Trends im Management: Neue Aufgaben für den Management-Bereich Ver

03.06.1998

MÜNCHEN: Beschäftigt man sich mit Verkauf und Zukunft, so ist erstaunlich, daß sich fast die gesamte innovative Literatur um den Verkäufer dreht. Schlagworte sind zum Beispiel: "Die neuen Anforderungen an den Verkäufer", "Der Verkäufer als Botschafter des Unternehmens", "Die Eigenschaften des Verkäufers der Zukunft", "Weg von den klassischen Verkaufstechniken", "Kundennähe besiegt Marketing" oder "Abschied vom Einzelkämpfer". Ein Trendbericht von Angelika Hamann* und Johann J. Huber*.Aber auch für die Vertriebsmanager ändert sich einiges. Die Führungskraft im Vertrieb der Zukunft kann nicht länger per Funktion Kommunikator zwischen Top und Down, Verstärker des Unternehmens-Willens und Anwalt seiner Mitarbeiter sein und sich als doppelseitiger Prellbock verstehen, der Züge aus zwei Richtungen permanent abfedern muß. Natürlich wird es notwendig sein, Spannungen und Konflikte bis zu einem gewissen Grad auszuhalten. Ganzheitliches, systemisches Management setzt aber ein konkretes Umdenken und Umorganisieren in der Führungsarbeit voraus.

Herz und Kopf für die Zukunft

Zu wissen, welche Trends im Management-Bereich im Verkauf zu beachten sind, bedeutet, sich erst einmal damit auseinanderzusetzen, was ist denn das, was in Zukunft zu managen ist. Wie und in welcher Weise verändern sich die Anforderungen an alle Mitarbeiter im Vertrieb, und nicht nur an die Verkäufer vor Ort?

Ziel eines jeden Unternehmens muß es sein, im Wettbewerb die Nase vorn zu haben. Das bedeutet, daß bewußt gestaltetes Lernen notwendig zum Tagesgeschäft gehören wird. Der oberste Management-Trend muß also sein, den gesamten Verkaufs-/Vertriebsbereich zum permanenten Lernen zu bringen. Nur so kann sich auch der gesamte Vertriebs-Bereich verändern und entwickeln. Das bedeutet: Manager im Vertrieb müssen Personalentwickler werden. Es geht nicht an, bloß die Struktur zu verändern, zum Beispiel durch formales Abschaffen von Hierarchie-Stufen, durch Umorganisation der Kundenkontakte u.a.m. Das Lernen im Vertrieb findet in den Köpfen und Herzen der Menschen statt, oder gar nicht.

Der Vertrieb als lernende Organisation

Es muß eine Organisation geschaffen werden, die klar auf den Markt, auf die Kundenbedürfnisse ausgerichtet ist und die permanenten Lernprozesse aller ihrer Mitarbeiter aktiv fordert und fördert, um sich dadurch selbst fortlaufend zu entwickeln. Ziele flott zu formulieren und forsch vorzugeben, Strukturen und Abläufe schnell zu verändern, wird die Einstellung und das Verhalten der Mitarbeiter nicht ändern. Das erfordert Zeit, Geduld und ein hohes Maß an Frustrationstoleranz. Es ist also verständlich, daß sich so viele Führungskräfte mit dieser Aufgabe nicht identifizieren wollen. Veränderte Märkte und Wettbewerbsbedingungen erfordern nun einmal neue Marktbearbeitungsstrategien. Die Veränderungen durch den PC sind noch gar nichts gegenüber dem, was in den nächsten zehn Jahren bevorsteht. Sobald der Electronic-Highway Realität wird, werden sich Berufsbild und Arbeitsumfeld des klassischen Verkäufers noch grundlegender ändern.

Bill Gates spricht davon, daß Dienste und Leistungen ortsunabhängig angeboten werden. Unternehmensstrukturen und Organisationsformen müssen sich ändern. Der Außendienst, der einzelne Verkäufer, das Kommunikations- und Medienverhalten von Kunden werden sich angesichts der technischen Entwicklung total verändern. Das bedeutet für das Management im Vertrieb, sich diesem veränderten Umfeld anzupassen. Die Führungskraft im Vertrieb muß den Lernprozeß aller im Vertrieb fördern und sich gleichzeitig selbst wandeln. Das Handeln muß konkrete Ziele verfolgen: Die unmittelbare Lösung anstehender Probleme und das Lernen aus diesen Problemlösungsprozessen.

