Videoschnittsysteme auf PC-Basis: Erkläglicher Nischenmarkt für Fachhändler

05.08.1998

MÜNCHEN: Für den Handel wird es wichtiger, neue Betätigungsfelder zu finden, um im Wettbewerb mit den Großflächenvermarktern dauerhaft überleben zu können. Beratungsintensive PC-Videoschnittsysteme bieten eine gute Möglichkeit, sich zu profilieren, Kunden zu binden und zusätzlich eine Verbesserung der Ertragslage herbeizuführen.Bleib mir doch weg mit dem Videokram." Diese Aussage ist nicht selten von IT-Händlern zu hören. Kein Wunder, baut doch die Videotechnik auf völlig anderen Grundlagen als die Computertechnik auf. Das galt zumindest noch vor ein paar Jahren. Inzwischen verschieben sich die Grenzen, denn der Videobereich verlagert sich stark in Richtung PC. Besonders deutlich wird diese Tendenz, sieht man sich die großen Hersteller brauner Ware, wie beispielsweise Panasonic oder Sony, an. Verfügten deren Sortimente Anfang der neunziger Jahre noch über ganze Arsenale von stationären Videonachbearbeitungsprodukten, haben sich die Japaner nun fast komplett aus diesem Segment verabschiedet und überlassen das Feld kampflos Spezialherstellern, wie Fast Multimedia oder Pinnacle.

Experten gehen in den nächsten Jahren von einem expandierenden Markt für PC-gestützte Schnittsysteme aus (siehe Grafik). Dafür spricht zum einen die Zahl von zwölf Millionen europäischer Haushalte, die sowohl über einen PC als auch über einen Camcorder verfügen. Zum anderen wird die PC-Technik bei steigender Leistung immer günstiger, so daß momentan noch recht teure Video-Digitalisierungssysteme (Fachbegriff: Capture-Karten) in wenigen Jahren für Bruchteile der heutigen Preise verfügbar sein werden. Durch das bessere Preis-Leistungs-Verhältnis werden neue Anwender hinzukommen und die bestehenden werden ihr Equipment auf den neuesten Stand bringen.

UE-Handel dominiert das PC-Videoschnitt-Geschäft

Die Struktur des Handels in Deutschland für EDV-gestützte Schnittsysteme wird nicht etwa vom PC-Fachhandel dominiert, sondern hauptsächlich von Unterhaltungselektronik- (UE-) Fachhändlern. Das hat verschiedene Ursachen:

- Die Videotechnik existiert länger. Hard- und Software zur Nachbearbeitung wurden erst nach und nach entwickelt.

- Um ein PC-Schnittsystem richtig demonstrieren zu können, ist eine umfangreiche Ausstattung an Videogeräten vonnöten. UE-Händler haben hier bessere Zugriffsmöglichkeiten.

- Die Vertriebswege im UE-Einzelhandel sind anders strukturiert: Um an Ware der großen Hersteller mit guten Konditionen heranzukommen, müssen langfristige Verträge mit teilweise horrenden Abnahmepflichten geschlossen werden, während IT-Produkte praktisch von jedem Gewerbetreibenden über Distributionen sehr einfach zu bekommen sind. Das macht es für den PC-Händler schwieriger, an das passende Equipment heranzukommen, als für den UE-Verkäufer.

- Zeit und Energie für Schulungen zum Thema Videoschnitt aufzubringen scheint den UE-Händlern leichter zu fallen. Der Kontakt der Hersteller zum Handel ist hier enger und Produktschulungen gehören zum Tagesgeschäft.

Engere Bindung der Kartenhersteller an den Handel

Daß sich beratungsintensive Produkte, wie Schnittkarten jenseits von 1.500 Mark Verkaufspreis, nicht von selbst verkaufen, wurde in der Zwischenzeit erkannt.

Die Anbieter Como und Fast setzten bereits seit Jahren auf ein Netz von Fachhändlern, die den Ansprüchen des Unternehmens in puncto Know-how und Auftritt nach außen genügen müssen. "Der Händler sollte sich im Videobereich genauso gut auskennen wie im PC-Bereich. Außerdem erwarten wir Engagement bei Hausmessen und in bezug auf Mailings", erklärt Klaus Unger, Channel Marketing Manager bei der Fast Multimedia AG in München. "Der Markt spaltet sich in Kunden, die nur rumspielen wollen, und diejenigen, die ernsthaft Videonachbearbeitung betreiben wollen, auf. Bei beratungsintensiven Produkten, im Preisbereich über 1.000 Mark, setzen wir auf eine optimale Kundenbetreuung seitens unserer Händler", erklärt Unger die Strategie weiter. Das Unternehmen versucht durch gezielte überregionale Marketingaktionen, mit Händlerempfehlungen den Kaufinteressenten in die Läden zu lotsen.

