Unix-Markt 1999

10.07.1999

MÜNCHEN: Das ehrwürdige Unix erfreut sich in Unternehmen erstaunlich robuster Gesundheit. Mit ihm ist kein Staat zu machen, es produziert kaum Schlagzeilen; es läuft. Damit können Hersteller und Händler gut leben. Auch wenn das Mehrplatzsystem einiges an Aufwand und Kenntnis erfordert. Einige behaupten sogar: gerade deshalb.Die Totenglöckchen sind wieder weggeräumt; Unix, vor zwei Jahren noch als Nischenmarkt oder gleich als toter Hund bezeichnet, erfreut sich bester Gesundheit. Und wer die Prognosen liest, mit denen die Nebel der Unix-Zukunft gelichtet werden sollen, wird feststellen: Trotz aller NT-Anstrengungen der Gates-Company, trotz des Java- und XML-Beschleunigers Internet bleibt Unix eine feste Größe im Konzert der Systemplattformen.

US-Marktforscher IDC nimmt an, daß in vier Jahren der weltweite Markt für Unix-Lösungen 37 Milliarden Dollar wert sein wird und damit mit zirka 41 Prozent Marktanteilen das dominierende Betriebssystem im Bereich kommerzieller Serverplattformen bleiben wird. Das 1969 in Berkeley entwickelte "Unix beweist, daß das bekannte Sprichwort ,Das Leben beginnt mit 40' durchaus auch für Software gültig ist", frohlockt Malcolm Etchells, Regional Manager Central Europe bei dem bemerkenswert ausdauernden PC-Unix-Softwerker Santa Cruz Operation Systems (SCO) mit Sitz in Wiesbaden.

Dabei kann von einer neuerdings wieder aufgekommenen allgemeinen Unix-Begeisterung in Unternehmen keine Rede sein.

Denn wer Unix einsetzen will, muß Geld investieren: In die Hardware, auch wenn vergleichsweise günstige, dafür wenig skalierbare PC-Hardware für den Entry-Servermarkt angeboten wird. Ferner muß man für das Mehrplatzsystem in Administratoren und Schulung investieren und dennoch damit rechnen, daß man trotz kaum zu zählender geschäftlicher Software lange warten muß, bis die Portierung auf das eingesetzte Unix-Derivat passiert ist. Außerdem weiß man angesichts der propagierten Unix-Konsolidierung nicht einmal, wie lange es das jeweilige Derivat noch gibt. So hätte man als Unternehmen eigentlich guten Grund, Plattform und Software zu wechseln. Nur - worauf wechselt man?

"Jedes Unix-Derivat stellt an die EDV Ansprüche. Dafür ist es stabil und läuft", gibt Richard Hellmeier, Vorstand bei dem Unix-Distributor Computerlinks in München, unumwunden zu. Für das kommerzielle "Unix-Revival", so Etchells, mache er als grundlegende Entscheidungskriterien geltend: "Ein Unternehmen entscheidet sich nicht einfach für Unix, sondern prüft unter den Gesichtspunkten Stabilität, Performance, Skalierbarkeit und Unternehmensnutzen, welche Plattform es für seine Officepakete, Browser und betriebswirtschaftliche Software einsetzt." Da habe Unix, wie gesagt, gegenüber der Microsoft-Alternative NT die Nase vorn.

Der Servermarkt

Eine der echten IT-Lektionen des letzten Jahres war, wie schwierig und kostspielig einen eine PC-Landschaft kommen konnte. Angetrieben von der "Browserisierung" der Geschäftsabläufe, stellten sich die dicke PCs als zu üppig für das Internet heraus. Java kam auf, Intranets mit ihrem Anspruch, unternehmensweit über geschäfts- und kommunikationsrelevante Daten zu verfügen, pflügten die Unternehmen um; die Geschäftsmöglichkeiten via Internet wirkten als zusätzliche IT-Motoren. Rezentralisierung, Server- und Speicherkonsolidierung sowie dünne Clients erwarteten sich Marktforscher für das letzte Jahr dieses Jahrtausends.