Erst dann kann man von einem lernenden Unternehmen im Vertrieb sprechen, eine absolute Notwendigkeit, um überhaupt zu überleben. Manche Unternehmen haben bereits den Aufbruch geschafft. Aber auf der anderen Seite bestehen viele Probleme: Viele Unternehmen blockieren das Lernpotential ihrer Mitarbeiter und damit die überlebensnotwendigen Lernprozesse durch lineare Konzepte und Strategiepapiere mit meist standardisiertem Markt-Know-how, das sie von namhaften Beratergruppen zum Teil teuer einkaufen. Fertige Konzepte mit klingenden Namen aber können die tatsächlichen Aufgaben nicht lösen.

Voraussetzungen für ein lernendes Unternehmen

Als erstes ist eine Vertrauenskultur notwendig: Traue ich meinen Mitarbeitern überhaupt das Lernpotential zu? Warum frage ich meine Mitarbeiter nicht? Sie wissen häufig am besten, wo der "Hase im Pfeffer" liegt.

Heute kommt dem Verkäufer eine Schlüsselrolle zu, um ein lernendes Unternehmen im Vertrieb zu schaffen. Er ist der Grenzgänger zwischen Unternehmen und Markt. Auf der anderen Seite fühlt sich aber der Großteil der Verkäufer wie "arme Lastenesel". Alle Bereiche des Unternehmens glauben, ihn "beglücken" zu müssen mit immer neuen Strategien, Konzepten und Forderungen, die der Außendienst im Markt durchsetzen soll. Aber solange nicht das Management eine klare Vorstellung vom lernenden Unternehmen hat und für das gesamte Unternehmen als Leitbild auch klar formuliert, kann auch der erste Schritt zu diesem Ziel nicht gegangen werden.

Lernprozesse für eine erfolgreiche Zukunft

Informationssysteme im Unternehmen dürfen nicht nur zur "Automatisierung" der Informationsbe- und verarbeitung eingesetzt werden, sondern auch zur Information der Mitarbeiter. Diese können dann alle relevanten Informationen abrufen, aktuelle Entwicklungen hinterfragen und Auskünfte über Normen, Ziele und Aktivitäten der Organisation bekommen. Auch die Kontrollsysteme der Unternehmensleitung, wie zum Beispiel Rechnungswesen, Budgetplanung und Berichterstattung müssen so angelegt sein, daß aus den Folgen von Entscheidungen der Unternehmensführung gelernt werden kann. Natürlich müssen auch die Mitarbeiter und Abteilungen untereinander Informationen über ihre Erwartungen austauschen und die Rückkoppelung von Informationen ermöglichen, um den Lernprozeß zu fördern.

Eine wichtige Voraussetzung ist ein entsprechendes Lernklima, und das Management muß die wichtigste Aufgabe darin sehen, den Mitarbeitern das Lernen und Entwickeln zu erleichtern, durch Zeit, um sich etwas überlegen zu können, Fragen zu stellen, oder Rückmeldungen zu bekommen und zu geben. Dies gilt auch für die Mitglieder der Geschäftsleitung, die zwar tonangebend bleiben, aber ebenso wie alle anderen ihre Lerngewohnheiten zeigen müssen, um Feedback bitten und die eigenen Annahmen und Handlungen in Frage stellen müssen. Nur in einem gesunden Lernklima ist zu spüren, daß alle Menschen dabei sind, etwas Neues zu lernen. Fühungskräfte müssen dafür sorgen, daß aus dem Lernen etwas Normales, ganz Alltägliches wird. Die Aufgabe der Führungskräfte im Vertrieb heißt, für Selbstentwicklungsmöglichkeiten für alle Mitarbeiter im Vertrieb zu sorgen, alle die im weitesten Sinn im Kundenkontakt sind. Das bedeutet, daß nicht nur die "Kämpfer an der Front", die es ja bald nicht mehr geben wird, in Trainings gehen und Lernressourcen benutzen können. Trainingseinrichtungen, Tagungsräume, Tagungstechnik, Material, Unternehmensbibliothek, On-Line-Zugänge zu Computer-Netzen müssen allen zur Verfügung stehen. Und last, but not least ist für den Vertrieb extrem wichtig, über das Unternehmen hinaus die Lernkultur zu erweitern, auf Kunden, Lieferanten und andere Partner, um gemeinsam mit ihnen lernen zu können.

