Verlängerte Gewährleistung und ihre Auswirkungen

13.06.2002
Im deutschen Zivilrecht steht kein Stein mehr auf dem anderen. Zum 1. Januar wurde das deutsche Schuldrecht nach mehr als 100 Jahren erstmals grundlegend reformiert. Wichtigster Punkt ist für den deutschen Handel die Verlängerung der Gewährleistungsfrist. Frank Roebers* hat in seinem Beitrag die praktischen Auswirkungen der Gesetzesänderung im IT-Handel unter die Lupe genommen.

Seit dem 1. Januar 2002 können Sie getrost alles vergessen, was Sie über Schuldrecht wissen! Trotz aller Kritik an der kurzfristigen Einführung des neuen Rechts (siehe Kasten "Facts & Figures") ist festzuhalten, dass eine Reform des bislang geltenden Rechts in vielen Bereichen notwendig war. Ein Mangel des alten Kaufrechts war zum Beispiel, dass es keinen generellen Nacherfüllungsanspruch gab. Hatte der Verkäufer keine Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB), konnte der Kunde bereits beim ersten Mangel sein Geld zurückverlangen. Es galt eine Gewährleistungsfrist von sechs Monaten. Auch wenn wir Händler das nicht gerne hören: Diese kurze Frist passte nicht zu den heute komplizierten Kaufgegenständen.

Kunde kann vom Verkäufer Nacherfüllung verlangen

Als eine der wichtigsten Änderungen ist die Verlängerung der Gewährleistungsfrist hervorzuheben: Für jede Art von Kaufvertrag gilt nunmehr eine Gewährleistungsfrist von zwei Jahren. Bislang waren es sechs Monate. Der Kunde kann daher seine Rechte bei einem mangelhaften Gerät nunmehr zwei Jahre lang geltend machen. Entscheidend ist hierbei der Zustand der Sache bei Übergabe an den Kunden: Es muss feststehen, dass der Fehler bereits bei Übergabe der Ware an ihn vorlag. Zu Gunsten des Käufers wird hier aber während der ersten sechs Monate nach Übergabe vermutet, dass die Ware schon zu diesem Zeitpunkt defekt war.

Das bedeutet: Der Verkäufer muss nachweisen, dass der Mangel zum Zeitpunkt der Übergabe nicht bestand. Dies kann er sich unter anderem durch ein beim Kauf vom Kunden unterschriebenes Testprotokoll bestätigen lassen. Reklamiert der Kunde das Gerät später als sechs Monate nach dem Kauf, so muss er beweisen, dass das Gerät schon bei der Übergabe an ihn defekt war, wenn er die gesetzlichen Gewährleistungsrechte geltend machen will.

Neu ist auch, dass der Kunde grundsätzlich berechtigt ist, zunächst vom Verkäufer Nacherfüllung zu verlangen. Dabei kann der Kunde wählen, ob er ein neues Gerät möchte oder ob er zunächst die Reparatur des defekten Gerätes verlangt. Man hat hier die seit langem in der Praxis in Allgemeinen Geschäftsbedingungen gelebte Methode in das BGB übernommen. Zumindest in diesem Punkt sind AGB überflüssig geworden.

Recht auf Voraustausch defekter Ware

Allerdings hat die neue Regelung einen entscheidenden Haken: Beispielsweise kann der Käufer eines Notebooks sofort verlangen, dass ihm für den defekten Rechner ein neuer gegeben wird. Damit ist der Voraustausch defekter Ware zum gesetzlichen Anspruch des Kunden geworden. Alle hierbei oder bei der Reparatur anfallenden Aufwendungen gehen ausschließlich zu Lasten des Verkäufers. Diese Regel gilt auch, wenn der Käufer die Sache an einen anderen Ort verbracht hat und sich der Aufwand für den Verkäufer dadurch deutlich erhöht.

Der Verkäufer kann die vom Käufer gewählte Variante (nur) verweigern, wenn sie ihm unmöglich ist oder aber - in der Praxis sicherlich im Vordergrund stehend - unverhältnismäßige Kosten für ihn zur Folge hat. Der Anspruch des Käufers beschränkt sich dann auf die andere Alternative. Das Verweigerungsrecht wird sich für Massenartikel so gut wie nie ergeben. Der Verkäufer wird nur bei sehr stark individualisierten Produkten hiervon Gebrauch machen können. Beide Alternativen kann der Verkäufer verweigern, wenn sie ihm unzumutbar sind oder wenn sie fehlgeschlagen sind. Von einem Fehlschlagen geht man in der Regel nach dem zweiten erfolglosen Versuch aus.

