Tut mir leid, keine Zeit ...

10.10.1997
MÜNCHEN: Nur Erfolglose haben Zeit. Manager haben nie Zeit. Klar birgt das Streß und Unruhe, Gedränge und volle Terminkalender. Das ist nun einmal so und läßt sich nicht ändern! Moment einmal: Das läßt sich nicht ändern? Eine satirische Betrachtung von Stefan Rohr*.Eigentlich habe ich gar keine Zeit, diese Geschichte zu schreiben. Und Sie haben erst recht keine Zeit, diese Geschichte zu lesen. An den Verlag wurde das Manuskrupt sowieso in letzter Minute gesendet, so daß der Chefredakteur auch keine Zeit mehr gefunden hat, es inhaltlich zu prüfen. Aber: Auch wenn er dieses noch mit dem letzten Zipfelchen an Zeit geschafft hätte - es wäre keine Zeit mehr geblieben, den Abdruck zu verhindern. Auch wenn dieses kleine Beispiel nur einen Bruchteil dieses galaktischen Problems aufzeigen kann, so wird klar, daß die Zeit eines der knappsten und wertvollsten Güter ist, über die Menschen und auch Manager verfügen können. Das Fatale an der ganzen Sache ist, daß es mit der Zeit so ist wie mit anderen "wertvollen Dingen". Nehmen wir zum Beispiel das liebe Geld: Auch hier ist es so, daß es in Zeiten, in denen wir es am genußbringendsten verwenden könnten, am wenigsten vorhanden ist. Alt und grau geworden, verfügen doch recht viele unserer Mitmenschen (hoffentlich auch Sie und ich) über ausreichende Wohlstandskontingente, doch sicher ist: Im Alter von 24 hätten wir sicher mehr Spaß an einer unbeschwerten Verschwendung finden können.

MÜNCHEN: Nur Erfolglose haben Zeit. Manager haben nie Zeit. Klar birgt das Streß und Unruhe, Gedränge und volle Terminkalender. Das ist nun einmal so und läßt sich nicht ändern! Moment einmal: Das läßt sich nicht ändern? Eine satirische Betrachtung von Stefan Rohr*.Eigentlich habe ich gar keine Zeit, diese Geschichte zu schreiben. Und Sie haben erst recht keine Zeit, diese Geschichte zu lesen. An den Verlag wurde das Manuskrupt sowieso in letzter Minute gesendet, so daß der Chefredakteur auch keine Zeit mehr gefunden hat, es inhaltlich zu prüfen. Aber: Auch wenn er dieses noch mit dem letzten Zipfelchen an Zeit geschafft hätte - es wäre keine Zeit mehr geblieben, den Abdruck zu verhindern. Auch wenn dieses kleine Beispiel nur einen Bruchteil dieses galaktischen Problems aufzeigen kann, so wird klar, daß die Zeit eines der knappsten und wertvollsten Güter ist, über die Menschen und auch Manager verfügen können. Das Fatale an der ganzen Sache ist, daß es mit der Zeit so ist wie mit anderen "wertvollen Dingen". Nehmen wir zum Beispiel das liebe Geld: Auch hier ist es so, daß es in Zeiten, in denen wir es am genußbringendsten verwenden könnten, am wenigsten vorhanden ist. Alt und grau geworden, verfügen doch recht viele unserer Mitmenschen (hoffentlich auch Sie und ich) über ausreichende Wohlstandskontingente, doch sicher ist: Im Alter von 24 hätten wir sicher mehr Spaß an einer unbeschwerten Verschwendung finden können.

