Trauriger Rekord: 100 Prozent mehr Pleiten in der IT-Branche

06.02.2003
Die Zahl der Insolvenzen in Deutschland hat im vergangenen Jahr laut Creditreform eine neue Rekordmarke erreicht.37.700 Unternehmen stellten einen Insolvenzantrag. Trauriger Spitzenreiter ist dabei die Computerbranche. Hier lag derPleitenzuwachs bei mehr als 100 Prozent. Die Prognosen sind düster: 2003 soll es noch schlimmer werden.

Der einzig sichere Job in Deutschland ist derzeit der des Insolvenzverwalters, denn die "Branche" boomt: 2002 verzeichnete der Verband der Vereine Creditreform bei den Pleiten eine Steigerung von 66,4 Prozent. 82.400 Unternehmen und Privatpersonen meldeten im vergangenen Jahr die Zahlungsunfähigkeit - 2001 waren es 49.510.

Größter Zuwachs bei Verbraucherverfahren

Den größten Zuwachs verzeichnen dabei die so genannten Verbraucherinsolvenzverfahren. Der Name täuscht: Es handelt sich keinesfalls ausschließlich um Privatpersonen. Nach der jüngsten Gesetzesänderung fallen auch kleinere Unternehmen unter die "Verbraucher"-Kategorie. So finden sich in der Unterrubrik "sonstige Insolvenzen" beispielsweise Gesellschafter eines zahlungsunfähigen Unternehmens oder Selbstständige. Hier stieg die Zahl der Pleiten von 3.630 im Jahre 2001 auf erschreckende 21.800 Fälle in 2002.

Die großen Firmen machen etwa 45 Prozent der Insolvenzen aus: 2002 mussten rund 37.000 Betriebe den Gang zum Insolvenzgericht antreten, 2001 waren es 32.390, was eine Steigerung von 16,4 Prozent bedeutet. Die meisten von ihnen "erwischte" es in der ersten Jahreshälfte. Zu den spektakulärsten Pleiten zählten Unternehmen wie Deutschlands älteste und bekannteste Fotokette, die Photo Porst AG, die 16 Monate zuvor von Pixelnet übernommen worden war.

Nach Branchen geordnet, hat es 2002 den Handel besonders hart getroffen: Die Zahl der betroffenen Betriebe stieg hier um 32,3 Prozent auf 8.800, 2001 waren es 6.600. Noch einmal kräftig zugelegt haben auch die Pleiten der Dienstleister, die mit einem Anteil von 43,2 Prozent ohnehin den Löwenteil stellen. 2002 waren 16.300 von ihnen zahlungsunfähig, damit kommen auf 10.000 Dienstleistungsfirmen 110 Pleiten. Als Folge der New-Economy-Krise sind hier zudem in hohem Maße Medien, Werbetreibende und IT-Unternehmen betroffen. Nach Berechnungen der Hermes Kreditversicherungs AG liegt der Zuwachs der Insolvenzen in der Computerbranche sogar bei dramatischen 103 Prozent.

Naturgemäß sind auch die Schäden, die in Deutschland durch Insolvenzen verursacht wurden, 2002 deutlich angestiegen: Laut Creditreform lag die Schadenssumme bei 38,3 Milliarden Euro und damit fast 20 Prozent über dem Vorjahr. Für diesen Zuwachs sind nach Meinung der Experten allerdings vor allem die Großinsolvenzen - von Holzmann bis Kirch - verantwortlich. Betriebe, die in guten Zeiten noch über 50 Millionen Euro Umsatz erwirtschaftet haben, waren 2002 in Westdeutschland mit 210 und in Ostdeutschland mit rund 20 Insolvenzfällen vertreten. Im Vorjahr waren es 157 beziehungsweise 13 Unternehmen. Gleich geblieben ist regionsübergreifend hingegen der Anteil der mittelständischen Unternehmen, die wegen der Pleite eines Kunden Forderungsverluste erlitten haben: Mit 51,9 Prozent in 2002 lag man knapp unter dem Niveau des Vorjahres.

Alter schützt vor Pleite nicht

Bei Betrachtung der Fälle nach Unternehmensalter zeigt sich, dass auch alteingesessene Firmen keinesfalls vor einer Insolvenz sicher sind. So machen Betriebe, die seit mehr als zehn Jahren bestanden, im Westen einen Anteil von 32,5 Prozent, in den neuen Bundesländern 24,8 Prozent der Fälle aus. Eine weitere kritische Phase liegt offenbar im Unternehmensalter zwischen drei und vier Jahren: Diese Firmen machen in der gesamten Bundesrepublik 19 bis 20 Prozent der Fälle aus. Nach Meinung von Creditreform stehen die Firmen in diesem Alter an einer Wachstumsschwelle, die mit steigenden Anforderungen an die Anzahl und die Qualifikation der Mitarbeiter zusammenhängt und an der offenbar viele Unternehmer scheitern.