Diese Erwartungen könnten enttäuscht werden. Investitionen werden durch die Y2K-Problematik ausgebremst, sind sich Marktbeobachter sicher. Bei Microsoft führt das dazu, daß für NT - bis zum Start von NT-Nachfolger Windows 2000 - massenhaft serverzentrierende Terminalsoftware installiert werden muß (siehe Kasten Windows NT). Nur so können die Daten unternehmensweit und webschnell verfügbar gemacht werden.

Das bringt das Geschäft mit Unix-Servern nicht ins Wanken. IDC erwartet sich über die nächsten vier Jahre ein durchschnittliches Wachstum von zirka sechs Prozent. Vor allem mittlere bis große Unternehmen zeichnen dafür verantwortlich, während in kleineren Unternehmen der Siegeszug von NT anhält. Entsprechend weissagen Marktforscher Unix-Anbietern weiterhin Zuwächse. Allerdings nicht allen. Marktforscher gehen davon aus, daß die Ankündigung von Intel, mit der im nächsten Jahr marktreifen Kombination aus 64-Bit-fähigen PC-Rechnern und Unix ("Montery" betitelt) in der mittleren Etage den Unix-Risc-Rechner ernsthafte Konkurrenz entgegensetzen zu können, für einen Exodus unter den Unix-Anbietern sorgen wird. Nur zweien bis dreien der derzeit noch sechs Unix-Anbieter räumen sie Überlebenschancen ein.

Die hohen Margen der Risc-Anbieter sind durch die Intel-Attacke bestimmt gefährdet. Denn neue Investitionen werden - laut übereinstimmender Aussage aller Marktforscher - nach der Jahr-2000-Bewältigung in die Kombination leistungsfähiger PCs plus 64-Bit-Unix fließen. Dazu will das Montery-Konsortium, in dem so wankelmütige Partner wie IBM, Hewlett-Packard oder Siemens Platz und Stimme haben, für gemeinsame Schnittstellen für Anwendungen, Treiber ("Uniform Driver Interface"; UDI) und Software sorgen. Bea, Informix, Oracle und Peoplesoft, alle am Datawarehouse-Markt für mittlere Unternehmen interessiert, haben bereits ihre Unterstützung zugesagt.

Aber auch im High-End-Bereich bedarf es noch großer Prozessorarchitektur-Anstrengungen, um Mainframes abzulösen. Noch immer punkten die Zentralrechner; laut IDC gingen die weltweiten Umsätze im letzten Jahr nur um magere acht Prozent zurück. Daß deren baldiges Ableben vor der Tür steht, muß bezweifelt werden. Es mag sein, daß mittelfristig "alle proprietären Systeme vom Markt verschwinden werden", wie Metagroup-Analyst Andreas Zilch glaubt. Doch solange noch über 30 Prozent aller Unternehmensdaten auf Mainframe-Festplatten zu finden sind, ist völlig unklar, ob Unternehmen auf Unix umschwenken werden. Serverkonsolidierung bedeutet auch, die Boliden mit Web- und Middleware-Kapazitäten auszurüsten. Genau das tun Anbieter wie Amdahl, IBM, Sun und die kränkelnden japanischen Riesen Fujitsu, Hitachi und NEC.

Der Softwaremarkt

Unix lebt wie jede Betriebssystemsoftware von den Anwendungen. Ein Blick in einen beliebigen Softwarekatalog zeigt, daß es derer Hunderttausende gibt. Doch das altbekannte und durch kein "Open-Standard"-Bekenntnis bisher aus der Welt geräumte Unix-Problem existiert nach wie vor: Die verschiedenen "Unixe" arbeiten nicht so miteinander zusammen, wie sich das Kunden wünschen.

Zwar verkünden unter dem Stichwort "Interoperabilität" alle Unix-Anbieter, sie seien auf dem Weg dorthin. Doch wie Analyst Zilch sagt, gehört das zum typischen Marketinggeklappere: "Wenn mir nichts anderes einfällt, nenne ich es strategisch", merkt er zum Wahrheitsgehalt so mancher Ankündigung an.