So auch mit der Zeit. Nach unserer Pensionierung werden wir alle voraussichtlich - wenn auch der liebe Gott will - viel zu viel von diesem Gut haben. Die liebe Ehefrau ist schon vor Jahren durchgebrannt, die Kinder pflegen nur noch zu Ostern und Weihnachten Kontakt, Freunde und Bekannte haben längst ihre Verbindungen abgebrochen, und Sie sitzen mutterseelenallein auf Ihrem Schaukelstuhl und schauen in den Hinterhof des Altenheimes. Aber der Gedanke an die Tage, in denen Sie über keine Zeit verfügt haben, wird in Ihnen dennoch schauerlich-schöne Erinnerungen hervorrufen. Tja, das war noch was: nie Zeit gehabt, immer voll beschäftigt gewesen, stets mit dem Terminkalender als Lebenskorsett herumgelaufen, eine Sitzung jagte die andere, immer auf dem Sprung, durchgehend fit und voll dabei (bis auf den kleinen Herzinfarkt, drei Tage vor Ihrem 52. Geburtstag, aber der ist mit der Bypassoperation schnell wieder vergessen gewesen) ...

Und heute? Wie bitte? Ihre Sekretärin möchte einen Abstimmungstermin mit Ihnen vereinbaren! Ja, bitte schön, wann sollen Sie das denn noch einplanen. Frühestens in drei Wochen, besser noch zu Weihnachten, da ist immer ein wenig Luft.

Peng! Jetzt habe ich Sie aber erwischt! Gerade haben Sie auf die Uhr gesehen. Stimmt doch. Schon ist Ihnen die kleine Entspannung und Unterbrechung Ihres Alltags lästig geworden. Schlechtes Gewissen? Die wenigen Sekunden haben Sie nervös gemacht? Schauen Sie doch mal über Ihren Schreibtisch. Klar! Da liegen Akten, Briefe, Rechnungen und wer weiß noch was für Routinequatsch. Der nächste Termin liegt Ihnen auch schon im Magen, die Präsentation hierfür ist noch nicht optimal, und das mit den verdammten Blumen zum Geburtstag Ihrer Vertriebsassistentin ist auch noch nicht geregelt. Woher sollen Sie auch nur die Zeit nehmen - bei all den wichtigen Dingen, die Sie so jeden Tag zu wuppen haben.

In Ihrem Heim haben Sie sich gerade ein Telefaxgerät installiert, damit Sie auch jede mehr oder weniger wichtige Sache erreichen kann. Ihr Handy ist durchgehend auf Empfang und bimmelt deshalb auch zu jeder passenden und unpassenden Tageszeit. Jede Sitzung beim Kunden beginnt zunächst mit der Frage, welche Durchwahlnummer der Apparat im Besprechungsraum hat, damit Sie diese gleich an Ihr Vorzimmer weitergeben können. Für alle Fälle versteht sich, man kann ja nie wissen. Auch logisch, daß der notgedrungen und energisch auch gleich nach Ihnen verlangt. Wenn Sie dann in das Hotel kommen, wartet bereits ein Stapel Nachrichten auf Sie und Sie, haben nichts Besseres zu tun, als alle auch gleich beflissentlich abzuarbeiten, denn morgen, da haben Sie doch wieder überhaupt keine Zeit.

Ihr privates Zeitkontingent ist gegen Null geschrumpft. Ehefrau

(noch vor der Scheidung), Kinder, Schwiegereltern und Freunde haben sich gefälligst mit dieser Zwangsjacke abzufinden. Die können das doch. Die haben doch immer Zeit genug.

Peng! Da habe ich Sie zum zweiten Mal erwischt. Nein: Diesmal haben Sie nicht auf die Uhr gesehen. Ich weiß. So leicht lassen Sie sich doch nicht noch einmal ertappen. Nein: Gerade haben Sie gedacht, wie toll das Leben doch wäre, wenn Sie einmal so viel Zeit wie Ihre liebe Ehefrau hätten. Mein Gott, Luxus pur. Morgens lange schlafen, in Ruhe frühstücken, ausführlich mit den besten Freunden telefonieren, mal die bessere Hälfte im Büro anrufen und ein wenig über den neuesten Nachbarschaftsklatsch tratschen, Seifenopern in der Glotze schauen und den Einkauf zu einem lustwandelnden Stadtbummel mutieren lassen, abends frisch und gestärkt, mit vielen bunten Erlebnissen und aufregenden Lebensbereicherungen befruchtet, fit für ein ausgedehntes Abendprogramm zu sein. Mannomann, ein Leben in fröhlicher Beschwingtheit.

