Über den Sinn und Unsinn von Planzahlen

18.05.2000
"Planung ersetzt den Zufall durch Irrtum", lautet ein geflügeltes Wort. Soviel Planung wie nötig und so wenig wie möglich, meint der ehemalige Aldi-Geschäftsführer Dieter Brandes* im folgenden Beitrag.

Wir haben gerade erst die vielen Abweichungen von Plan und Ist im laufenden Geschäftsjahr dargestellt und mühsam erklärt. Wir haben Fehler und falsche Annahmen bei der Planerstellung entdeckt und Wichtiges ganz vergessen; abgesehen davon, dass uns die Wirklichkeit dorthin gelaufen ist, wo sie die Planung nicht vermutet hatte. Und jetzt ist also wieder Herbst und damit Zeit, dass wir uns mit der Planung für das nächste Jahr befassen müssen. Dabei tappen wir wieder im Ungewissen und haben auch noch keine Gewissheit, wie denn das laufende Jahr ausgehen mag. Also jonglieren wir mit Planzahlen, entwerfen wir bunte Charts und lassen uns wochenlang durch Planungs- und Budgetsitzungen von unseren Geschäften abhalten.

Natürlich ist Planung im Sinne einer Budgetierung in begrenztem Maße sinnvoll, wenn es beispielsweise darum geht, die Aufsichtsgremien über die Erwartungen für das kommende Geschäftsjahr zu informieren. Doch dafür genügt in der Regel eine Globalplanung von Kosten und Erträgen auf Basis des Vorjahres. Ebenso ist in bestimmtem Umfang nach einzelbetrieblichen Gegebenheiten eine Finanz-, und Liquiditäts- und Personalplanung erforderlich.

Doch wie überflüssig die Planerei sonst ist und wie viel Aufwand vermieden werden kann, zeigt das Unternehmen, das fast alle mit ebenso viel Bewunderung wie Unverständnis bestaunen: Aldi. Dieser wohl erfolgreichste Lebensmittelfilialist der Welt zeigt, wie mit fast vollständigem Verzicht auf Planung und dem damit verbundenen Aufwand ein Umsatzvolumen von über 30 Milliarden Mark erwirtschaft werden kann.

Doch statt sich auf das Wesentliche zu konzentrieren, sich um Kundeninteressen zu kümmern und Geschäfte zu machen, treiben viele den größten Aufwand mit geringstem Nutzen und verlieren sich in fiktiven Zahlenwelten, die sich früher oder später zumeist in Wohlgefallen oder auch in Missfallen auflösen. Bei Aldi wird nur mit sehr wenigen Zahlen gearbeitet, aber mit den entscheidenden, auf die wichtigsten Betriebsabläufe konzentriert. Und dabei werden keine Planzahlen verarbeitet, sondern Ist-Daten, die einfach ermittelt werden können, einfach zu verstehen sind und klare Aussagen ergeben. Bei Aldi wird deutlich, dass erfolgreiche Unternehmensführung keinesfalls die bis zum Exzess geführten Planungsrechnungen braucht.

Ein alltägliches Beispiel aus der Praxis: Ein Vertriebsunternehmen ist in drei Verkaufsgebiete untergliedert. Im Juni ergeben sich die folgenden Abweichungen zum Plan:

Gebiet 1 (650 Kunden) 5,2 Prozent

Gebiet 2 (750 Kunden) 2,1 Prozent

Gebiet 3 (300 Kunden) 6,3 Prozent

Welche Schlüsse sind nun aus diesen Ergebnissen zu ziehen? Hat Gebietsleiter 2 im Juni besser gearbeitet oder hatte er vielleicht den vorsichtigeren Planansatz? Wurden Konjunktur oder Wettbewerb falsch eingeschätzt? Warum gibt es gerade diese Unterschiede?

Bei einem einfachen Ist-/Ist-Vergleich könnte heruntergebrochen werden auf Gruppen und Einzelfälle mit stärkeren Abweichungen zum Vorjahr, zu Vormonaten oder zu vergleichbaren Gruppen oder Fällen. Hier wären mit Sicherheit Erklärungen möglich, weil dann Tatsachen mit Tatsachen verglichen würden.

