Trotz E- und M-Commerce: Der Kunde ist verloren im Preis-Dickicht

11.09.2000
Viele meinen, der elektronische Handel werde zu niedrigeren Preisen führen. Professor Klaus Backhaus* hält dagegen: Wer an diese Prognose glaubt, unterschätzt die Kreativität der Internet-Anbieter.

Ein Schlagwort geistert durch die Lande: E-Commerce. Gemeint ist der elektronisch basierte Geschäftsverkehr. Und kaum haben wir uns mit dem neuen Begriff vertraut gemacht, da wird E-Commerce in der schnelllebigen Welt des Internets schon wieder abgelöst - von M-Commerce. Das ist mobiler E-Commerce, zum Beispiel über das Handy. Die Idee ist faszinierend. An jedem Ort, zu jeder Zeit kann man Transaktionen tätigen. Und jeden Tag tauchen neue Portale und virtuelle Marktplätze auf.

Schaut man allerdings etwas genauer hin, zeigt sich, dass die Schlagworte von E- und M-Commerce eher vir-tueller Art sind: Weniger als ein Prozent des Umsatzes im deutschen Einzelhandel oder knapp zwei Prozent des Umsatzes in den USA werden bislang elektronisch abgewickelt.

Der Handel übers Netz steht ganz am Anfang. Nur verbal sind wir weiter. Manche predigen schon die neuen "Gesetze des E-Commerce". Mehr Transparenz werden wir bekommen - so wird behauptet. Dafür sorgen Firmen wie "guensti ger.de" oder "preiswaechter.de". Sie finden das beste Angebot heraus und verschärfen so den Wettbewerb.

In der Alten Wirtschaft zu aufwendig

Was den Kunden in der Alten Wirtschaft zu aufwendig war, nämlich der standort-übergreifende Produkt- und Preisvergleich, macht das Internet möglich. Ohne große Kosten lässt sich ermitteln, dass das günstigste S-500-Modell von Mercedes bei einem Stuttgarter Händler zu haben ist. In einer Welt optimaler Vergleichbarkeit führt das in den "Gleichgewichts-Endzustand", den die neoklassischen Theoretiker der Mikroökonomie schon immer prognostiziert haben. Um zu überleben - so steht es in den Lehrbüchern -, konkurrieren sich die Anbieter bis auf die Grenzkosten des effizientesten Wettbewerbers herunter. Hier stabilisiert sich der Markt.

Aber keine Sorge. Hier wird die Kreativität der Marktteilnehmer unterschätzt. Unternehmer werden Produktvarianten und Preismodelle entwickeln, die trotz Internet einen Vergleich mit ver- tretbarem Aufwand sinnlos erscheinen lassen. Bei manchen Waren werden wir ein solches Ausmaß an Individualisierung er- reichen, dass keiner mehr die Preise vergleichen will. Wenn sich der Verbraucher zum Beispiel seine CD im Internet selbst zusammenstellen kann, interessiert ihn der Preis einer programmierten CD, bei der der Produzent über den Musik-Mix entscheidet, nicht mehr. Die eine CD ist mit der anderen schlicht nicht vergleichbar.

Telekom-Anbieter haben den Markt fragmentiert

Bei den Produkten, die nur wenig individualisierbar sind, werden neue Preismodelle neue Segmentierungen erzwingen. Betrachten wir die Telekom-Dienstleistungen. Selten wird ein so homogenes Gut angeboten wie das Telefonieren. Das müsste eigentlich zur absoluten Preistransparenz führen. Ist aber falsch.

Die vielen neuen Anbieter wie Mobilcom, Teldafax - oder wie sie alle heißen - haben den Markt durch unterschiedliche Tarife fragmentiert. Die Tarifstrukturen sind nur noch zu durchschauen, wenn man dies als Kernaufgabe seines Lebens betrachtet: Je nachdem, ob man einen Schlips umgebunden hat oder ob man schwarze Schuhe trägt, ist mal der eine, mal der andere Anbieter günstiger.

Natürlich ist das eine Übertreibung. Aber sie macht deutlich, wie findig Anbieter in der Gestaltung von komplexen Preissystemen sind. Und da die Nachfrager wechselnde Bedürfnisse haben - einmal wollen sie Ferngespräche führen, ein anderes Mal Ortsgespräche, manchmal tagsüber, manchmal nachts -, bieten immer wieder andere Unternehmen die günstigs-ten Tarife.

Viele empirische Studien belegen, dass Konsumenten im Dschungel der Telekommunikationsdienste verloren gehen. Sie wählen häufig für sie ungünstige Tarife, weil sich ihr Nutzungsverhalten immer wieder ändert.

Was ist also dran an der Prognose, die Neue Wirtschaft würde eine größere Markttransparenz entfalten? Im Prinzip ist es wie mit den meisten Internet-Prognosen: Sie sind in der Regel falsch. Der Markt wird nicht in die Transparenzfalle tappen. Da können Sie ganz ruhig schlafen.

*Klaus Backhaus ist Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Universität Münster.

Dieser Beitrag erschien zuerst im Managermagazin 10/00.

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