Von den Nöten, ein Chef zu sein

25.04.1997
MÜNCHEN: Wer wünscht sich nicht, der Boß zu sein. Und wer glaubt nicht, alle hierfür notwendigen Eigenschaften heute oder in Bälde vorweisen zu können. Chefsein ist jedoch ein täglicher Drahtseilakt zwischen Entscheidung, Verantwortung und Vorbildrolle und stößt in vielen Fällen auf wenig Gegenliebe. Eine Situationsskizze von Stefan Rohr*.Sie sind Chef. Entschuldigung: der Chef. Der einzige und alleinige. Sie bestimmen, was geschieht, Sie haben alle Fäden in der Hand, Sie sind Herr über Einstellung und Entlassung. Sie bestimmen Zeit, Richtung und Ziele. Sie kreieren den Erfolg und bestimmen die Verteilung. Als Chef können Sie die Zeit zurückdrehen, die Nacht zum Tag werden lassen, über Gut und Böse richten. Ein kleiner Gott im eigenen Reich. Keine Obrigkeit - nur Sie selbst.

MÜNCHEN: Wer wünscht sich nicht, der Boß zu sein. Und wer glaubt nicht, alle hierfür notwendigen Eigenschaften heute oder in Bälde vorweisen zu können. Chefsein ist jedoch ein täglicher Drahtseilakt zwischen Entscheidung, Verantwortung und Vorbildrolle und stößt in vielen Fällen auf wenig Gegenliebe. Eine Situationsskizze von Stefan Rohr*.Sie sind Chef. Entschuldigung: der Chef. Der einzige und alleinige. Sie bestimmen, was geschieht, Sie haben alle Fäden in der Hand, Sie sind Herr über Einstellung und Entlassung. Sie bestimmen Zeit, Richtung und Ziele. Sie kreieren den Erfolg und bestimmen die Verteilung. Als Chef können Sie die Zeit zurückdrehen, die Nacht zum Tag werden lassen, über Gut und Böse richten. Ein kleiner Gott im eigenen Reich. Keine Obrigkeit - nur Sie selbst.

Chefsein ist deshalb das Ziel vieler Karrieristen - unabhängig ihrer fachlichen oder sozialen Kompetenzen. Gesellschaftlich zutiefst als Sinnbild par excellence für Erfolg und persönliches Charisma, ist es Leitbild und verpflichtendes Muß für jeden, der etwas auf sich hält. Der Chefstatus sichert höchste Anerkennung bei Schwiegermüttern, ehemaligen Mathematiklehrern, Nachbarn, Oberkellnern und flüchtigen Partybekanntschaften. Als Chef genießt man die Bewunderung sämtlicher Opportunisten der Welt. Ja, Chef geworden zu sein ist sogar geeignet, mangelnde Schönheit zu kompensieren und dient als befriedigender Ausgleich für so manche Ohrfeige auf dem Schulhof.

In den Augen Ihrer Bewunderer sind Sie frei und unabhängig. Ihr Arbeitstag währt maximal vier Stunden oder gerade die Zeit, die Sie für achtzehn Löcher auf dem Golfplatz benötigen. Urlaub ist möglich, wann immer Sie es für nötig empfinden. Sie kommen und gehen, wie Sie es für richtig halten. Scharen von Sekretärinnen, die allesamt Topkarrieren als Fotomodell für Sie aufgegeben haben, umringen und bemuttern Sie, wenn Sie es denn nur wünschen. Sie werden geliebt und geachtet, bestaunt und als Beispiel für Scharfsinn, Durchsetzungs-vermögen und Aufstieg im Kreise von Verwandten, Freunden und Kaffeekränzchen verwendet. Sie haben aber auch gelernt, mit Haß umzugehen. Allesamt Neider, Nieten, Flachstrandsegler oder Mehlaugen, die durch das von Ihnen aufgestellte Raster gefallen sind. Das Maß der Dinge ist nun einmal der Chef. Da wo er ist, ist oben, ganz weit oben.

