Verbraucherschutz: Weg mit Werbung für Computer!

07.09.1998

MÜNCHEN: Unsere europäischen Volksvertreter haben entschieden: rote Karte für die Zigarettenwerbung. Ebenso wird Reklame für so gefährliche Güter wie Automobile oder Süßwaren künftig unter eine europaweit wirkende Staatskontrolle geraten. Und wer es noch nicht gehört hat: Auch Computer sollen unter diese Verbote fallen. Hintergründe und (ironische) Gedanken von Stefan Rohr*).Das Europäische Parlament hat sich mit überwältigender Mehrheit für die Verkündung eines europaweiten Werbeverbotes für Tabakwaren ausgesprochen. Allerdings sind von diesem Beschluß auch andere Güter und Genußmittel betroffen, denen es nach dem Willen der Europaparlamentarier ebenfalls bald an den Kragen gehen soll. Doch nicht nur für beispielsweise Süßwaren, Alkohol, chemische Mittel, Pharmazeutika und Autos dürfte es künftig eng werden. Auch die Computerindustrie, so befürchten Insider, könnte bald harsch und vehement in ihrer Werbefreiheit beschnitten und reglementiert werden.

Der Computer: Gefahr für Geist und Seele

Dafür man muß wohl Verständnis aufbringen. Immerhin sind Computer mindestens genauso schädlich wie zum Beispiel Autos. Die Betonung liegt dabei auf "mindestens". Und ein Werbeverbot für Kraftfahrzeuge kann sich nicht allein auf "reale" Fahrzeuge beschränken. Immerhin befahren Millionen von Menschen tagtäglich die "Datenautobahnen" per PC und Internet - ein Verkehr, der ein nahezu ebensolches Maß an "Traffic" aufweist, wie es die Highways dieser Welt verzeichnen können. Hier muß der Verbraucher doch geschützt werden, oder?

Die Skandale um Compuserve und dessen ehemaligen Chef, Herrn Somm, beweisen deutlich, daß vom PC und dem direkt von Bill Gates mitgelieferten WWW-Zugang eine enorme Gefahr für Geist und Seele ausgeht. Schmutzige Seiten, pornographische Chatrooms und ein massives Angebot an Gebrauchsgütern, bei dem selbst Beate Uhse schwummerig werden dürfte, sind nur über die unreglementierte Verbreitung von Hard- und Software an den Verbraucher heranzutragen. Da ist es nur zu selbstverständlich, daß unsere Gesellschaftsvorbilder auf europäischer Ebene diesem Treiben Einhalt gebieten müssen.

Schließlich sind diese Verlockungen viel zu leicht erreichbar, was sich mittlerweile auch im Kreise der bayerischen Landtagsabgeordneten herumgesprochen haben soll (dort wurde, man stelle sich vor, doch tatsächlich Telefonsex über die Amtsleitungen vollzogen). Und wenn schon unsere eigenen Volksvorbilder den Sirenenrufen der Rotlichtangebote nicht widerstehen können, wie kann dann der geistesarme und labile Verbraucher dieses tun?

Also: Verbot der Computerwerbung! Only for adults! Zum Kauf eines PC muß künftig der Personalausweis oder ein Bestätigungsschreiben der Erziehungsberechtigten vorgelegt werden. Die Web-Provider müssen künftig um 22.00 Uhr das "Licht ausmachen", es sei denn, daß eine behördliche Genehmigung mit Siegel und wenigstens drei Unterschriften in beglaubigter Kopie vorgelegt werden kann.

"Waffenscheine" für PC-Besitzer

PC-Läden müssen ab sofort - deutlich erkennbar und an prominenter Stelle - den allseits aus Diskotheken und Kneipen bekannten Auszug aus dem Jugendschutzgesetz aushängen. An den Volkshochschulen werden Schulungen für "PC-Scheine" durchgeführt, die es dem Inhaber wie bei einem Waffenkauf erlauben, seine Berechtigung, soziale Kompetenz und sittliche Reife zu belegen. Für den Zugang zum Internet werden ärztliche Gutachten nötig, die dem Inhaber attestieren, als internetsuchtfrei zu gelten. Nur dann kann das Web künftig sorgenfrei und moralfest betreten werden.

Es wird zudem - und an dieser Stelle entsteht sogar ein Teil der so vehement geforderten neuen Arbeitsplätze - ein europäisches Zentralregister eingeführt, welches auf gleiche Weise wie das Flensburger Kraftfahrtbundesamt fungieren wird. PC- und Internet-Sünder erhalten bei Fehltritten und unsachgemäßer Anwendung von Computern oder Programmen sogenannte IT-Strafpunkte. Ab dem zehnten Punkt wird eine Ermahnung ausgesprochen, ab dem 13. Punkt eine Nachschulung verlangt, ab dem 15. Punkt ist erst einmal Schluß mit lustig: Der PC-Schein wird eingezogen, der PC von Amts wegen beschlagnahmt und der Internet-Anschluß behördlich lahmgelegt.