Welche Ursachen für die Höhe der Planzahlen verantwortlich sind, zeigt folgendes Beispiel: Der Bezirksleiter Meier erntet das Lob seines Verkaufsleiters, weil er seinen künftigen Umsatz "unternehmerisch mutig" hoch angesetzt hat. Weil er dieses Lob erwarten konnte, plante er hoch. Bezirksleiter Müller erntet Kritik, weil er seinen künftigen Umsatz niedrig angesetzt hat. Er wird überredet, ihn zu erhöhen. Auch er hatte bereits seine Erwartungen an das Vorgesetztenverhalten. Beim nächsten Plan-Ist-Vergleich erntet Meier Kritik, weil er seine ehrgeizigen Ziele nicht erreicht hat. Müller dagegen wird gelobt, weil er seine Ziele - trotz seines vorherigen Zuschlags - überschreitet. So oder ähnlich laufen Planungsprozesse in den Unternehmen ab. Oft werden sie mit Riesenaufwand durch Analysen und Prognosen von Stabsabteilungen wissenschaftlich "objektiviert". Müller und Meier haben zum größten Teil die Erwartungshaltungen ihrer Führungskräfte berücksichtigt. Für die Höhe von Planungsansätzen spielen die unterschiedlichsten Erklärungen eine Rolle, aber nur durch Zufall haben diese manchmal etwas mit der Wirklichkeit zu tun.

Interessant wird es dann, wenn mühevoll in Sitzungen - wiederum mit wissenschaftlichen Analysen der Stabsabteilungen - Abweichungserklärungen versucht werden. Die vielen verschiedenen ursächlichen Annahmen sind kaum noch gegenwärtig. Die Gegenwart kann keine Erklärung für einen Planungsfehler geben. Die wichtigste Abweichungsursache liegt in der Planung selbst. Dazu folgende Thesen:

-Planung im Sinne der Budgetierung ist sinnvoll für die Grobinformation von Aufsichtsgremien (Aufsichtsrat, Beirat) über die Erwartungen für das nächste Geschäftsjahr. Eine Globalplanung ist in der Regel ausreichend.

-Planung ist sinnvoll für bestimmte Teilbereiche wie Finanzierung, Liquidität, Investition.

-Planung ist unzweckmäßig als Maßstab für die laufende Kontrolle und Bewertung der Unternehmensergebnisse.

-Planung ist unzweckmäßig zur Erfolgskontrolle betrieblicher Maßnahmen und zur Beurteilung von Mitarbeitern und Abteilungen.

-Der hohe Zeit- und Kostenaufwand für die Planung ist nicht zu rechtfertigen.

-Die Maßnahmen eines ganzen Jahres können nicht in wenigen Wochen in allen Details vorausbedacht werden. Das ist tägliche Arbeit und nicht Aufgabe eines Kraftaktes im Herbst.

-Besser geeignet sind Zahlen der Vorperiode (Vorjahr und -monat) und Vergleichszahlen gleichartiger Abteilungen oder Betriebe. Dort werden Tatsachen mit eindeutig erklärbaren Unterschieden verglichen und nicht unklare und teilweise willkürliche Annahmen mit einer ohnehin nicht immer leicht zu verstehenden Ist-Lage.

-Auf Planungsabteilungen und deren Kosten kann vollständig verzichtet werden. Die verantwortlichen Linien-Manager können mit Unterstützung des Rechnungswesens die wesentlichen Analysen kompetenter als jeder andere erstellen und vor allem sofort operationale Schlussfolgerungen ziehen.

Es gibt hervorragende Unternehmen, die auf derartige Planungen und die Verschwendung kostspieliger Management-Kapazitäten völlig verzichten. Sie sparen Zeit, Geld und sind effizienter. Sie konzentrieren sich auf die machbaren Details mit dem Ziel permanenter Verbesserung. Diese Unternehmen sind - zeitgemäß ausgedrückt - lean. Erich Kästner hat einen guten Rat für alle Budget-Verliebten: "Lasst das Planen, und bessert euch drauflos."

*Auszug aus dem Buch "Konsequent einfach. Die Aldi-Erfolgsstory" von Dieter Brandes.

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