Virtuelle Unternehmen - eine noch besondere Form der Kooperation

28.11.1997
LEVERKUSEN: Erfolgreiche Unternehmen, das haben Untersuchungen ergeben, kooperieren häufiger mit anderen Firmen als die weniger erfolgreichen. Der Vorteil auch für kleinere und mittlere Unternehmen liegt auf der Hand: Sie können so auch komplexe Projekte ohne Flexibilitätseinbußen abwickeln. Eine besondere Form der Kooperation ist das sogenannte "Virtuelle Unternehmen". Wie so etwas aussieht und was es zu beachten gilt, zeigt das Beispiel der vor kurzem gegründeten Rationet AG in - ja wo eigentlich?Als der ehemalige Marketingmanager William H. Davidow und der Fernsehjournalist Michael S. Malone vor einigen Jahren mit ihrem Buch "The Virtual Corporation" die Bestseller-Listen bei den Wirtschaftstiteln stürmten, waren sie mit ihren Gedanken der Praxis noch ein gutes Stück voraus. Ihre Kernthese: Zeitlich begrenzte Allianzen von Firmen, die ohne Hierarchie, starren Organisationsplan und vertikale Integration auskommen, werden zur vorherrschenden Unternehmensform des 21. Jahrhunderts avancieren. Geprägt wurde das Wort vom virtuellen Unternehmen übrigens Anfang der 90er Jahre vom Digital-Equipment-Manager Jan Hopland, der es vom EDV-Fachausdruck "virtueller Speicher" ableitete.

LEVERKUSEN: Erfolgreiche Unternehmen, das haben Untersuchungen ergeben, kooperieren häufiger mit anderen Firmen als die weniger erfolgreichen. Der Vorteil auch für kleinere und mittlere Unternehmen liegt auf der Hand: Sie können so auch komplexe Projekte ohne Flexibilitätseinbußen abwickeln. Eine besondere Form der Kooperation ist das sogenannte "Virtuelle Unternehmen". Wie so etwas aussieht und was es zu beachten gilt, zeigt das Beispiel der vor kurzem gegründeten Rationet AG in - ja wo eigentlich?Als der ehemalige Marketingmanager William H. Davidow und der Fernsehjournalist Michael S. Malone vor einigen Jahren mit ihrem Buch "The Virtual Corporation" die Bestseller-Listen bei den Wirtschaftstiteln stürmten, waren sie mit ihren Gedanken der Praxis noch ein gutes Stück voraus. Ihre Kernthese: Zeitlich begrenzte Allianzen von Firmen, die ohne Hierarchie, starren Organisationsplan und vertikale Integration auskommen, werden zur vorherrschenden Unternehmensform des 21. Jahrhunderts avancieren. Geprägt wurde das Wort vom virtuellen Unternehmen übrigens Anfang der 90er Jahre vom Digital-Equipment-Manager Jan Hopland, der es vom EDV-Fachausdruck "virtueller Speicher" ableitete.

Synergieeffekte zwischen den Partnern

Inzwischen gibt es auch in Deutschland erste Beispiele für die praktische Umsetzung dieser Vorstellungen. So die im September 1997 von vier Firmen gegründete Rationet AG, die sich auf Dienstleistungen im Bereich Multimedia, Internet und Cross Media-Publishing spezialisiert hat. "Für jeden Kundenwunsch können wir ein speziell darauf abgestimmtes Expertenteam zusammenstellen", betont der erste Vorstand des Unternehmensverbundes, Dieter W. Scholt, der gleichzeitig Geschäftsführer der Leverkusener Kommunikationsagentur Lüttgen & Scholt GmbH ist. Sein Unternehmen kann vor allem Kompetenz im Bereich Digital Marketing vorweisen und übernimmt in der Rationet AG insbesondere die Strategie- und Konzeptentwicklung. Die Codes GmbH in Bornheim konzentriert sich dagegen als Multimedia-Entwickler auf die Erarbeitung von elektronischen Katalogen, die Entwicklung datenbankgestützter CD-ROMs und Internet-Auftritte. Die ebenfalls in Bornheim ansässige i.NET GmbH liefert dazu die passenden technischen Konzeptionen sowie die dahinterstehenden Datenbanken. Als vierte im Bunde fungiert die fundamenta Gesellschaft für strategische Unternehmensentwicklung mbH in Leverkusen, die übergreifendes Management-Know-how in das virtuelle Unternehmen einbringt.

Weitere Partner wie die Bonner Moeller Publishing GmbH, die sich im wesentlichen auf die Produktion von Cross-Media-Produkten wie CD-ROM-, Internet- und Printkataloge oder Teleselling-Systeme konzentriert, oder die Rollenoffset-Druckerei Südwestrolle GmbH in Stuttgart und der Druckvorstufen-Spezialist Einsatz Creative Produktion GmbH ergänzen das Angebot der AG-Mitglieder. Gleichzeitig sorgen diese Partner für Vor-Ort-Präsenz in Nord- und Süddeutschland. "Wesentlich bei diesem Unternehmensmodell ist, daß es Synergieeffekte zwischen den einzelnen beteiligten Firmen gibt", betont Scholt.