Bei den Beschäftigtenzahlen insolventer Unternehmen gleichen sich Ost und West an: So liegt der Anteil der betroffenen Firmen mit bis zu fünf Angestellten im Osten mittlerweile bei 62 Prozent, im Westen bei 64,5. Ebenso hat sich der Anteil von Unternehmensliquidationen in der Beschäftigtenklasse 11 bis 20 Mitarbeiter im Osten von 17,1 auf 11,6 Prozent dem Westniveau von 10,1 Prozent angeglichen. Betriebe mit mehr als 100 Beschäftigten machen mit deutschlandweit 1,6 Prozent nur einen geringen Anteil der Insolvenzen aus.

Parallel zu den steigenden Insolvenzverfahren erhöhte sich 2002 die Anzahl der Arbeitsplatzverluste um 17,3 Prozent. So lag die Zahl der Gesamtarbeitsplätze der insolventen Unternehmen 2002 bei rund 590.000.

Besserung ist nicht in Sicht, im Gegenteil, denn die Eigenkapitaldecke der Unternehmen wird immer dünner: 41,2 Prozent der Mittelständler sind laut aktueller Befragung der Creditreform-Konjunkturforschung "unterkapitalisiert" (Vorjahr: 39,6 Prozent). Lediglich 16,6 Prozent verfügen demnach noch über eine solide Kapitaldecke von mehr als 30 Prozent (im Verhältnis zur Bilanzsumme).

Die Einschätzung der mittelständischen Unternehmen zu ihrer künftigen Ertragslage fiel bei der Befragung denn auch deutlich schlechter aus als vor einem Jahr: Im vergangenen Herbst 2001 sprach noch knapp ein Drittel von steigenden Erträgen, derzeit liegt die Zahl der Optimisten nur noch bei 15,5 Prozent. Fast die Hälfte rechnet hingegen mit einem Abwärtstrend.

Für die Zukunft malen die Creditreform-Experten denn auch eindüsteres Bild. "Die Konjunktur in Deutschland kommt nicht über den Berg", so die Befürchtung. Die Talfahrt, die im Herbst 2000 begonnen hat, dauere weiterhin an, da ist man sich mit den Kollegen von Hermes einig. "Der massive Zuwachs der Insolvenzzahlen in Westeuropa setzt sich unvermindert fort", lautet hier die düstere Prognose. 2003 müsse man in Deutschland gar mit einer weiteren Zunahme um etwa 13 Prozent rechnen.

Besonders der Mittelstand leidet unter Basel II

Als Gefahrenpunkt rückt vor allem die Finanzierungsproblematik der kleinen und mittleren Unternehmen verstärkt ins Blickfeld. Die Effekte der geplanten Eigenkapitalrichtlinien für Kreditinstitute ("Basel II") werfen ihre Schatten voraus: Die stärkere Bonitätsausrichtung der Geschäftsbanken dürfte die Kreditkonditionen tendenziell weiter zu Lasten der mittelständischen Wirtschaft verschlechtern. Mit Kreditvergaben halten sich die Banken wegen der aktuellen Konjunkturschwäche ohnehin zurück, was die Liquiditätsproblematik der Betriebe weiter verschärft. Gerade die IT-Händlerschaft läuft Gefahr, in einen Teufelskreis zu geraten. Wegen unwilliger Banker greift man beim kurzfristigen Finanzierungsbedarf verstärkt auf Lieferantenkredite zurück. Und die werden zunehmend durch eine schlechte Zahlungsmoral gefährdet.

So ist es nicht weiter verwunderlich, dass Hermes für 2003 mit einer Pleite von rund 44.000 Unternehmen rechnet. Die dazugehörigen Forderungen würden sich dann auf rund 50 Milliarden Euro summieren. "Damit wäre wiederum ein neuer historischer Insolvenzrekord erreicht", so die Experten. Die Zahl der jährlichen Insolvenzen hätte sich von 1991 bis 2003 damit nahezu verfünffacht.

www.creditreform.de,

www.hermes-kredit.com

Computerpartner-Meinung:

Der Anstieg der Gesamtinsolvenzen ist zwar dramatisch, doch so düster, wie man anhand dieser Zahlen glauben könnte, ist die Lage sicher nicht. Denn vor allem der Zuwachs der Verbraucherinsolvenzen ist Folge der gesetzlichen Neuerungen, die es nun auch Personen ermöglicht, Restschuldbefreiung zu erlangen und nach sechs Jahren schuldenfrei zu sein. Eine Entspannung ist trotzdem nicht in Sicht: Während die Zahl der Insolvenzen steigt, sinkt die der Neugründungen. Unterm Strich kommt also auf jeden Fall ein unerfreuliches Minus herraus. (mf)

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