Um das Image des Handels steht es noch immer nicht zum besten

11.07.1997
MÜNCHEN: Händler sind Schurken, vor denen die Verbraucher geschützt werden müssen. Dieses Image stammt noch aus der Antike, schlägt sich aber bis heute in Gesetzen nieder. Provokante Thesen des BWL-Professors Mattmüller.Schon Plato hatte die Händler auf dem Kieker. Der Handel ist ein unwürdiges Treiben für jeden ehrenhaften Mann, befand der altgriechische Philosoph. In seiner idealtypischen Gesellschaftsordnung ordnete er die "akquisitorische Klasse" auf der untersten sozialen Rangstufe ein und forderte genaue Rechtsvorschriften über die Anzahl der Händler. Professor Dr. Roland Mattmüller von der European Business School (EBS) in Oestrich-Winkel kann außer Plato auch andere intellektuelle Vordenker zitieren, die die Händler stets als böse Buben betrachteten. "Die negative Grundeinstellung zieht sich über alle Zeitabschnitte hin - bis in unsere heutige Zeit", weiß der Professor, der an der privaten Hochschule im Rheingau allgemeine Betriebswirtschaftslehre lehrt.

MÜNCHEN: Händler sind Schurken, vor denen die Verbraucher geschützt werden müssen. Dieses Image stammt noch aus der Antike, schlägt sich aber bis heute in Gesetzen nieder. Provokante Thesen des BWL-Professors Mattmüller.Schon Plato hatte die Händler auf dem Kieker. Der Handel ist ein unwürdiges Treiben für jeden ehrenhaften Mann, befand der altgriechische Philosoph. In seiner idealtypischen Gesellschaftsordnung ordnete er die "akquisitorische Klasse" auf der untersten sozialen Rangstufe ein und forderte genaue Rechtsvorschriften über die Anzahl der Händler. Professor Dr. Roland Mattmüller von der European Business School (EBS) in Oestrich-Winkel kann außer Plato auch andere intellektuelle Vordenker zitieren, die die Händler stets als böse Buben betrachteten. "Die negative Grundeinstellung zieht sich über alle Zeitabschnitte hin - bis in unsere heutige Zeit", weiß der Professor, der an der privaten Hochschule im Rheingau allgemeine Betriebswirtschaftslehre lehrt.

In seinem Buch "Marketingstrategien des Handels und staatliche Restriktionen" hat er sich mit den Auswirkungen rechtlicher Einschränkungen auf den Handel auseinandergesetzt - ein Forschungsgebiet, das bisher weitgehend unbearbeitet ist. Mattmüller führt das schlechte Image des Handels darauf zurück, daß die eigentliche Leistung für Außenstehende unsichtbar oder nur schwer zu beurteilen ist. Auch das Einkommen, das ein Händler erzielt, indem er Einkaufspreise verteuert, werde kritisch beäugt. In der Öffentlichkeit gebe es oft weit überzogene Vermutungen über die tatsächliche Höhe der Handelsspanne und der daraus resultierenden Gewinne. Hierin sieht der Professor auch einen der Gründe, warum sich heute noch viele Verbraucher diebisch freuen, wenn sie beim Einkauf den Handel umgehen können, etwa im Fabrikverkauf oder im Schnäppchenmarkt - selbst dann, wenn damit viele Mühen verbunden sind.

Generell, so Mattmüller, besteht gegenüber dem Handel ein Ausbeutungsverdacht - durch Unkenntnis über die Leistung des Handels, die Verteuerung der Güter und überzogene Vorstellungen über die Höhe der Handelsspannen. Das fragwürdige Image des Handels in der Gesellschaft erstreckt sich zwangsläufig auch auf den Staat: "Die gesetz- und verordnungsgebenden Instanzen ließen sich stets von den herrschenden Wertvorstellungen und Vorurteilen der jeweiligen Zeit leiten. Und je mächtiger der Handel ist oder zu sein scheint, desto größer das ihm entgegenschlagende Mißtrauen und desto umfassender auch die staatlichen Versuche, ihn einzugrenzen", meint der Professor.

In früheren Epochen wurde die Zahl der Händler durch das Zunftwesen beschränkt. Mit der Aufhebung des Zunftwesens in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts und der Einführung der Gewerbefreiheit kam es zu einer starken Zunahme der Handelsbetriebe. In Wissenschaft und Gesetzgebung seien dann Überlegungen aufgekommen, für Handelsbetriebe eine Obergrenze festzulegen. Aus der jüngeren Geschichte verweist der Professor auf das 1933 von den Nationalsozialisten erlassene "Gesetz zum Schutze des Einzelhandels". Ziel des Gesetzes war "die Sicherung des Bestandes der mittelständischen Betriebe des Einzelhandels". Mattmüller erkennt darin aber "eindeutig den Charakter einer allgemeinen Zugangssperre zum Einzelhandel".

Die Nazis bekämpften auch die Entwicklung von Warenhäusern, indem der Verkauf von Nahrungs- und Genußmitteln durch non-food-Geschäfte verboten wurde. Mit dem Rabattgesetz von 1933 wollte man den Verbrauchern Schutz geben vor hökernden Händlern.

Die Kernthese des Professors: Auch heute noch hängt dem Handel das negative Image aus vergangenen Zeiten an. Der Staat versucht noch immer, gegen den Handel vorzugehen. Eine Ausnahme ist der mittelständische Betrieb, den er Staat ausdrücklich schützen will. Als Beispiel dafür, wie sich der Gesetzgeber in unternehmerische Entscheidungen des Handels einmischt, führt der Professor die Baunutzungsverordnung an. In dieser Verordnung sind die verschiedenen Nutzungsmöglichkeiten bebaubarer Grundstücke geregelt.