Jederzeitige Trennung muß möglich sein

Dadurch kann der Verbund medienübergreifende Produktionen realisieren, an deren Komplexität andere mittelständische Unternehmen meist scheitern. Um dennoch die für die Kunden attraktive Flexibilität eines kleinen Unternehmens zu bewahren, ist es absolut notwendig, die partnerschaftlichen Beziehungen offen zu halten.

"Die Verträge müssen so gestaltet sein, daß bei Nichtgefallen Partner ausgetauscht oder neue hinzugezogen werden können", fordert deshalb der Ober-Ramstädter Unternehmensberater Andrè F. Reuter, der sich intensiv mit dem Thema beschäftigt hat. Auch in der Rationet AG arbeitet jedes Mitglied weiterhin selbständig an eigenen Projekten und legt eigenständig seine künftige Entwicklungslinie fest. Auf diese Weise bleiben die Wege zur Entscheidungsfindung kurz, so daß Investitionen oder strategische Veränderungen rasch realisiert werden können. "Schließlich würde es unsere Entwicklung mit Sicherheit lähmen, wenn alle Rationet-Partner plötzlich darüber mitdiskutieren, auf welcher Plattform wir beispielsweise unsere CD-ROMs entwickeln oder welches digitale Videoformat wir künftig unterstützen wollen", benennt Codes-Geschäftsführer Friedrich Engstfeld ein praktisches Beispiel.

Effiziente K3-Prozesse sind Voraussetzung

Um die selbständigen und gemeinsamen Geschäftsfelder ohne Reibungsverluste unter einen Hut zu bringen, ist eine entsprechende Koordination nötig. Holger Luczack, Professor für Arbeitswissenschaft an der Rheinisch-Westfälischen Technischen Hochschule Aachen und Direktor des Forschungsinstituts für Rationalisierung, sieht den Schlüssel zum Erfolg in diesem Zusammenhang in effizienten Koordinations-, Kommunikations- und Kooperationsprozessen, kurz den "K3-Prozessen".

Kooperation bezeichnet dabei die Zusammenarbeit verschiedener Mitarbeiter aus unterschiedlichen Firmen, Bereichen oder Ebenen. Während sich die Koordination auf die typischen Aufgaben eines Projektmanagements wie Arbeitsverteilung, Zeitpläne, Ressourcenzuordnung oder Terminverfolgung bezieht, umfaßt der Begriff Kommunikation den Austausch aller am Projekt beteiligten Mitarbeiter, und zwar sowohl im persönlichen Gespräch als auch unter Einsatz aller zur Verfügung stehenden Kommunikationsmedien.

"Zur Unterstützung von K3-Prozessen in Teams haben moderne Informations- und Kommunikationstechnologien enorme Potentiale", erklärt Luczack. Schließlich müssen Unternehmensgrenzen, Entfernungen, Hierarchien und auch Konkurrenzen überwunden werden. Das geht nicht ohne einen umfassenden Austausch.

Konzentration auf die Kernkompetenzen

Für die von Rationet akquirierten Projekte wurden innerhalb des Verbundes durchaus Claims abgesteckt", erklärt auch Codes-Geschäftsführer Engstfeld. "Da die Auftragslage derzeit aber mehr als gut ist, braucht eigentlich keiner Angst davor zu haben, daß ihm ein anderer die Butter vom Brot nimmt", fügt er zufrieden hinzu.

Hat ein Partner einen Auftrag an Land gezogen, den er in die Gemeinschaft einbringt, erhält er dafür eine entsprechende Provision. Bekommt dagegen eine Firma des Verbundes einen Auftrag von Rationet, gewährt sie dem virtuellen Unternehmen einen marktüblichen Rabatt. Dafür übernimmt die Aktiengesellschaft Akquisition und Projektmanagement.

"So kann sich jede Firma auf ihre Kernkompetenz konzentrieren, während das leidige Thema der Vermarktung, mit dem jeder für sich allein Schwierigkeiten hat, in übergeordneten Händen gut aufgehoben ist", führt i.NET-Geschäftsführer Holger Rasch einen weiteren Vorteil des Zusammenschlusses ins Feld und blickt vertrauensvoll in die Zukunft: "Ich denke, mit dieser geballten Kompetenz können wir jedes große Projekt realisieren."

Dabei ist das Gebilde nach dem Willen seiner Gründungsväter längst noch nicht ausgewachsen. Scholt: "Es handelt sich keinesfalls um ein geschlossenes, starres System." Veränderte Anforderungen der Kunden - so die Firmenphilosophie - können auch zu Veränderungen der Struktur führen, indem zum Beispiel weitere Spezialisten wie Digital-Fotografen integriert werden.

Weltweit ist die neue Organisationsform mittlerweile unaufhaltsam auf dem Vormarsch. Nach Schätzungen des Unternehmensberaters Hans-werner Voss, der am amerikanischen Massachusetts Institute of Technology (MIT) an der Studie "Inventing the Organizations of the 21. Century" mitarbeitet, existieren bereits 250.000 virtuelle Unternehmen rund um den Globus. "Diese Zahl wird sich in den kommenden Jahren verfünffachen", prophezeit der Consultant.

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