Wichtig für Change-Prozesse im Unternehmen

Veränderungen steuern mit 360°-Feedback

Georg Kraus ist geschäftsführender Gesellschafter der Unternehmensberatung Dr. Kraus & Partner. Der diplomierte Wirtschaftsingenieur ist u.a. Autor des "Change Management Handbuch" und zahlreicher Projektmanagement-Bücher. Seit 1994 ist er Lehrbeauftragter an der Universität Karlsruhe, der IAE in Aix-en-Provence und der Technischen Universität Clausthal.

Ein Beispiel aus der betrieblichen Praxis

Wie die Einführung und Durchführung des 360°-Feedback erfolgen kann, sei am Beispiel eines anderen Technologiekonzerns erläutert, der dieses Tool seit fünf Jahren als Personal- und Organisationsentwicklungsinstrument nutzt. Nachdem die Grundsatzentscheidung gefallen war, wurde eine Projektgruppe gegründet. Diese definierte zunächst die Befragungsbereiche und Themenschwerpunkte. Außerdem wurden die Bewertungskriterien und die Teilnehmergruppen bestimmt. Dann entwickelte die Projektgruppe einen modular aufgebauten Fragebogen.

Nachdem die Fragebogen entwickelt waren, wurden alle Beteiligten, Feedbackgeber und -nehmer, zu einer Kick-Off-Veranstaltung eingeladen. Dort erläuterte das Management, warum es das 360°-Feedback einführen möchte. Außerdem wurde das Verfahren erläutert und mit den Teilnehmern diskutiert. Anschließend verteilten Mitarbeiter der Unternehmensberatung, die an dem Prozess beteiligt war, die Fragebögen. An das Beratungsunternehmen, also einen externen Partner, sollten die Feedbackgeber auch die ausgefüllten Bögen zurücksenden. Dort wurden sie bezogen auf die einzelnen Führungskräfte und die verschiedenen Feedbackgeber-Gruppen (Mitarbeiter, Kollegen und Vorgesetzte) ausgewertet. Letzteres ist wichtig, weil diese aufgrund ihrer Position und Funktion im Unternehmen zum Beispiel bezüglich des Kommunikationsverhaltens einer Führungskraft unterschiedliche Erwartungen haben. Deshalb müssen die Differenzen sichtbar bleiben.

Ergebnisse besprechen und Maßnahmen vereinbaren

Nachdem die Auswertungen vorlagen, traf sich Mitarbetire der externen Unternehmensberatung mit den Führungskräften zu Vier-Augen-Gesprächen und besprach mit ihnen die Ergebnisse. Sie schauten gemeinsam, wo Selbst- und Fremdbild der Führungskraft auseinander klaffen und der größte Erklärungs- und Entwicklungsbedarf besteht. Außerdem definierten sie gemeinsam die Themen, die die Führungskraft im anschließenden Workshop mit ihren Mitarbeitern erörtern möchte.

In diesen Workshops stellte die betreffende Führungskraft ihren Mitarbeitern jeweils zunächst die relevanten Ergebnisse des 360°-Feedbacks vor. Dann bat sie diese, um mögliche Erklärungen, wie einzelne Ergebnisse zustande kommen. Dabei war stets ein externer Berater als Moderator anwesend. Er strukturierte das Gespräch - unter anderem, um zu vermeiden, dass sich die Beteiligten in Details verlieren. Der Moderator stärkte aber auch den Mitarbeitern und Führungskräften den Rücken, offen Feedback zu geben. Denn dies erfordert in den Workshops oft Mut. Denn in ihnen wird zuweilen die Anonymität durchbrochen. Schließlich kann sich eine Führungskraft, wenn ein Mitarbeiter anhand von Beispielen aus dem Alltag erläutert, wie eine Beurteilung zustande gekommen sein könnte, vorstellen, welche Bewertung ihm der betreffende Mitarbeiter gab. Deshalb muss ein Mindestmaß an Vertrauen zwischen den Mitarbeitern und der Führungskraft bestehen.

Der externe Unterstützer sollte auch darauf achten, dass im Workshop und im Vier-Augen-Gespräch mit der Führungskraft Maßnahmen vereinbart werden, wie erkannte Mängel im Führungsverhalten und in der Zusammenarbeit beseitigt werden. Denn das 360°-Feedback ist kein Selbstzweck. Es soll Entwicklungsprozesse anstoßen oder forcieren.

Den Entwicklungsprozess steuern

Ein ähnliches, wie das skizzierte Verfahren praktizieren viele Unternehmen, die mit dem Instrument 360°-Feedback arbeiten - nur dass, die Befragung der Mitarbeiter und Kollegen anders im geschilderten Beispiel nicht mittels Papierfragebogen, sondern online erfolgt. In der Regel führen sie die mit dem 360°-Feedback verbundene Befragung mehrmalig, wenn nicht gar regelmäßig durch - zum Beispiel alle zwei Jahre. Denn als Organisationsentwicklungsinstrument hat das 360°-Feedback einen Verlaufscharakter. Setzt man es nur einmalig ein, wird nur die Ist-Situation angezeigt. Es werden jedoch keine Veränderungen, die sich zum Beispiel im Verlauf eines Change-Prozesses vollzogen haben, sichtbar. Folglich können die Resultate auch nicht genutzt werden, um den weiteren Prozess zu steuern. (OE)

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