Erstmals 1962 erlassen, hat sie seitdem erhebliche Änderungen erfahren. Der für großflächige Einzelhandelsbetriebe maßgeblich zuständige Paragraph 11 Absatz 3 wurde zunehmend restriktiv ausgelegt. 1962 gab es noch keine Sonderregelung für großflächige Einzelhandelsbetriebe, es galten die üblichen baurechtlichen Auflagen nach den Bebauungsplänen der Gemeinden. 1968 wurden großflächige Betriebe - Einkaufszentren und Verbrauchermärkte - erstmalig berücksichtigt. Sofern sie der "überwiegend übergemeindlichen Versorgung" dienen, sind sie nur noch in Kerngebieten oder Sondergebieten, die die Gemeinde festsetzt, zulässig. Als typische Kerngebiete gelten die Innenstädte oder Stadtteilzentren.

1977 werden auch andere Betriebsformen einbezogen, die zwar nicht mehr ausdrücklich benannt, über eine Flächenklausel aber umschrieben werden. Das Kriterium der übergemeindlichen Versorgung wird aufgegeben. Negative Auswirkungen auf die städtebauliche Entwicklung und Ordnung werden bei Einkaufszentren und großflächigen Einzelhandelsbetrieben mit einer Geschoßfläche von mehr als 1.500 qm2 erwartet. Seit 1986 schließlich sind Einkaufszentren und großflächige Einzelhandelsbetriebe nur noch mit einer Geschoßfläche bis 1.200 qm2 in Kern- und Sondergebieten zulässig. Das entspricht einer Verkaufsfläche bis maximal 700 Quadratmeter. "Für keinen anderen Wirtschaftszweig gibt es eine vergleichbare Beschränkung", beklagt Mattmüller. Sein eigentliches Ziel, den Schutz des Mittelstands, habe der Gesetzgeber mit der Baunutzungsverordnung nicht erreicht. Nach Einschätzung des Professors hat die Verordnung genau das Gegenteil bewirkt. "Der Mittelstand ist zu Tode geschützt worden", stellt er fest.

So habe die Baunutzungsverordnung bei den Unternehmen zu Ausweichstrategien geführt: Die zur Expansion entschlossenen Betriebe hätten sich verstärkt in den baunutzungsrechtlich unbedenklichen Kerngebieten der großen und mittleren Städte angesiedelt. Und mit der Flächenklausel sei die Entwicklung der Fachmärkte geradezu forciert worden. "Gerade für Filialisten und Großunternehmen eine hervorragende Alternative, um ihr unternehmerisches Wachstum trotz der zunehmenden Restriktionen vorantreiben zu können", urteilt Mattmüller und stellt weiter fest: "Bei einer übergeordneten Betrachtung der heutigen Handelsstruktur muß festgestellt werden, daß der Gesetzgeber das Ziel seiner baurechtlichen Restriktionen, die Beschränkung der weiteren Verbreitung der großflächigen Einzelhandelsbetriebe, nur teilweise erreicht hat."

Der Wissenschaftler führt eine Reihe zielkonterkarierender Auswirkungen der Baunutzungsverordnung an. So habe der Zwang für die Großflächenbetreiber, sich verstärkt in Innenstädten oder Stadtteilzentren anzusiedeln, unter den konkurrierenden Großunternehmen zu einem Kampf um die knappen Standorte bei Mieten und Kaufpreisen geführt. Durch gegenseitiges Überbieten seien die Preisniveaus deutlich nach oben getrieben worden. Für viele mittelständische Händler, deren Geschäft sich im Eigentum befindet, sei es wesentlich lukrativer, ihre innerstädtische Immobilie zu vermieten oder zu verkaufen, als darin ein eigenes Geschäft zu betreiben. Andere Mittelständler wiederum können mit den von den Großunternehmen gebotenen Preisen häufig nicht mehr konkurrieren. Ergebnis: Eine zunehmende Verdrängung mittelständischer Händler aus den Innenstädten.

Mattmüller nennt auch noch einen anderen Aspekt: "Dort, wo die Gemeinden die Möglichkeiten der Baunutzungsverordnung gegen ansiedlungswillige Großflächenbetreiber durchgesetzt haben, hat dies quasi zur gesetzlich verbürgten Monopolisierung geführt."

Und mit der Entwicklung der Fachmärkte ist nach dem Urteil des Professors vor allem auch dem Mittelstand zugesetzt worden. "Die Spezialisierung der Sortimente mit den Konsequenzen einer besseren Steuerbarkeit, vor allem aber ihrer attraktiveren Anmutung für den Verbraucher und der von ihm geglaubten Fachkompetenz lassen den vom Großunternehmen betriebenen Fachmarkt zu einer weitaus gefährlicheren Konkurrenz für den ortsansässigen mittelständischen Handel werden als etwa SB-Warenhäuser oder Verbrauchermärkte an nicht integrierten Standorten."

Trotz Baunutzungsverordnung ist die Konzentration im Handel nicht gehemmt worden und der Mittelstand blutete. Für Mattmüller steht deshalb fest: "Ein Gesetz, das sein Ziel nicht erreicht hat, muß abgeschafft werden."

Frauke Doepner Die Autorin ist Redakteurin des Wirtschaftsmagazines "Der Handel" in Frankfurt/M.

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