Die Qualen und Lasten eines Chefs

Doch als Chef werden Sie stets falsch verstanden. Verständnis ist meist aufgesetzt und selten ehrlich gemeint. Wer weiß schon von den vielen täglichen Qualen und Lasten, die Sie zu tragen haben? Wer berücksichtigt, daß Sie es sind, der allein die gesamte Verantwortung verantwortlich verantwortet? Und wer erkennt die abgrundtiefe Isolation und Alleinstellung, in der Sie sich als Chef befinden? Sie selbst haben ja keinerlei Protektion im Unternehmen, keine eigentlichen Kollegen und erst recht keine Freunde. Und Sie haben auch niemanden mehr, in dessen Körpergefilden Sie sich warm und abgesichert ausruhen können. Als Chef vereinsamen Sie unweigerlich mit jedem Tag mehr. Es gibt weder echte Vertraute noch verläßliche Garanten.

Umgeben von Abhängigen verabscheuen Sie alle Kriecher in Ihrem Umfeld, empören sich innerlich über die notorischen Jasager und Taktierer. Ihre Moral verbietet Ihnen die Duldung von Parasiten und Anal-Karrieristen, obwohl Sie sich oft der strategischen Vorteile nutzbringend bedienen müssen. Ihre Patriarchen-Funktion hemmt Sie in der freien Entfaltung von überschwenglichen Gefühlen und kecken Streichen. Menschsein ist mit Ihrem Chefdasein nicht vereinbar. Die Gefahr, Autorität und Respekt hierüber zu verlieren verbietet Ihnen ungehöriges Lächeln, private Konversation und jedwede persönliche Bloßstellung. Lieblinge dürfen Sie ebensowenig haben, wie ausgewiesene Sündenböcke.

Sie müssen zudem in allem der Beste sein. Richtungsweiser, Qualitäts-messer und Macher. Sie wissen über alles am besten Bescheid. Und wenn Sie nicht viel Wichtigeres zu tun hätten, würden Sie ohnehin lieber alles selbst machen. Delegieren von Verantwortung ist Ihnen eigentlich so verhaßt, wie dem Teufel das Weihwasser. Doch Sie können sich nicht vierteilen. Deshalb ist eine Verteilung nach "unten" unumgänglich. Und solange keiner wirklich besser ist als Sie, müssen Sie eben noch kontrollieren, verbessern und belehren. Ein Hundeleben!

Ihr Managementstil ist individuell - weil Sie sich schließlich auch alles ohne Methode erarbeitet haben - und wird in 98 von 100 Entscheidungen von Ihrer Bauchspeicheldrüse gesteuert. Niemand versteht eigentlich richtig, warum Sie was wie entscheiden. Und entscheiden müssen Sie viel. Schließlich wissen ausschließlich Sie selbst, was aktuell wichtig ist und wie etwas nach welchen Notwendigkeiten abgewickelt werden soll. Sie geben präzise Anweisungen und erwarten ebensolche Ausführung. Einen globalen Überblick können Sie dabei keinem Mitarbeiter zumuten. Einerseits wird viel zu viel Zeit damit verbracht, Hintergründe und Zusammen-hänge darzustellen, andererseits überfordert das in der Regel ohnehin die geistige Kapazität Ihrer Untertanen. Ach, wären doch alle so wie Sie.

Der Chef ist sein eigener Querschläger

Einem Konflikt allerdings können Sie nicht aus dem Wege gehen. Auch wenn Sie der Chef sind. Es gibt einen Mitarbeiter, der stets quer schlägt, ein äußerst schwankendes Leistungsniveau vorzeigt, störrisch, unbelehrbar und konfliktscheu ist, Eigenbrötlerei ständig mit Kreativität verwechselt und sich nie an das hält, was ihm aufgetragen wurde. Und dieser Mitarbeiter sind Sie selbst.

Sie halten sich nur unvollkommen an Termine, Ihre Launen sind wechselhaft und unvorhersehbar wie das Aprilwetter. Mal wollen Sie den Kaffee mit Zucker, mal wieder nur mit Milch. Sie sprechen nicht mit sich und informieren sich somit auch nicht genügend. Sie üben keinerlei Selbstkritik und es fehlt Ihnen am Lernwillen und an Kontinuität.

Ihre Fertigkeiten sind längst nicht so gut, wie Sie es in den Unternehmensstandards festgelegt haben. Sie schreiben zum Beispiel äußerst mies Schreibmaschine, Sie kochen den schlechtesten Kaffee, Ihr Schreibtisch ist stets unaufgeräumt und wirr. Sie selbst haben die chaotischste Ablage und machen alle anderen dafür verantwortlich. Ihre To-do-Planung ist bereits hinfällig, wenn Sie den vierten Punkt formuliert haben.

