geschäft "noch lange nicht zum großen Problemfeld".

Am Ende könnte die Abschreibung Siemens sogar dienlich sein, denn Vorstandsvorsitzender Peter Löscher hat für das kommende Geschäftsjahr eine stärkere Orientierung an der Kapitaleffizienz angekündigt. Damit rückt die Kennziffer ROCE (Return on Capital Employed) stärker ins Blickfeld. Eine Abschreibung im Schlussquartal würde für Siemens beim ROCE des kommenden Jahres vorteilhaft werden, weil es dann weniger eingesetztes Kapital in der Diagnostik hätte. "Siemens verschafft sich damit einen Vorteil beim ROCE und hat das leidige Thema vom Tisch", sagt LBBW-Analyst Busse.

Finanzvorstand Kaeser will nun Michael Reitermann, der die Diagnostik sei Mai führt, noch etwas Zeit geben, um für die Division einen Wachstumsplan zu erarbeiten. 100 Tage ab dem Start als Divisions-Vorstand hat er dafür, Mitte August endet die Frist. Siemens sei bewusst, dass der Konzern in der Diagnostik "einen enormen Goodwill" in den Büchern hat, erklärte Kaeser den Analysten. "Und ein signifikanter Teil dieses Goodwills bezieht seine Berechtigung aus dem künftigen Wachstum der Division", sagte Kaeser.

Webseite: www.siemens.com -Von Matthias Karpstein, Dow Jones Newswires, +49 89 55214030, matthias.karpstein@dowjones.com DJG/mak/jhe

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