Umsatzausfall Browser: Netscape sucht sein Heil nun im Lösungsgeschäft

05.08.1998

MÜNCHEN: Rund 30 Prozent des Umsatzes machte die Internet-Company bis dato mit dem Verkauf seiner Browser. Doch diese Einnahmequelle ist nach der Freigabe des Quellcodes endgültig versiegt. Mit Hilfe von VARs will Netscape jetzt seine Serversoftware zu Komplettlösungen veredeln lassen und so verstärkt Fuß im Enterprise-Markt fassen.Mein vorrangiges Ziel für die nächsten sechs bis neun Monate ist es, gute Leute zu rekrutieren legt Klaus Blaschke, frischgebackener Geschäftsführer der Netscape GmbH in Hallbergmoos, seine ersten Pläne offen. Das scheint auch bitter notwendig zu sein. Der Marktanteil der Internet-Company rutschte in Deutschland kontinuierlich nach unten ab. Lag er im vergangenen Jahr noch bei 85 Prozent, pendelt er derzeit nach eigenen Angaben um die 70 Prozent. Die Gründe dafür sind für den neuen Netscape-Obersten schnell gefunden: "Mit unseren derzeitigen Ressourcen sind wir dem Geschäft gar nicht gewachsen."

Einige Netscape-Filialen wurden geschlossen

Doch es gibt noch einen zweiten Grund dafür, neues Personal anzuheuern: Die kalifornische Softwareschmiede will sich einen neuen Anstrich verpassen. Dienstleistung und Serviceangebote sowie der Verkauf von Serversoftware sollen künftig die beiden Tragpfeiler des Unternehmens bilden. Nach dem Wegfall des Browser-Geschäfts, das nach Aussage von Netscape-CEO Jim Barksdale rund 30 Prozent der Umsätze ausmachte, sucht die Firma nach neuen Weidegründen, die herben Verluste des vergangenen Geschäftsjahres (31.12.1997) von etwa 115 Millionen Dollar (Umsatz 533,6 Millionen Dollar) müssen kompensiert werden. Zwar will Barksdale die roten Zahlen auf die hohen Kosten für Übernahmen, Forschungsgelder sowie die Entwicklung neuer Produkte im letzten Jahr zurückführen und spricht in diesem Zusammenhang von einem "einmaligen schlechten Ergebnis", doch auch ihm ist klar, daß die Umsatzquelle namens Browser endgültig versiegt ist. Aber auch der Umsatz von 88,3 Millionen Dollar im letzten Jahresviertel 1997 blieb hinter den Erwartungen zurück. "Es liegt nicht nur an einer Ursache, weshalb im vierten Quartal 1997 der Umsatz nicht den erwarteten Sprung machte. So gab es zum einen Umsatzeinbußen im Client-Markt und ein geringer als erwartetes Anwachsen der Verkäufe und des Supports für Unternehmen", weiß Barksdale zu berichten. Doch auch der Absatz der Serversoftware - allen voran das Produkt SuiteSpot 3.0 - verlief nur schleppend. Verstärkter Preisdruck seitens der Mitbewerber und die nach eigenem Bekunden "längeren Verkaufs- und Lebenszyklen, die eine solche Unternehmenssoftware auszeichnen", werden als Begründung genannt. Marktbeobachter bemängeln allerdings auch die Qualität der Software.

Die Folgen blieben jedenfalls nicht aus: In einigen Netscape-Dependancen wurden die Rolladen heruntergelassen (in Europa war Dänemark betroffen), die Mitarbeiter mußten ihren Hut nehmen. Gut 23 Millionen Mark verschlang diese Aktion, die Netscape unter dem Begriff "Restrukturierung" verstanden wissen will. Jetzt soll alles wieder besser werden.

"-Durch die schnelle und aggressive Fokussierung auf das Unternehmensgeschäft glauben wir, 1998 wieder in die Gewinnzone zurückkehren zu können", so Barksdale.

