Vermarktung von Branchensoftware: Gewitterwolken über dem Systemhaushimmel

16.08.1996
HOLZMADEN: Der DV-Markt erlebt derzeit größte Veränderungen, die unter dem Begriff "Strukturkrise" zusammengefaßt werden können. Sinkende Margen zwingen zu permanenten Umsatzsteigerungen, um gleichbleibende Deckungsbeiträge zu erwirtschaften (Teil 1).Der Trend zu offenen Systemen hat bereits beim Absatz geschlossener Systeme zu Stagnation, Auftragsrückgängen und teilweise zu Insolvenzen geführt. Lachende Dritte könnten die Anbieter offener Systeme sein, wäre da nicht die Vielzahl der Mitbewerber, die gerade diesen Markt bevölkern. Der verstärkte Wettbewerb unter Anbietern gleichartiger Systeme hat zu einer drastischen Zunahme von Konkursen geführt. Häufig ist einziges Unterscheidungsmerkmal zum Mitbewerber nur noch der Preis. Dieser Prozeß wird durch die derzeit herrschende Rezession noch beschleunigt (siehe Grafik "Preis- und Margenverfall bei Hardware).

HOLZMADEN: Der DV-Markt erlebt derzeit größte Veränderungen, die unter dem Begriff "Strukturkrise" zusammengefaßt werden können. Sinkende Margen zwingen zu permanenten Umsatzsteigerungen, um gleichbleibende Deckungsbeiträge zu erwirtschaften (Teil 1).Der Trend zu offenen Systemen hat bereits beim Absatz geschlossener Systeme zu Stagnation, Auftragsrückgängen und teilweise zu Insolvenzen geführt. Lachende Dritte könnten die Anbieter offener Systeme sein, wäre da nicht die Vielzahl der Mitbewerber, die gerade diesen Markt bevölkern. Der verstärkte Wettbewerb unter Anbietern gleichartiger Systeme hat zu einer drastischen Zunahme von Konkursen geführt. Häufig ist einziges Unterscheidungsmerkmal zum Mitbewerber nur noch der Preis. Dieser Prozeß wird durch die derzeit herrschende Rezession noch beschleunigt (siehe Grafik "Preis- und Margenverfall bei Hardware).

1992 gab es in Deutschland knapp 25.000 Software- und DV-Dienstleistungsunternehmen. Davon erzielten knapp 40 Prozent nur einen Umsatz von unter 100.000 Mark. Hierbei handelt es sich vorwiegend um kleine Programmierbüros und Einzelberater. 15 Prozent der Unternehmen erreichten einen Umsatz von einer Million und mehr. Das bedeutet, daß 15 Prozent der Unternehmen 87 Prozent des Umsatzes erzielen.

Mehr als 10.000 Softwarehersteller versuchen in Deutschland, ihre Produkte erfolgreich zu vermarkten. Bei einem durch das Eschborner Marktforschungsunternehmen Diebold geschätzten Marktvolumen von 23 Milliarden Mark entfielen demnach durchschnittlich 2,3 Millionen Mark auf jedes Softwarehaus, was ein beschauliches Auskommen gewährleisten würde. Diese "Milchmädchenrechnung" geht jedoch nicht auf, da sich die einheimischen Softwareschmieden das Gesamtvolumen mit Standardsoftware-Anbietern wie Microsoft und ausländischen Softwareanbietern und Datenbankherstellern teilen müssen. Allein der Anteil von Standardsoftware erhöhte sich von 38,7 Prozent im Jahr 1993 auf 40,6 Prozent in 1995.

Sehr viele Softwarehäuser sehen immer noch in der "me-too-Strategie" ihr Heil. Der Eindruck, die eigene Software sei viel besser als die der 100 Mitbewerber, verführt viele Hersteller dazu, weiter in überholte Produktlinien zu investieren. Immer noch gibt es Hersteller, die ein Warenwirtschaftsystem neu entwickeln in der Hoffnung, damit den Durchbruch zu erreichen, obwohl bereits über 800 Anbieter das vermeintlich beste Warenwirtschaftssystem haben.

Neben diesen eher düsteren Aussichten eröffnen sich jedoch insbesondere für mittelständische Anbieter gute Chancen, durch den allgemeinen Trend zu offenen Systemen und zum Downsizing, Marktanteile zu gewinnen und ihre Position auszubauen.