Aber Sie selbst: schlafen in der Oper ein, kämpfen täglich gegen ein frühes Zubettgehen an - es könnte Ihnen ja bereits als senile Bettflucht ausgelegt werden - , Fernsehen ist nur dann länger als fünf Minuten im Wachzustand zu erleben, wenn es entsprechend viele Werbepausen gibt, Ihre Kinder kennen Sie meist nur abgehetzt, morgens, mit dem halben Brötchen im Mund, einen Jackettärmel noch runterhängend, schnellen Schrittes in die Garage hetzend und - ohne sich umzuwenden - einen pauschalen Gruß an die Familie raunzend. "Bis heut abend dann ...", gleichwohl wissend, daß Ihre Kinder längst schlafen, wenn Sie nach Hause kommen oder sich vorsorglich in ihre Zimmer verzogen haben. Streß ist nämlich wie eine ansteckende Krankeit. Man bekommt Pickel.

Im Büro angekommen, bleibt Ihnen natürlich keine Zeit für den morgendlichen Begrüßungskaffee. Dieser wird im Stehen angeschlürft und irgendwo zum Kaltwerden abgestellt. Obwohl Sie sich bereits unter der Dusche Ihren heutigen Terminkalender vor Augen geführt haben, ist die erste Tat am Schreibtisch, den Kalender nochmals auf vielleicht übersehene Lücken zu prüfen. Gottseidank: nicht eine einzige Minute Freiraum. Was wäre das auch für ein ungewöhnlicher Tag.

Ihr Flensburger Punktekonto ist prall gefüllt. Logisch: Wer so viel unterwegs ist wie Sie, der sammelt auch viele Punkte. Und überhaupt, wer fährt bei Tempolimit 100 wirklich noch so langsam. Und wer dann noch so wenig Zeit hat wie Sie, na der kann doch nun wirklich etwas schneller. Sie sind doch keine Hausfrau. Und der Rest ist eben Berufsrisiko. Wenn Sie mehr Zeit hätten, würden Sie sich für eine entsprechende Anpassung der Straßenverkehrsordnung engagieren. No Limits for Manager. Autobahnverbot für Rentner, Arbeitslose und Hausmütterchen. Wer etwas erreichen will, der muß auch höchstes Engagement beweisen. Die Zeit auspressen, bis kein Sekündchen unterm Strich übrig bleibt. Das ist Effizienz und zeugt von meisterlichem Managementvermögen. Wer diese Technik nicht vollendet beherrscht, wird nie etwas erreichen. Und wer morgens nach 10:00 Uhr auf der Straße ist, der taugt sowieso nichts.

Zeit, Zeit, Zeit. Vier Buchstaben mit existentieller Bedeutung. Die Philosophen der Welt haben sich damit in allen Jahrhunderten beschäftigt. Die hohe Kunst des Uhrmacherhandwerks hat auf meisterliche Weise Philosophie und Mechanik verbunden. Zeit ist mit noch so viel Reichtum nicht zu erstehen. Jede Sekunde ein unwiederbringlicher Schatz. Nicht vorzuleisten, nicht nachzuholen. Zeit ist das meist geraubte Gut der Welt und ihr Diebstahl wird durch keinen einzigen Paragraphen eines Strafgesetzbuchs geahndet. Zeitraub als Delikt schwebt in einem justizfreien Raum. Ohne Ankläger, Richter und Henker. Kein Polizist wird Ihnen helfen, wenn Ihnen ein lästiger Kunde mit unnützen Schwafeleien eine Viertelstunde stibizt. Keine Kündigung kann damit gerechtfertigt werden, wenn einer Ihre Mitarbeiter eine andere Art der Zeitstrukturierung präferiert. Pausen sind aus Ihrer Sicht nutzlose Zeitverschwendungen und sollten grundsätzlich verboten werden und zu einer fristlosen Kündigung führen.