"Das hat der Kunde längst gemerkt und geht in Richtung offene Plattform", ergänzt Hellmeier. Daß diese gerade NT sein soll, mag zwar so manchen verwundern, doch Tatsache ist: "Bisher haben Kunden 40 Prozent ihrer Anwendungen selbst programmiert. 60 Prozent entfallen auf Standardsoftware. Ich würde sagen, das Verhältnis liegt bald bei 20 Prozent kundenspezifischer Eigenentwicklung und 80 Prozent Standardsoftware", prognostiziert Zilch. Infolgedessen bleibt Unix-Anbietern nicht anderes übrig, als ihre Softwarewelten über Schnittstellen anzunähern und damit der Menge der NT-Software Paroli zu bieten.

Diese Maßnahme dürfte jedoch für so manchen Derivatanbieter zu spät kommen. Dafür ist der Unix-Kuchen zu klein. Hinzu kommt, daß der NT-Markt mit seinen schnellen Releasezyklen derzeit für viele Entwickler weitaus attraktiver ist.

So wird die Zahl der Unix-Anbieter bald schwinden. Analysten gehen - wie gesagt - davon aus, daß nur zwei oder drei übrigbleiben werden. Wer das sein wird, darüber streiten sie. HPs Unix, IBMs AIX und Suns Solaris sagen die einen; andere machen sich für die 64-Bit-Plattform der Montery-Gruppe, Solaris und HP stark, verweisen aber darauf, daß schon bald aufgabenorientierte und nicht allein lastorientierte Rechner die Frage nach dem Betriebssystem zweitrangig machen werden. Dafür die Hand ins Feuer legen, das will verständlicherweise kein Analyst.

Klar scheint immerhin zu sein, daß die Unix-Portierung auf die 64-Bit-Plattform von Intel ("IA64") ein starkes Argument für Unix-Anwendungen sein wird - unabhängig davon, welcher Hersteller das Handtuch werfen muß, da die Portierung seines Betriebssystems auf IA64 nicht erfolgt. Der Vorteil für Unix-Entwickler liegt dann darin, seine Software nur mehr für wenige Plattformen schreiben zu müssen.

So läßt sich für den Unix-Softwaremarkt akut feststellen: Während der Kunde für seine Geschäftsprozesse nach genau passenden Standardlösungen sucht, sorgt der noch nicht abgeschlossene Konzentrationsprozess bei Herstellern für oft vage Aussichten auf die Releasezukunft der implementierten Software. Diese Aussicht macht den Kunden nicht zwingend froh, so daß er im Zweifel auf NT ausweichen wird. Allein im oberen Segment der Anwendungen, also beispielsweise Datawarehouse, kann er sicher sein, auf die richtige Plattform gesetzt zu haben.

Als Trend muß aber festgehalten werden, daß der rasante Einzug des Internets in die Wertschöpfung der Unternehmen eine verteilte Datenhaltung ausgesprochen unpraktisch macht. Da die IT-Funktionen die Grenzen der Firmen sprengen, müssen Daten unabhängig von den jeweiligen Clients verfügbar sein. Dazu sind zentrale Server notwendig. Für die Übersetzung heterogener Daten ist Middleware gefragt, und wer Anwendungen aufruft, möchte sie so aufgabenbezogen wie möglich haben. All das ist mit Unix möglich, so daß Softwerker einigermaßen beruhigt auf den Markt blicken könnten, tummelten sich da nicht noch immer viele Unix-Anbieter. Die übrigens bereits ihre Fühler nach dem "heißen" Markt "Embedded Systems" ausgestreckt haben. Risc-Prozessoren, die in Haushaltsgeräten, Autos oder Robotern arbeiten - ein lukrativer Markt tut sich auf. Allerdings: Wenn sich dann ein Kühlschrank weigerte, mit der Risc-Haushaltskonsole zusammenzuarbeiten, würde ein altes Kapital der Unix-Geschichte neu aufgeschlagen...(wl)

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