Am Softwaremarkt ergeben sich gigantische Verschiebungen. Traditionelle Beziehungen zwischen Kunde und Hersteller werden aufgebrochen. Der Bedarf an individuellen Lösungen geht zurück, da die Anwender versuchen, möglichst auf billige Standardprodukte, die immer flexibler einsetzbar sind, auszuweichen. Die Kunden möchten offene Systeme mit einem hohen Grad an Standardisierung und sie achten bei ihrer Softwareentscheidung mehr auf Sicherheit und die Einhaltung von Standards. Dazu kommt, daß die Anwender aufgrund von mageren DV-Budgets zum Sparen gezwungen werden.

Betrachtet man diese Situation nüchtern, so wird sehr schnell klar, daß es zwar etliche Gewinner in diesem Verdrängungswettbewerb gibt, aber insbesondere viele Verlierer. Wer zu den Gewinnern und zu den Verlierern gehört, wird von einer Vielzahl von Rahmenbedingungen bestimmt: Qualität der Produkte, Marktnähe Marktdurchdringung der Anbieter, und mehr.

Diese großen Herausforderungen müssen Softwarehersteller wie Systemhäuser annehmen und in unternehmerische Chancen umwandeln. Neue Potentiale müssen aufgebaut und in Erfolgsstrategien verwandelt werden.

Bestimmung von Zielen, Positionierung in wichtigen Zielmärkten, professionelle Vertriebsarbeit, betriebswirtschaftliche Bezugsgrößen wie Kosten-, Ertragsdenken, Wertschöpfung und Liquidität müssen wieder in den Mittelpunkt rücken.

Die Struktur der Softwareanbieter

Fragt man nach den Gründen für die derzeitige Situation im Softwaremarkt, so liegt ein Grund in der Struktur der Hersteller, die den Markt bearbeiten.

Die kritischste Situation besteht bei den Programmierbüros. Sie stellen den höchsten Anteil der Anbieter, machen aber das geringste Geschäft und sind zudem wenig spezialisiert. Unter diesen Anbietern wird die stärkste Auslese stattfinden.

Die Produktspezialisten sind ebenfalls gefährdet. Sie setzen auf ihre "bewährte" Technologie und haben häufig nicht realisiert, daß der Markt bereits an ihnen vorüber geht. Ihre Produkte sind stark überarbeitungsbedürftig, der Innovationsgrad ist niedrig und das nötige Kapital steht nicht zur Verfügung, da der Aufwand, um up to date zu sein, immer größer wird (siehe Grafik "Lebenszyklus-Analyse Software").

Die Branchenanwendungsspezialisten haben die besten Chancen, da sie einen hohen Spezialisierungsgrad aufweisen, ihre Produkte flexibel an die Marktsituation und Kundenanforderungen anpassen und bereits globaler am Markt auftreten.

Die größtenteils kleinen und mittleren Betriebe in den deutschen IT-Landschaft sehen sich zunehmend schwerwiegenden betriebswirtschaftlichen Problemen gegenüber. Typisch für diese Unternehmen ist die überwiegend hohe Abhängigkeit von wenigen Großkunden und die angespannte Kostensituation. Der durchschnittliche Umsatz pro Beschäftigtem liegt etwa bei 130.000 Mark. Da große Unternehmen durchaus Pro Kopf-Umsätze von über 250.000 Mark realisieren, liegen sie bei kleinen dafür teilweise weit unter 80.000 Mark.

Zusammenfassend erweisen sich folgende Merkmale als kritische Faktoren für den Erfolg der Systemhäuser und Softwarehersteller:

- Unternehmensgröße

- Mitarbeiterpotential

- Ertragskraft

- geografische Umsatzverteilung

- hohe Abhängigkeit von wenigen Kunden

- angespannte Kostensituaition

- allgemeine Konjunkturlage

- Marktsättigung

- Wettbewerbssituation

- Entwicklungskapazität

- Europäisierung und Globalisierung des Geschäftes

- Veränderung der Nachfragesituation

Als hauptsächliche kritische Faktoren werden von verschiedenen Beratungs- und Marktforschungsunternehmen immer wieder die Faktoren

- Vertrieb

- Marketing

- Kapital

bezeichnet.