Geblieben ist das Recht des Kunden, vom Vertrag zurückzutreten (früher Wandlung). Das früher erforderliche Einverständnis des Verkäufers ist nun nicht mehr erforderlich. Dafür kann der Kunde nunmehr vom Vertrag nur zurücktreten, wenn er dem Verkäufer zuvor eine angemessene Frist zur Nacherfüllung gesetzt hat (Lieferung einer mangelfreien Sache oder Reparatur der mangelhaften Sache) und diese Frist fruchtlos abgelaufen ist. Nach der täglichen Rechtspraxis der Vergangenheit galt dabei bei einem PC eine Frist von zwei bis vier Wochen als angemessen. Es ist davon auszugehen, dass dieser Zeitraum auch weiterhin als angemessen gelten wird.

Nur wenn der Verkäufer die Nacherfüllung ernsthaft und endgültig verweigert, kann der Kunde ohne vorherige Fristsetzung vom Vertrag zurücktreten. Dann kann der Kunde das defekte Gerät gegen Erstattung des Kaufpreises zurückgeben, wobei er sich die Zeit der Nutzung anrechnen lassen muss. Dies wird in der Praxis erhebliche Probleme verursachen: Wie ist eine solche Nutzung zu berechnen? Die gängigste Methode dürfte sein, die Zeit der mangelfreien Nutzung analog zur steuerlichen Abschreibung zu kapitalisieren.

Unerhebliche Mängel kein Grund zum Rücktritt mehr

Ausgeschlossen ist das Recht zum Rücktritt bei nur unerheblichen Mängeln. Wann ein Mangel als unerheblich gilt, hängt vom Einzelfall ab und kann hier nicht pauschal beantwortet werden. Hier ist der Verkäufer wieder erst einmal alleine: Ist ein fehlender Pixel im LCD-Display bereits erheblich? Lässt sich ein Streit mit dem Kunden hier nicht vermeiden, entscheidet dies das Gericht? Man kann sich bereits heute lebhaft vorstellen, wie das aussehen wird. Der Ausgang des Verfahrens lässt sich sicher mit einem Münzenwurf vorhersagen.

Wenn der Verkäufer eine mangelhafte Ware geliefert hat und die Frist zur Nacherfüllung fruchtlos abgelaufen ist, kann der Käufer auch den Kaufpreis mindern, das heißt herabsetzen. Diese Möglichkeit besteht mit einer Ausnahme unter den gleichen Voraussetzungen wie das Rücktrittsrecht: Der Käufer kann auch bei geringfügigen Mängeln mindern. Soweit dem Kunden durch den Mangel der Ware ein Schaden entstanden ist, kann er auch diesen ersetzt verlangen.

Jedoch setzt auch der Schadensersatzanspruch des Käufers voraus, dass er dem Verkäufer zuvor erfolglos eine Frist zur Nacherfüllung gesetzt hat. Die Pflicht zum Schadensersatz ist auf den Ausgleich aller durch die mangelhafte Lieferung bei dem Käufer ausgelösten Nachteile gerichtet. Somit kann der Kunde Anfahrtskosten, Verdienstausfälle und Ähnliches geltend machen. Bei genauer Betrachtung zeigt sich, dass außer dem Anspruch auf Nachlieferung alle weiteren Rechtsbehelfe des Käufers (Minderung, Rücktritt, Schadensersatz) grundsätzlich an den erfolglosen Ablauf einer angemessenen Nachfrist gebunden sind. Ausnahmen sind Unmöglichkeit, Unzumutbarkeit und Verweigerung der Nacherfüllung. Der Käufer hat bei Vorliegen eines Sachmangels keine Möglichkeit mehr, sich einfach vom Vertrag (den er vielleicht aus ganz anderen Gründen mittlerweile bereut) zu lösen. Kommt der Verkäufer nämlich seiner Nacherfüllungspflicht innerhalb der Nachfrist nach, so muss der Käufer die nunmehr mangelfreie Ware behalten. Insoweit hat die Nacherfüllung Vorrang vor allen weiteren Rechten des Kunden.

Was Werbung verspricht, muss der Verkäufer halten

Insbesondere die Werbung wird künftig eine bedeutende Rolle übernehmen: Denn auch aufgrund von Aussagen über ein Produkt in der Werbung kann der Verkäufer in Anspruch genommen werden. Er haftet nämlich nunmehr auch für Eigenschaften der verkauften Sache, die in der Werbung oder bei der Kennzeichnung beziehungsweise Etikettierung der Sache versprochen wurden. Dabei ist es unerheblich, ob die Aussagen vom Verkäufer selbst, vom Hersteller oder von einem Mitarbeiter getätigt wurden. Ausnahmen bestehen bei rein werbenden, anpreisenden oder reißerischen Aussagen. Der Verkäufer haftet nur dann nicht, wenn er beweisen kann, dass die in der Werbung gemachte Aussage im Zeitpunkt des Kaufes berichtigt war oder dass er selbst die Werbung nicht kannte und auch nicht kennen musste oder wenn er beweisen kann, dass die Werbung den Käufer nicht beeinflusst hat.