Effiziente Vertriebssitzungen

Auch Vertriebssitzungen dürfen nicht weiter mit "Rennlisten" geführt werden, in denen Schuldige gesucht werden, sondern Führungskräfte und Mitarbeiter müssen in einer flachen Hierarchie zusammenarbeiten. Dabei wird der jeweilige Vertriebsvorstand in die Arbeit integriert. In solchen interdisziplinären Sitzungen wird nach folgenden Prinzipien gearbeitet:

- Welche Erfolge haben wir erzielt?

- Was können wir aus welchem einzelnen Vertriebserfolg lernen?

- Welche Schwierigkeiten behindern zur Zeit unseren Vertriebserfolg?

- Was haben wir alles schon, um selbst, aus eigener Kraft diese Schwierigkeiten beseitigen zu können beziehungsweise trotz dieser Schwierigkeiten so vorzugehen, daß wir unseren Vertriebserfolg steigern?

- Oberste Voraussetzung im Vertrieb ist die Arbeit im Team. Denn: Alle Unternehmensbereiche werden von der rasanten technischen Entwicklung betroffen, wenn nicht überholt.

Der Schwerpunkt der eigentlichen Verkäufertätigkeit wird im Business- und im New-Business-Bereich liegen. Die Verwaltungsarbeiten müssen von den übrigen Teammitgliedern erledigt werden. Mit dem Einzug der Technologie werden viele neue Berufsbilder geschaffen. Der persönliche Kontakt, das "Hände schütteln" zur Begrüßung wird im Verkauf zur Ausnahme werden. Gleichzeitig spricht man aber davon, daß die Kundenbindung, das Beziehungsmanagement, im Vordergrund stehen muß. Klotzige "Hardselling-Methoden" haben sicherlich ausgedient. Es geht darum, langfristige Beziehungen zu Kunden aufzubauen, von der Abschlußorientierung zur Stammkundenentwicklung zu kommen; von der Bezirksbearbeitung zum Segment-Management. Das bedeutet auch, neue Organisationen und Infrastrukturen zu schaffen und Netzwerke zwischen Vertriebs-Innen- und Außendienst herzustellen. Es geht nicht länger an, daß die verschiedenen Segmente im Vertrieb wie Verkaufsförderung, Werbung und Öffentlichkeitsarbeit etc. nebeneinander existieren.

Führungskräfte als Trainer

Veränderungen gab es schon immer. Neu sind heute und in Zukunft die Geschwindigkeit der Veränderungen und die neue Form der Kommunikation. Man denke nur an den Aufruf zum Boykott über Internet! Die Entscheidung, wann und in welcher Form Kunden beraten werden, wird viele Vertriebsleiter und Führungskräfte, die das vernetzte Denken noch nicht gelernt haben, vor unlösbare Probleme stellen. Die Verkäufer müssen mit modernen Medien ausgestattet und zum Selbst-Studium angeregt werden. Der Verkaufsleiter muß am Arbeitsplatz Trainingsaufgaben übernehmen. Das Verkaufstraining der Zukunft wird eine ausgeklügelte Kombination aus Seminar, Selbstlernmedien und Training on the job sein, wobei die Führungskraft als Coach ihrer Mitarbeiter gefordert ist. Führungskräfte im Vertrieb müssen der Lage sein, auch einmal provokative Fragen zu stellen wie

- Was verlieren unsere Kunden, wenn es uns als Unternehmen nicht mehr gibt?

- Was verlieren unsere Kunden, wenn es speziell unseren Bereich nicht mehr geben würde?

- Was verlieren unsere Kunden, wenn es mich, als Verkäufer nicht mehr geben würde?