Anforderungen an ein Softwarehaus

Bevor die Frage nach den Faktoren für einen erfolgreichen Vertrieb sinnvoll beantwortet werden kann, sind einige Fragen zu klären, die maßgebend am Erfolg des Gesamtkonzeptes beteiligt sind. Damit also Rezepte und Strategien Wirkung zeigen können, müssen zu diesen Fragestellungen klare Antworten gegeben werden können. Unternehmen sind sich teilweise auch ihrer strategischen Engpässe und der vor ihnen liegenden Aufgaben bewußt, ihnen fehlt aber oft die Kraft, die Zeit oder auch schlicht das Geld, um diese Aufgaben im nötigen Umfang anzupacken.

- Allgemeine Anforderungen

- Mitarbeiterausstattung

Das Kapital jedes Unternehmens ist die Mitarbeiterausstattung. Jeder Softwareanbieter sollte diese "Grundausstattung" kritisch prüfen und dann die Frage beantworten, ob er mit dem verfügbaren Mitarbeiterpotential den künftigen Anforderungen gewachsen ist.

- Managementqualitäten

Die Qualität der Mitarbeiter beginnt mit der Qualität des Managements. Sehr häufig ist diese Position bei mittelständischen Softwarehäusern "multifunktional" besetzt, das heißt der Geschäftsführer ist "Mädchen für Alles" und fühlt sich (oder schlimmer - ist) zudem unersetzlich. Häufig wird die Funktion des Managers aufgrund der Gesellschafterverhältnisse und nicht aufgrund von Fähigkeiten ausgeübt. Managementqualitäten sind aus vertrieblicher Sicht insbesondere bei der Vertriebssteuerung und beim Marketing erforderlich.

- Innovationskraft und Flexibilität

Ein wesentlicher Faktor ist die Innovationskraft und Flexibiliät der Anbieter im Verhältnis zu den Anforderungen des Marktes, der Kunden und der Mitbewerber. Nur wer sich guten Gewissens den wachsenden Anforderungen des Marktes stellen kann, hat auch gute Zukunftsaussichten.

- Die klare Positionierung

Jeder Softwareanbieter sollte sich über seine Ausgangsposition im klaren sein. Hier gilt es, nüchtern Bilanz zu ziehen. Mehr denn je ist eine klare und erkennbare Positionierung gegenüber dem Markt wichtig für einen erfolgreichen Vertrieb. Je deutlicher der Markt diese Positionierung erkennt, desto einfacher wird es gelingen, die potentiellen Zielgruppen anzusprechen.

Zur Positionierung des Unternehmens gehört auch die Frage nach dem Produktspektrum. Allgemein gilt, je größer das Produktspektrum im Verhältnis zur Mitarbeiterzahl, desto problematischer wird die Positionierung und damit die Vertriebsstrategie. Die vertriebliche Ausrichtung des Unternehmens - ob es als reines Softwarehaus oder als VAR (Value Added Reseller) agiert - ist gleichfalls von Bedeutung (siehe Grafik "Merkmale erfolgreicher Unternehmen")

Softwarehaus oder VAR?

Zur klaren Positionierung des Unternehmens gehört auch die vertriebliche Ausrichtung: reines Softwarehaus oder VAR (Vertrieb von Komplettlösungen aus Hardware, Software und Dienstleistungen). Hier gilt es genau abzuwägen, ob zukünftig der Schwerpunkt auf die Softwareentwicklung oder auf den Vertrieb von Komplettlösungen gelegt werden soll.

Als Entscheidungshilfe gilt ein einfaches Merkmal: Dort, wo die besten Erfolge erzielt werden, liegen die Stärken des Unternehmens. Im zweiten Fall ist es unter Umständen zu überlegen, ob zukünftig nicht die Entwicklungsaktivitäten zugunsten der Vertriebsaktivitäten eingeschränkt werden sollten. In jedem Fall ist es wichtig, daß sich das Unternehmen für eine eindeutige Ausrichtung entscheidet, um die verfügbaren personellen Kapazitäten sinnvoll einzusetzen.