Werbeverbote überbieten sich an ineffizienz

Es gilt doch, die Menschheit vor sich selbst zu bewahren. Wer will sich ernsthaft noch dagegenstellen? Die Masse ist doch zu dumm für die Selbstbestimmung oder Eigenverantwortung. Und Liberalismus ist gänzlich ungeeignet - ein staatliches Diktat muß her.

Während einige Länder in Europa das Haschisch-Rauchen erlauben, andere darüber nachdenken, ob sie es ebenfalls tun sollten, in vielen Ländern Ersatzdrogen öffentlich gesteuert an Abhängige verteilt werden und - wiederum im Ländermix - vereinzelt die Flasche Schnaps so hoch besteuert wird, daß sich nur noch Millionäre betrinken können, ist es doch sehr naheliegend, die Gefahrengüter dieser Erde zu sanktionieren.

Autos fahren Menschen tot (oder sind es deren Fahrer?), im Fernsehen wird rohe Gewalt vermittelt, Kinderkanäle werden mit Vorschauen

über das Nachtprogramm ("Gozilla kommt im Dunkeln") bereichert, Rennwagen preisen an, was der Marlboro-Mann noch vor wenigen Jahren auf dem Rücken seines Broncos gepafft hat, und (eben) Computer öffnen die Welt der Pornographie und der Sex-Mafia oder machen anderweitig süchtig.

Wer kann hier mit seinem kleinen Verstand noch unterscheiden, sich eigenständig reglementieren und den letzten Funken Ethik aufrechterhalten? Werbeverbote sind so effizient wie die freie Verteilung von Eintrittskarten in einen verbotenen Kinofilm. Nirgends wird so viel Alkohol getrunken wie in den Ländern, in denen dieser überproportional hoch besteuert wird. In der Prohibitionszeit wurde mehr getrunken, als irgendwann zuvor oder danach. Das längst in Deutschland realisierte Werbeverbot für Zigaretten hat der Zigarettenindustrie keinerlei Schaden zugefügt, im Gegenteil. In Holland wird weder mehr noch weniger Hasch geraucht, nachdem der Konsum dieser "Einstiegsdroge" erlaubt wurde. In der Sowjetunion gab es mehr Alkoholabhängige als in irgendeinem anderen Land dieser Erde, obwohl der Alkoholgenuß seitens des Staates auf das Schärfste sanktioniert war.

"Holzaug, sei wachsam!"

Natürlich ist diese Geschichte an einer Stelle unwahr: Eine Überlegung, die Computerwerbung zu verbieten, existiert noch nicht. Allerdings muß tatsächlich das "noch" vermutet werden. Schließlich hat man sich zum Ziel gesetzt, das normale Leben freiheitlich denkender Verbraucher europaweit zu bestimmen, vielen Industriezweigen und deren Dienstleistern den Strom abzudrehen und damit Hunderttausende von Arbeitsplätzen zu gefährden. In einer Zeit also, in der geglaubt wird, daß nur mit Verboten, Gesetzen und Verordnungen Vernunft zu generieren ist, wird sicherlich auch nicht davor Halt gemacht, ein Gerät wie den Computer werblich zu reglementieren. Es heißt also: "Holzauge, sei wachsam!"

Ich werde gleich an meinen Kühlschrank gehen und mir ein kühles Bier genehmigen. Dazu werde ich eine aromatische Virginia-Zigarette rauchen und ein wenig im Web surfen. Ich werde in mein Auto steigen (natürlich habe ich weniger als 0,5 Promille) und am heimischen Fernseher eine Zusammenfassung der Cannes-Rolle ansehen, in der die international besten Werbespots zu bewundern sind.

Chips und Schokolade, die ich ansonsten eher freiwillig verschmähe, werde ich zum Trotz heute auch genießen. Ein gutes Glas Wein oder ein schöner Grappa nach dem Essen wird mich den Gedanken ertragen lassen, daß dieser gesammelte Genuß eines Tages vielleicht nur heimlich möglich sein wird. Bleibt noch mein PC, den ich geschickt hinter einer doppelten Wand in meinem Keller installieren werde. Mit diesem werde ich dann die Werbeflut im World Wide Web wie den einst verbotenen Roman der "Fanny Hill" verschlingen.

*Stefan Rohr ist geschäftsführender Gesellschafter der r&p management consulting, Hamburg/Düsseldorf/Frankfurt/Speyer/Hannover/Bremen/Zug

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