Auch Pinnacle hat die Zeichen der Zeit erkannt und ist dabei ein flächendeckendes Händlernetz aufzubauen. Unter der Führung von Miro wurde der Handel jahrelang ignoriert. Eine Betreuung fand nicht statt. Nach der Übernahme der Miro Computer Products AG durch Pinnacle kamen die ersten Änderungen. Anfang 1998 wurde ein Konzept ins Leben gerufen, welches darauf abzielt, bis Ende des Jahres 60 Händler zu etablieren. Diese werden verpflichtet, ein Demo-Setup in ihrem Ladengeschäft zu präsentieren und an Produkt-Trainings teilzunehmen.

Im Gegenzug bekommt der Wiederverkäufer bessere Einkaufskonditionen über seinen Distributor und Unterstützung bei Werbemaßnahmen. André Klein, Produktmanager für den Bereich miroVIDEO bei der Pinnacle Systems GmbH in Braunschweig, bringt es auf den Punkt: "Während Produkte für ein paar hundert Mark problemlos über Retailer vertrieben werden können, sind die Anforderungen des Käufers bei hochwertigeren Schnittsystemen wesentlich höher. Er wünscht eine Vorführung und die Beantwortung technischer Detailfragen, um eine Kaufentscheidung treffen zu können."

Vertriebswege und Margen

An die Produkte heranzukommen ist speziell im Falle von

Fast und Pinnacle kein Hexenwerk, da diese über die gängigen Broadline-Distis zu bekommen sind. Interessant wird der Bezug allerdings erst bei Listung als Händler des jeweiligen Produktes. Dann gelten nämlich bessere Einkaufskonditionen, und auch bei Produktneuvorstellungen erfolgt eine bevorzugte Behandlung. So lassen sich in einer Branche mit minimalen Erträgen problemlos Margen von 15 Prozent und mehr erzielen. Außerdem sollte man auch das Folgegeschäft mit Zubehör nicht außer acht lassen. Wie schnell stellt der Kunde fest, daß ohne einen SCSI-Controller, schneller A/V-Festplatte und hochauflösender Grafikkarte das Video auf seinem Rechner nicht so recht laufen will, und tätigt weitere Investitionen zur Aufrüstung seines Equipments.

Bei Como spart man sich den Vertriebsweg über Distributoren und liefert direkt an den Handel. Damit soll eine bessere Betreuungsqualität und auch eine höhere Preisstabilität erreicht werden. Tatsächlich hat man den Eindruck, daß die Produkte der Raisdorfer weniger dem Preisdruck unterworfen sind, als die der Konkurrenz. Die Einkaufskonditionen sind nach Stückzahlen gestaffelt. Leistungen wie Nennungen auf der Internet-Homepage oder Marketinghilfe in Form von vorbereiteten Kunden-Mailings gehören ebenfalls zur Unterstützung des Handels.

Was Unterhaltungselektronik betrifft, werden sich die Vertriebswege in naher Zukunft ändern. Auch der reine IT-Händler wird in die Lage versetzt werden, beispielsweise an Camcorder zu guten Konditionen heranzukommen. Pinnacle möchte auf diesem Gebiet neue Wege beschreiten und ist gerade mit Sony im Gespräch, um Bundles bestehend aus Schnittkarte und Camcorder anzubieten. "Die Welten wachsen zusammen", ist sich Pinnacle-Manager Klein sicher. "Durch die Zusammenführung von Computer- und Videotechnik ergeben sich für den Handel und die Branche insgesamt neue Perspektiven", spekuliert der Manager weiter.

Stolperfallen bei der Warenbeschaffung

Nervig wird es für den Händler dann, wenn er Produkte einer Familie aus verschiedenen Kanälen beziehen muß - so Usus im Falle von Fast: Während die "Butter und Brot"-Produkte von Distributoren bezogen werden, muß sich der Händler die Ware aus dem Profi-Bereich über sogenannte FPPs (Fast Professional Partner) beschaffen. Um das Wirrwarr komplett zu machen, gibt es Zubehör wie Steckbrücken und Kabelpeitschen ausschließlich beim Hersteller direkt. "Uns nervt die Auftrennung der einzelnen Produktlinien", beschwert sich Friedhelm

Schaal, Geschäftsführer der Firma EP:Phonomotion GmbH, einem Fast DTV-Center in Konstanz. "Allein der organisatorische Aufwand, mit drei verschiedenen Kreditoren zu arbeiten, erschwert den täglichen Ablauf. Zudem müssen wir die Preise, trotz Händlerstatus, zwischen den einzelnen Distributoren vergleichen, um nicht selten Preisnachteile von mehreren hundert Mark zu vermeiden", erklärt der Geschäftsführer gegenüber ComputerPartner. Friedhelm Drüke, verantwortlich für den Bereich Videoschnitt bei der Firma Lantec in Paderborn, sieht die Situation ähnlich: "Auch bei diesen Produkten tobt der Preiskampf. Daher würden wir uns seitens der Hersteller strengere Richtlinien bei der Preisgestaltung und einen noch selektiveren Vertrieb wünschen."