Das Lösungsgeschäft soll vorangetrieben werden

Welche Größenordnungen dabei konkret angepeilt werden, darüber schweigt sich der Netscape-Chef allerdings aus. Seitenhiebe auf den größten Mitbewerber kann sich Barksdale hingegen nicht verkneifen: "Microsoft hat 13 Jahre gebraucht, um die Umsätze im Enterprise-Sektor zu generieren. Wir haben es in drei Jahren geschafft", tönt der Unternehmenslenker.

Netscapes Ambitionen, sich verstärkt auf den Enterprise-Markt zu konzentrieren, werden auch durch Aktivitäten der hiesigen Dependance sichtbar. So plant Ex-Informix-Manager Blaschke, das Lösungsgeschäft voranzutreiben. Derzeit ist das Unternehmen auf der fieberhaften Suche nach VARs (Value Added Reseller) und Systemhäuser, die - aufbauend auf die Serversoftware - Komplettlösungen entwickeln. Blaschke spricht in diesem Zusammenhang von zwei Projektstufen. "Zuerst gilt es, Unternehmenskunden mit unseren E-Mail- und Messaging-Systemen auszustatten. Aber das ist letztendlich nichts weiteres als die Installation purer Infrastruktur. Hierfür ist auch eine ganz klare Nachfrage zu verzeichnen".

Großkunden werden künftig direkt betreut

Interessant wird es aber erst dann, wenn das Unternehmen diese Kommunikationslösung zu schätzen gelernt hat und sich dann - auf diese Infrastruktur aufbauend - spezielle Lösungen wünscht. Und hier wird es dann für die VARs sehr spannend", erläutert Blaschke gegenüber ComputerPartner. Doch die Pirsch auf geeignete Partner stellt sich als schwieriges Unterfangen dar. "Kleinere VARs haben meist kaum die Kraft, sich ausreichend Know-how aufzubauen und sich zu qualifizieren. Lösungsanbieter mit 30 bis 80 Mitarbeitern scheint mir die geeignete Größe zu sein. Die muß man aber erst einmal für sich gewinnen. Hier kommt Qualität sicherlich vor Quantität", so der Netscape-Mann weiter. Vor allem im Bereich Schulung und Support für seine Partner will Blaschke vom "reinen Paperwork zum Doing" übergehen, aus "Strategien sollen Prozesse abgeleitet werden" - zu deutsch: Die derzeit auf bloßem Papier existierenden Konzepte sollen ihre praxisnahe, gelebte Umsetzung erfahren. Das dürfte die Partner sicherlich erfreuen, ein erster Workshop ist bereits für Mitte Mai angesetzt. Hier soll den Vertriebspartnern und VARs zudem im Detail die neue Unternehmensstrategie vermittelt werden.

Vertrieb bleibt bei Partnern

Mit einem "zeitlichen Versatz" will Blaschke eine Key-Account-Mannschaft auf die Beine stellen. "Deren Aufgabe wird es dann sein, bei den Top 100-Unternehmen in Deutschland vorstellig zu werden und Projekte zu generieren", fügt er ergänzend hinzu und verspricht weiter: "Der Partner ist dabei natürlich immer mit im Boot, einen Direktvertrieb wird es bei uns auch weiterhin nicht geben."

Ob Blaschke diese Ziele innerhalb des nächsten halben Jahres umsetzen kann, macht er aber nicht zuletzt davon abhängig, ob er, wie beabsichtigt, zwischen zehn und 20 neue Mitarbeiter für sich gewinnen kann, die sich dann zum derzeitigen 33köpfigen Personalstamm der Hallbergmoser hinzugesellen. "Das", gibt der Netscape-Chef unumwunden zu, "macht mir derzeit die meisten Sorgen. Der Arbeitsmarkt für Spezialisten wie wir sie brauchen ist wie leergefegt." (cm)

Netscape-Chef Blaschke: "Wir wollen als Partner der Partner auftreten."

Zur Startseite