Wer gilt schon gerne als uninformiert?

Diese Ausnahmen bringen dem Händler nicht viel. Insbesondere wird er nicht oft mit der Behauptung gehört werden können, er habe die betreffende Werbeaussage des Herstellers nicht gekannt. Denn welcher Händler will schon gerne als uninformiert über die von ihm selbst verkaufte Ware dastehen? Damit haftet der Händler in sehr viel größerem Umfang als früher, zumal er auch für Werbeaussagen geradestehen muss, die nicht von ihm stammen. Die Regelungen zur Haftung aus Werbeaussagen kann der Verkäufer auch nicht in seinen Allgemeinen Geschäftsbedingungen zum Nachteil des Kunden ändern.

Daneben können Hersteller oder Händler auch weiterhin eine Garantie für die Ware übernehmen. Die Garantie ist eine freiwillige, zusätzliche Gewähr. Die Rechte, die der Kunde im Garantiefall hat, ergeben sich allein aus der Garantieerklärung und nicht aus dem Gesetz. Nach dem neuen BGB hat der Kunde sogar einen Anspruch auf Mitteilung der Garantieerklärung in Textform.

Verkäufer kann Lieferanten in die Pflicht nehmen

Als weitere Neuerung regelt das neue Kaufrecht ausdrücklich, dass sich der vom Kunden in Anspruch genommene Verkäufer wegen der mangelhaften Lieferung an seinen Lieferanten halten kann. Der Lieferant kann wieder seinen Lieferanten in Anspruch nehmen und so weiter. Diese Kette reicht letztlich bis zum Hersteller der Sache zurück. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass der Verkäufer im Rahmen der gesetzlichen Gewährleistung gehandelt hat, das heißt, dass der Grund ein Mangel der Kaufsache war, also nicht etwa bloße Kulanz des Verkäufers, wie zum Beispiel beim Umtausch.

Auch im Verhältnis der Rückgriffsparteien gilt, dass der Mangel bereits bei Übergabe der Ware vom Lieferanten an den Verkäufer vorgelegen haben muss. Aber auch hier gilt: Zeigt sich innerhalb von sechs Monaten seit der Übergabe der Sache vom Verkäufer an den Kunden ein Sachmangel, wird vermutet, dass der Mangel bereits bei Übergabe der Sache vom Lieferanten an den Verkäufer vorlag.

Das bedeutet, dass der Lieferant dem Verkäufer beweisen muss, dass die Sache mangelfrei war. Jedoch sind hier, anders als im Verhältnis vom Verkäufer zum (Privat-)Kunden, abweichende vertragliche Vereinbarungen im Voraus möglich. Sie sind aber unwirksam, wenn dem Verkäufer, der den Rückgriff tätigt, kein gleichwertiger Ausgleich eingeräumt wird.

Als ein solcher kann etwa die Vereinbarung einer pauschalisierten Abwicklung von Gewährleistungsfällen in Betracht kommen. Wenn zum Beispiel ein Großhändler genau weiß, dass fünf Prozent seiner Ware Mängel aufweisen, so ist es sinnlos, jedes einzelne mangelhafte Produkt bis zum Hersteller zurückzureichen. Vertraglich kann vielmehr vereinbart werden, dass gegen einen Preisabschlag von fünf Prozent der Käufer keine Rechte wegen Mängel mehr geltend machen kann.

Zu befürchten ist hierbei allerdings, dass "starke" Hersteller den Abschlag von fünf Prozent vorher auf den Kaufpreis aufschlagen. Dieses dem Verkäufer eingeräumte Recht zur Schadloshaltung bei seinen Lieferanten ist ein absolutes Novum im Gesetz. Mit Spannung wird erwartet, wie die Lieferanten auf eine etwaige Inanspruchnahme durch den Händler reagieren.

Die neuen Rechtsregeln sind fairer als die alten

Auch wenn der Kunde nun mehr Rechte als vorher hat: Die neuen Rechtsregeln sind fairer als die alten. Es wurde endlich eine lückenlose Regresskette vom Kunden über den Händler und den Großhändler zum Hersteller geschaffen. Es ist dem Großhandel und den Herstellern verwehrt, sich durch Verträge den Händlern gegenüber aus der Verantwortung zu stehlen. Fraglich ist allerdings, ob es einzelnen Händlern möglich ist, diese Rechte auch durchzusetzen. Es sind bereits Tendenzen erkennbar, bei denen Distributoren ihre wirtschaftliche Übermacht dem Handel gegenüber ausspielen. Hier könnte eine mögliche Lösung in der Bündelung von Einkaufsströmen liegen, um ein angemessenes Gleichgewicht der Kräfte zu erreichen. (ch)

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