Die Frage der Präsentation

Ist der organisatorische Aufwand der Warenbeschaffung bewältigt, ist es am Händler, den Weg des Verkaufserfolges zu suchen. Die Retail-Verpackungen ins Regal zu stellen und darauf zu hoffen, daß die Produkte alleine den Weg zur Kasse finden, wird kaum zum gewünschten Ergebnis führen. Folgende Punkte sollten bei der Umsetzung des Konzeptes beachtet werden:

- Präsentation: Ein funktionsfähiger Schnittplatz mit allen wichtigen Geräteelementen, wie Zuspiel- und Aufnahmegeräten, Videomonitoren und natürlich ein oder mehreren Schnitt-

- Auswahl: Mit der Demonstration einer Karte ist es in der Regel nicht getan. Der Kunde will Produkte und unterschiedliche Anwendungen vergleichen können.

- Demonstration: Die Aussage "Mit dieser Karte können Sie ganz tolle Filme machen!" reicht nicht. Der Kunde will sehen, wie mit dem Schnittprogramm gearbeitet wird und was daraus entstehen kann. Sinnvoll ist eine abschließende Vorführung eines kurzen Demonstrationsfilmes. Dabei sollte man aber weniger die vom Hersteller zur Verfügung gestellten Profiproduktionen verwenden. Mehr Sinn macht ein selbst erstelltes Werk, vielleicht mit Aufnahmen aus der Region, in dem der Kunde seine Passion für das Videofilmen wiedererkennen kann.

- Kompetenz: Schulung heißt die Devise. Auch wenn es Zeit und Geld kostet: Genaue Produktkenntnis und die Problembewältigung bei Installation und Konfiguration kommt dem Händler im Beratungsgespräch und bei der Kundennachsorge zugute. In diesem Zusammenhang sind Anwenderschulungen und Support auch eine weitere Möglichkeit, um zusätzlichen Umsatz zu generieren. Die Kunden sind dankbar, wenn sie einen Händler mit kompetenter Betreuung in ihrer Nähe wissen. Der Preis spielt dabei nur eine untergeordnete Rolle. Fast, Como und Pinnacle bieten regelmäßig Seminare und Fortbildungen für Händler an, in denen gezieltes Wissen zu einzelnen Themen der Videonachbearbeitung vermittelt wird.

- Tue Gutes und sprich darüber: Wer sich im Bereich der Videonachbearbeitung stark machen will, der sollte das auch nach außen transportieren. Vor allem neue Medien wie das Internet sind ein gutes Transportmittel, da viele Kunden hier gezielt nach Infos zum Thema Videoschnitt suchen.

Fazit: Der Kunde honoriert Kompetenz

Aller Anfang ist schwer. Sich im Bereich der PC-Videonachbearbeitung fit zu machen ist vor allem ein Zeitproblem. Für Neueinsteiger sind Schulungen zu diesem Thema unerläßlich. Jedoch ist die Anstrengung die Mühe wert, denn eine Erweiterung des Sortimentes bietet neue Möglichkeiten, sich vom Mitbewerb zu unterscheiden. Die Gefahr, bei niedrigstem Preis nur auf die schnelle Mark zu schauen, ist zu hoch, zumal der Kampf gegen die Großflächenvermarkter nicht gewonnen werden kann. Daher sollte versucht werden, die Kundenbindung durch Alleinstellungsmerkmale zu verstärken und einen Mehrwert zu schaffen. PC-Videoschnitt liefert dafür beispielsweise gute Voraussetzungen. Das Produkt ist beratungsintensiv, ist in der Regel nur über selektive Vertriebskanäle zu bekommen und genießt einen hohen Grad an Unterstützung seitens der Hersteller. (akl)

Digital-Camcorder dominieren die Zukunft

Die Studie von 1997 geht davon aus, daß sich ab 1999 die

Absatzzahlen von Video-Capture-Karten durch ein besseres Preis-Leistungs-Verhältnis stark erhöhen werden.

So könnte ein Vorführschnittplatz aussehen:

Zwei vorführbereite Schnittsysteme mit passendem Video-Equipment.

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