Aber nein, da wird auf dem Gang geklönt, wird aus dem Fenster geschaut, wird privat telefoniert, mal zu spät gekommen, mal zu früh gegangen, in aller Seelenruhe das Schinkenbrot gegessen, Blumen gegossen, immer mal wieder ein Zigarettchen gepafft und die Bilder von Omis 90. Geburtstag herumgezeigt. Und die Bodenlosigkeit dabei ist, daß diese pathologischen Zeitverschwender sogar noch Urlaub dafür bekommen. Pah! Urlaub vom Zeitvertrödeln. Mein lieber Mann, was für ein Leben. Das möchten Sie doch auch einmal können, was?

Sehn Sie! Nun habe ich Sie das dritte Mal erwischt. Eigentlich kotzt Sie doch die perfide Zeitmaschine, in der Sie leben, selbst am meisten an. Wenn Sie doch nur könnten, wie Sie wollten. Dann wäre alles viel einfacher und leichter zu bewerkstelligen. Woher kommt Ihr innerer Zwang zu dieser Zeitkompression? Mißbrauchen Sie selbst nicht am meisten den auch Ihnen so kostbaren Schatz? Wer hat Ihnen eigentlich ins Ohr geflüstert, daß nur ein solcher ein guter Leistungsträger ist, der niemals Zeit hat? Und was passiert wohl, wenn Sie morgen einmal nicht in die Firma kommen? Sind Sie dann draußen, pleite, arbeitslos? Verwenden Sie doch Ihr Managementtalent einmal darauf, die eigene Zeit und somit sich selbst zu organisieren. Sie werden erstaunt sein: das geht leichter, als Sie denken.

Sagen Sie zu einigen engen Terminen einfach einmal "nein". Sprechen Sie zur Abwechslung einmal in aller Ruhe mit Ihren Mitarbeitern und Kollegen. Atmen Sie künftig erst dreimal durch, bevor Sie sich selbst in die Zwangsjacke eines falschen Zeitmanagements zwängen. Ein wenig mehr mediterrane Mentalität ist an dieser Stelle gar nicht so schlecht, denn die Arbeit auf Ihrem Schreibtisch ist tot, hat kein Eigenleben, bleibt so lange passiv, wie Sie es wünschen oder verantworten können. Sie wird nur durch Sie selbst zum Leben erweckt. Nur Sie bestimmen den Zeitpunkt für das Einhauchen des streßbringenden Lebensodems. Nur bei Ihnen liegt nämlich die Entscheidung, was wichtig oder unwichtig ist, was in Ihr Arbeistleben eintreten darf oder eben nicht.

Und eines ist auch sonnenklar: Alles können nicht einmal Sie gleichzeitig machen. Bereits heute müssen Sie die jeweilige Priorität festlegen, entscheiden, was denn nun wirklich dringend ist und was noch ein wenig Zeitaufschub vertragen kann. Nur an Ihrer Perfektion mangelt es noch.

Und genau das kann man zu einer Geschicklichkeitsübung werden lassen. Ihre Umwelt wird es Ihnen danken. Ihre Familie erscheint in einem neuen Licht, Ihre Kinder werden nicht mehr "Onkel" zu Ihnen sagen, und Ihre Mitarbeiter werden wieder Spaß an der Zusammenarbeit mit Ihnen gewinnen. Sie selbst werden wahrscheinlich zehn bis zwanzig Jahre länger leben, nur noch zehn statt vierzig Zigaretten qualmen, feststellen, daß auch Sie einmal schadlos um 16:00 Uhr nach Hause gehen und wieder einen bereichernden Familien- und Freundeskreis genießen können.

Fangen Sie gleich damit an. Beginnen Sie mit der Vorgabe, nur noch einmal pro Stunde auf die Uhr zu schauen. Für jedes weitere Mal gehen Sie eine Stunde früher nach Hause. Für morgen sagen Sie einfach mal alle Termine ab. Spazieren Sie mit Ihrer Liebsten durch die Stadt. Sie wird sicher fragen, ob etwas Schlimmes passiert ist. Ja, werden Sie sagen, ab heute soll das Leben Spaß bringen. Wie bitte? Das geht nicht! Nur Mut. Ich schwöre Ihnen, das geht.

Stefan Rohr ist geschäftsführender Gesellschafter der r&p management

consulting Hamburg/Düsseldorf/Speyer.

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