Die von anderen verlangte Pünktlichkeit wird von Ihnen selbst äußerst ungenügend zelebriert. Ihr Teamgeist beschränkt sich auf die Weihnachtsfeiern und die Teeküche kennen Sie nur aus dem Vorbeigehen. Sie haben noch nie die Kaffeemaschine neu bestückt, wenn Sie den letzten Kaffee genommen haben und das Kopierpapier haben stets andere nachgefüllt. Sie kennen nicht die Geburtstagsdaten Ihrer Mitarbeiter und bemerken nie die neue Frisur Ihrer Sekretärin.

Ihr Auto ist größer, als es im vertrieblichen Sinne zulässig wäre. Selbst der größte Spesenritter, führen Sie Feldzüge gegen unsinnige Reisekosten und Restaurantrechnungen, verfassen Handbücher über diesbezügliche Richtlinien, die Sie selbst allerdings nie beachten. Ihr Büro ist überproportional dimensioniert, obwohl doch alle die Kosten im Auge behalten sollen.

Ihre Kritikfähigkeit tendiert gen Null und das Ausbleiben hieb- und stichfester Argumente wird durch Anheben der Stimmbänder - bis hin zur Tobsucht - kompensiert. Verbesserungsvorschläge werden als persönliche Diskreditierung wahrgenommen oder als Diebstahl des eigenen geistiges (Chef-)Gutes mit weitreichenden Konsequenzen sanktioniert. Polemik in der Debatte und Unsachlichkeit in der Begründung werden meisterhaft von Ihnen beherrscht. Und Sie selbst hegen als einzig Legitimierter den Anspruch, so genommen werden zu müssen, wie Sie nun einmal sind - schließlich sind Sie ja der Chef.

Trotz aller Indifferenzen sind Sie mit sich selbst jedoch äußerst zufrieden, beurteilen subjektiv Ihre eigene Leistung als hervorragend und besetzen ungefragt die Hauptrolle des Vorbildes. Sind Sie doch das gute Beispiel für Engagement, Zuverlässigkeit und Wissen. Und sind Sie mal ungerecht oder unbeherrscht, liegt das an der Arbeitsüberlastung, da ja schließlich auch alles an Ihnen hängt. Ihre Mitarbeiter tun alles, um Sie frühzeitig ins Grab zu bringen und nur selten das, was Sie von Ihnen verlangen. Mitdenken ist zwar Pflicht, gleichzeitig jedoch auf das Schärfste verboten. Und überhaupt: Denken bleibt den Pferden überlassen - denn die haben den größeren Kopf.

Sie sind mir hoffentlich jetzt nicht allzu böse! Habe ich Ihnen etwa einen matten aber dennoch deutlichen Spiegel vorgehalten? Natürlich ist die Chefrolle die schwierigste, die Sie sich haben aussuchen können. Doch Sie wollten es ja so. Selbst schuld. Keiner wird mit dem Ledersessel am Steiß geboren. Alle Chefs der Welt haben sich selbst in diese Funktion verfrachtet. Anfänglich haben alle auch geglaubt, hierfür alle Eigenschaften mitzubringen, geborene Führer und Leitfiguren zu sein.

Chefs sind die ersten, die Mißstände beseitigen können

Das Ideal der Karriere ist ein Trugschluß. Der härteste Job ist stets der in der Spitze. Doch die Spitze ist es auch, die am ehesten in der Lage ist, Mißstände auszuräumen und durch vorbildhaftes Verhalten die Atmosphäre zu prägen. Ein Chef macht auch mal Fehler, weiß auch mal nicht genau Bescheid, kann nicht alles wissen und ist vor allem auch ein Mensch. Ein Chef, der das zugeben kann, ist ein wirklicher Chef.

Nur Sie selbst haben sich über alle Stationen dort hingebracht, wo Sie heute stehen. Klagen Sie also nicht. Machen Sie das Beste daraus und denken Sie immer daran, daß es weitaus mehr Menschen gibt, die einen Chef haben, als Menschen, die Chef geworden sind.

* Stefan Rohr ist geschäftsführender Gesellschafter der r&p management consulting Hamburg/Düsseldorf/Frankfurt

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