UPDATE3: Siemens gibt Gigaset-Tochter SHC an Arques ab

01.08.2008
(NEU: Analysteneinschätzung)

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Von Alexander Becker

DOW JONES NEWSWIRES

MÜNCHEN (Dow Jones)--Die Siemens AG zieht einen Schlussstrich unter ihr Geschäft mit der Telekommunikationstechnik und gibt ihre Aktivitäten mit schnurlosen Festnetztelefonen an die Arques Industries AG ab. Beide Seiten vereinbarten am Freitag, dass Siemens 80,2% der Tochter Siemens Home and Office Communications Devices (SHC) an die Starnberger Beteiligungsgesellschaft abgibt. Die Trennung des Bereichs mit der Marke Gigaset wird sich negativ auf das Siemens-Konzernergebnis auswirken.

Finanzvorstand Joe Kaeser räumte während einer Telefonkonferenz ein, dass Siemens "keinen Veräußerungsgewinn" bei der Transaktion erzielt, sondern SHC noch mit rund 50 Mio EUR in bar ausstattet und treuhänderisch die Pensionsverpflichtungen übernimmt. Für Siemens ergebe sich ein Buchverlust "im mittleren zweistelligen Mio-EUR-Betrag", sagte Kaeser. Er werde voraussichtlich noch im laufenden Geschäftsjahr 2007/08 verbucht.

Für Sal. Oppenheim-Analyst Frank Rothauge ist die Transaktion "schon nicht so leicht nachzuvollziehen". Siemens habe hier wohl erneut wenig für ein abgegebenes Asset bekommen. Schließlich habe SHC im vergangenen Geschäftsjahr einen wenn auch kleinen Gewinn geschrieben. "Zwar spielt der finanzielle Aspekt im gesamten Siemens-Zusammenhang keine überwältigende Rolle, doch man hat schon den Eindruck, dass der Preis hier wohl zweitrangig gewesen sein muss", sagte Rothauge.

Die schnelle Umsetzung der angekündigten Portfoliobereinigung scheine für das Siemens-Management derzeit eine höhere Priorität zu haben. Rothauge hat die Siemens-Aktie mit "Neutral" eingestuft und sieht einen Fairen Wert von 95 EUR.

Bei SHC stellt Siemens unter anderem Telefone her, die unter der Marke "Gigaset" verkauft werden. "Siemens trennt sich von dem Geschäft, weil es durch die Neuordnung im Konzern und die Fokussierung auf die drei Sektoren Energy, Industry und Healthcare nicht mehr zum Kerngeschäft des Unternehmens gehört", heißt es in der Mitteilung von Arques. Abgeschlossen werden soll die Trennung nach der kartellrechtlichen Freigabe zum 1. Oktober.

Zwei Drittel der SHC-Umsätze stammen aus dem Geschäft mit Gigaset-Schnurlostelefonen. SHC ist den Angaben zufolge mit rund 2.100 Mitarbeitern in 17 Ländern präsent und vertreibt ihre Produkte in rund 70 Länder. Im abgelaufenen Geschäftsjahr erwirtschaftete SHC einen Umsatz von 792 Mio EUR und ein Ergebnis vor Steuern von 13 Mio EUR.

Arques hat für die nächsten drei Jahre vertraglich zugesichert, die SHC-Standorte in München und Bocholt zu erhalten. Die Siemens-Führung hatte vor Monaten bereits SHC als einen Bereich bezeichnet, der nicht mehr zum Kerngeschäft des Konzerns zählt.

SHC wird in der Siemens-Bilanz unter Sonstige Aktivitäten geführt, deren Umsätze 2006/07 rund 2,9 Mrd EUR erreichten. Geschäfte mit einem Umsatz von 386 Mio EUR will Siemens noch in die drei Kernsektoren integrieren und den Rest verkaufen oder schließen.

Mit SHC trennt sich Siemens auch vom letzten direkt im Unternehmen verbliebenen Teil der ehemaligen COM-Sparte. Die Telekommunikationstechnik war rund 160 Jahre lang einer der tragenden Eckpfeiler des Siemens-Konzerns. Mit der Erfindung des Zeigertelegraphen legte Werner von Siemens im Jahr 1847 den Grundstein für das heutige Weltunternehmen.

Unter der Führung des Vorstandsvorsitzenden Klaus Kleinfeld begann Siemens ab dem Jahr 2005, sich verstärkt auf die Geschäftsfelder Industrie, Energie und Medizintechnik zu konzentrieren. Im Jahr 2005 gab Siemens zunächst das Handy-Geschäft an BenQ ab und brachte dann im Jahr 2007 das Netzwerk-Geschäft in das Joint Venture Nokia Siemens Networks (NSN) ein.

Zuletzt war am Dienstag bekannt geworden, dass Siemens den Bereich Telekommunikationslösungen für Firmenkunden, Siemens Enterprise Networks (SEN), in ein Gemeinschaftsunternehmen mit dem US-Investor The Gores Group einbringt.

Mittlerweile ist Siemens sehr darauf bedacht, auch bei verkauften Bereichen den Erhalt von Arbeitsplätzen zu gewährleisten. Der Verkauf des Mobiltelefon-Geschäfts hatte dem Konzern am Ende einen schweren Imageschaden zugefügt. Knapp ein Jahr nach der Übernahme hatte BenQ die deutschen Tochter BenQ Mobile mit mehr als 3.000 Mitarbeitern in die Insolvenz geschickt.

Die angestrebte langfristige Sicherung der Geschäfte zeigt sich auch in der Konstruktion des SHC-Deals. Neben der Mitgift wird Siemens noch zwei Jahre mit 19,8% an SHC beteiligt bleiben. So könne Siemens zumindest noch mittelbar Einfluss bei SHC nehmen, sagte Kaeser. Nach zwei Jahren will Siemens aussteigen, wobei Arques "natürlicher Empfänger" für die Anteile sei. Zudem gibt Siemens für den Fall von Liquiditätsengpässen bei SHC noch eine Kreditzusage über 20 Mio EUR.

Siemens will die SHC-Beteiligung künftig in seiner Gewinn- und Verlustrechnung unter "Corporate Items", also als Kapitalbeteiligung ausweisen. SHC dagegen soll unter der Führung von Arques ihre "Position als Marktführer im Premium-Preissegment ausbauen". Dazu soll die Produktpalette auf margenstarkes Geschäft konzentriert werden. Arques darf dazu in den nächsten zwei Jahren den Markennamen Siemens nutzen.

Die SDAX-notierte Arques Industries hat sich auf die Sanierung von Industrieunternehmen spezialisiert. Die Arques-Aktie steigt bis zum Mittag um 1,8% auf 7,76 EUR. Die Siemens-Aktie wird um 14.31 Uhr mit einem Abschlag von 1,5% bei 77,58 EUR gehandelt.

Webseiten: http://www.siemens.com/ http://gigaset.siemens.com/shc/ http://arques06.webcoffer-server.de/ -Von Alexander Becker, Dow Jones Newswires; +49 (0)89 - 5521 4030, industry.de@dowjones.com DJG/abe/rio/jhe

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