Das bedeutet aber auch, die bestehenden Handicaps zu beseitigen, nämlich das oft auf Egoismus angelegte Vertriebsführungssystem. Das Ranglistendenken blockiert einen produktiven und offenen Informationsaustausch. Wenn der einzelne Verkäufer nur dafür belohnt wird, wie seine Zahlen sind, entsteht natürlich Egoismus. Effektive Führungskräfte im Vertrieb müssen Anreize schaffen, damit der Austausch von Know-how auch für Spitzenverkäufer interessant wird. Nicht andere Unternehmen kopieren, sondern kapieren! Individuelle Vorgehensweisen kreieren. Johann J. Huber aus dem Trainer-Team der dta empfiehlt dabei, zwei Prozesse parallel laufen zu lassen.

1. Der V-Prozeß ist der Verbesserungsprozeß des Bestehenden. Was können wir in unserer momentanen Vertriebsarbeit noch besser machen?

2. Der Z-Prozeß bedeutet, zukünftige Entwicklungen in der Vertriebsarbeit zu antizipieren. Was wird in Zukunft sein? Wie können wir dafür besser gerüstet sein als unsere Mitbewerber beziehungsweise was können wir pro-aktiv tun, um die Zukunft mitzugestalten?

Der Verkäufermarkt hat sich längst zum Käufermarkt entwickelt. Die Macht der Kunden wird immer stärker. Der Bearbeitungsprozeß am Markt wird durch die Medien immer komplexer. Der Wettbewerb der Produkte wird immer mehr durch den Wettbewerb der Menschen abgelöst. Der Verkäufer muß zwischen Produkten, Zeitgeist und der Kundenpersönlichkeit vermitteln. Er ist immer noch die erste Nahtstelle, der Grenzgänger zum Markt. Die entscheidenden Erfolgskriterien haben sich vom Verkaufsgespräch weg auf die persönliche Beziehungsqualität und die totale Kundenorientierung verlagert. Jedem in einem erfolgreichen Vertriebsteam ist bewußt, daß Kunden nicht nur die externen Kunden sind, sondern daß es im Unternehmen interne Kunden gibt, daß ein ständiges Geben und Nehmen stattfinden muß.

Denn: Jeder Kunde wird in Zukunft jedes neue Angebot sofort mit den Stärken und Schwächen der Wettbewerbs-Angebote vergleichen können, er hat ja die totale Transparenz. Der Verkäufer der Zukunft und sein Team müssen jederzeit die Gründe liefern, warum ihr Angebot gekauft werden soll und - was das für Vorteile gegenüber dem Wettbewerbs-Angebot hat. Wichtig ist, dem Kunden bei einer optimalen Gesamtlösung zu helfen und gleichzeitig bei individuellen Problemlösungen. Dabei müssen die Rollen im Vertrieb genau verteilt werden. Geht es mehr um Stammkundenbetreuung oder um Neukundenakquise? Es kann durchaus sein, daß sich hier die Aufgaben dann entsprechend der einzelnen Persönlichkeiten aufteilen müssen. Effektives Management im Vertrieb bedeutet also eine nach innen und außen gerichtete Kundenorientierung durch

- Lernpartnerschaften, zum Beispiel zwischen Innen- und Außendienst, zwischen Führungskraft und Mitarbeiter.

- Offenheit und kreatives Miteinanderumgehen.

- "Wie-Plan-Meetings", statt "Warum-Sitzungen"

- permanentes Training "On-the-Job" durch die Führungskraft oder Teamkollegen und last, but not least

- Schaffung durchschlagender und erfolgreicher Teams bei den einzelnen Entwicklungsschritten.

Mit John Steinbeck gesprochen, hat die Zukunft bekanntlich schon lange begonnen, bevor man ihr gewachsen ist. Es gibt nun zwei Möglichkeiten: Den "Kopf in den Sand zu stecken" und in Aktionismus verfallen oder aber, mit einer klaren Vision vom lernenden Unternehmen vor Augen, Schritt für Schritt den Weg dorthin verwirklichen. Dabei ist wichtig: Fehler gehören dazu! Und: Es darf sogar Spaß machen!

*Dr. Angelika Hamann (links) ist Geschäftsführerin, Johann J. Huber Verkaufstrainingsspezialist im Trainer-Team der dta-Deutsche Trainer- und Führungskräfte-Akademie Unternehmensberatung BDU Hamburg.

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