Klare Definition der Zielgruppen

Zu einer klaren Positionierung gehört auch die Definition der Zielgruppen. Je prägnanter und genauer die Zielgruppen umrissen werden können, desto gezielter kann die gesamte Vertriebskonzeption gestaltet werden. Die Zielgruppendefinition wirkt sich zudem entscheidend auf die Produktentwicklung aus und ermöglicht eine gezielte Potentialanalyse. Eine genaue Zielgruppendefinition führt somit zur Konzentration aller Kräfte auf die Bearbeitung eines klar begrenzten Marktsegmentes. Entwicklungskapazitäten, Vertriebskapazitäten, Marketingaktivitäten etc. können dann effizienter eingesetzt werden.

Eine klare Zielgruppendefinition ist ein entscheidender Erfolgsfaktor für den Vertriebserfolg.

Je deutlicher sich die Zielgruppe in der Positionierung und im Produktangebot des Unternehmens wiederfindet und je höher der Spezialisierungsgrad auf diese Zielgruppe ausgerichtet ist, desto schneller wird diese Zielgruppe auf den Anbieter aufmerksam.

Überblick über das Marktpotential ist unerläßlich

Sind die Zielgruppen klar umrissen und definiert, so gilt es zunächst das verfügbare Marktpotential zu ermitteln. Die Zahlen erhält man über Adreßverlage, IHKs, Handwerkskammern, Verbände, Dachorganisationen etc. Grundsätzlich sollte vor jeder Produktentwicklung die Frage der Zielgruppen und des Marktpotentials geklärt sein, dennoch ist häufig festzustellen, daß Softwareanbieter nur wenig über den Markt wissen, den sie beliefern möchten. Neben dem zahlenmäßigen Potential an Interessenten ist die Frage der Marktabdeckung mit Softwarelösungen in der Zielgruppe zudem möglichst genau zu beantworten. Viele IHKs, Verbände und Dachorganisationen haben hierzu sehr genaue Zahlen. Sollten keine Zahlen verfügbar sein, so heißt dies nicht, daß man auf diese Werte verzichten müßte. Man muß nicht gleich ein Marktforschungsinstitut beauftragen, um genaue Zahlen zu erhalten, viele Studenten der Bereiche Betriebswirtschaft und Marketing freuen sich über die Möglichkeit, eine praxisrelevante Diplomarbeit über Marktpotentiale und Marketingstrategien zu schreiben.

Das verfügbare Marktpotential entscheidet wiederum maßgeblich über die Vertriebsstrategie. Ein Nischenmarkt mit bundesweit oder europaweit weniger als 5.000 potentiellen Kunden eignet sich kaum zum indirekten Vertrieb über Systemhauspartner. Ein Marktpotential von 50.000 potentiellen Kunden kann nur mit erheblichem finanziellen Aufwand im direkten Vertrieb in kurzer Zeit erschlossen werden.

Wer sind meine Mitbewerber?

Wer den Markt und seinen Mitbewerber kennt, kennt auch seine Stärken und Schwächen und kann sich somit optimal auf den Absatzmarkt einstellen. Hier heißt die Devise, die Stärken der Mitbewerber adaptieren und die Fehler des Mitbewerbers vermeiden.

Klare Zielvorstellungen

Ohne Ziel ist jeder Schuß ein Treffer - doch jeder Schuß geht in eine andere Richtung. Wer ein klares Ziel formuliert hat, weiß, in welche Richtung er gehen muß, welche Mittel er einsetzen muß und er weiß vor allem, ob er sein Ziel erreicht hat oder nicht.

Ziele müssen immer wieder überprüft und mit der aktuellen Situation abgestimmt werden. Neben den globalen Unternehmenszielen, die die Positionierung des Unternehmens, die Zielgruppen und die Philosophie des Anbieters zum Ausdruck bringen sollen, werden für die einzelnen Bereiche Einzelziele formuliert, die jeweils von bestimmten Mitarbeitern verantwortlich betreut werden. Neben den qualitativen Zielen sind selbstverständlich auch quantitative Ziele zu formulieren, das heißt wieviel wollen wir mit welchem Aufwand erreichen?

Im zweiten Teil zum Thema "Vermarktung von Branchensoftware" geht es insbesondere um die Bereiche "Auswahl der geeigneten Vertriebswege" und "Erstellung eines Marketingkonzeptes."

Die beiden Autoren Wolfgang Thumm (links) und Andreas Hellwig sind Geschäftsführer der Marketing Company GmbH in Holzmaden.

AU Thumm, Wolfgang

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