Das Hemmniss der digitalen Transformation

Vorsicht vor der Intelligenzfalle

Jochen Adler hat in verschiedenen Kulturen gearbeitet – vom Start-Up bis zum globalen Großkonzern und als Grenzgänger zwischen streng hierarchischer, bürokratisch geprägter Unternehmensführung und der Generation Y der Digital Natives. Seit 20 Jahren befasst er sich damit, wie sich Kunden- und Konsumentenerwartungen wandeln, wie aus losen Informationen richtungsweisende Erkenntnisse werden, und wie Digitaltechnologie unser Leben verändert.

Entscheider und Gestalter sollten sich in Acht nehmen, nicht in die Intelligenzfalle zu tappen.

Grade besonders intelligente Menschen tappen mitunter in eine "Intelligenzfalle". Sie sind verleitet, ihre gefestigte Meinung zu verteidigen, statt nach Alternativen zu suchen oder offen zu bleiben für Veränderungen und Überraschungen. Das hat der britische Mediziner, Kommunikationswissenschaftler und Schriftsteller Dr. Edward de Bono schon vor Jahren beschrieben. Im Zuge der digitalen Transformation in Organsisationen und der Gesellschaft entfaltet dieses Verhalten jedoch eine besondere Sprengkraft, wenn Entscheider und Gestalter in der Intelligenzfalle sitzen.

Die Wege aus der Intelligenzfalle: Von Anderen lernen, neue Kreativtechniken anwenden und Fehler zulassen.
Die Wege aus der Intelligenzfalle: Von Anderen lernen, neue Kreativtechniken anwenden und Fehler zulassen.
Foto: Kues - shutterstock.com

Diese intelligenten Menschen sind Gefangene falscher Ansichten, denn sie können ihren Standpunkt gut rechtfertigen. Außerdem will ein Mensch, der sich daran gewöhnt hat, intelligenter als andere zu sein (vielleicht durchaus eine berechtigte Meinung), von seiner Intelligenz profitieren. Das geht am schnellsten und besten, wenn er andere Meinungen widerlegt. Diese Strategie bringt sofortigen Erfolg und beweist seine Überlegenheit.

Anders ausgedrückt: Konstruktiv sein lohnt sich oft gar nicht. Schließlich kann es Jahre dauern, nachzuweisen, dass eine neue Idee richtig ist. Wer kritisch und destruktiv ist, hat also mehr Spaß an seiner Intelligenz. Was der Entwickler der Kreativitätstechnik "Sechs Denkhüte", Edward de Bono, im "Management-Handbuch" Denkschule anspricht, ist auch für den Unternehmensalltag in gewissem Sinne problematisch. Nicht selten stellen sich die besten Ingenieure nach einer Beförderung als die schlechtesten Manager heraus.

Doch Veränderungen zwingen uns dazu, gewohntes Verhalten zu hinterfragen und neu hinzuzulernen. Vor allem mit der digitalen Transformation hat sich die Geschwindigkeit, in der sich Wirtschaft und Gesellschaft verändern, spürbar erhöht. Neue Technologien wie Smartphones, soziale Netzwerke, Künstliche Intelligenz und Analysen schier endloser Datenbestände erlauben völlig neue Geschäftsmodelle.

Da die Möglichkeiten dieser Technologien exponentiell steigen – und nicht linear, wie es unserer kognitiven Gewohnheit und der Erfahrung aus anderen intellektuellen Disziplinen entspricht – erscheinen uns die Veränderungen radikal.

Weil die neuen Technologien in Organisationen auch neue Rahmenbedingungen schaffen, hat sich die "Halbwertzeit" gesicherter Erkenntnisse – also dessen, was man glaubt zu wissen und was man nicht in Frage stellt – erheblich verkürzt. Dazu gehören Aspekte wie

  • extreme Kundennähe und Kundenzentrierung,

  • Agilität in der Projektdurchführung und -organisation,

  • Führung verteilter Teams und

  • Zusammenarbeit über Abteilungsgrenzen hinweg.

Was im Business heute noch gelebte Gewohnheit ist, kann längst schädlicher Ballast sein. In der heutigen VUCA-Geschäftswelt ist die Gefahr, in de Bono's Intelligenzfalle zu tappen, also noch viel größer als je zuvor.

Für die Unternehmensleitung lassen sich damit konkrete Handlungsanweisungen ableiten:

  • Versuchen Sie, ein bisschen wie ein Kind die Haltung eines Anfängers beziehungsweise Neulings zu bewahren. Im japanischen Zen spricht man von "shoshin". Lernen Sie von jungen Kolleginnen und Kollegen. Oder von Kindern aus Ihrem privaten Umfeld.

  • Nutzen Sie Techniken wie Design Thinking und Prototyping, um neue Ideen "gefahrlos" auszuprobieren und schnell zu erkennen, was fehlschlägt oder schiefgeht. Und haben Sie keine Scheu, Experimente dann auch zu beenden.

  • Nehmen Sie Ihren Mitarbeitenden die Angst vor Fehlern, die in den meisten Kulturen leider allzu tief verwurzelt ist. In einer neuen Zeit gelten neue Gesetze. Da darf man auch mal nass werden. Um Schwimmen zu lernen, muss man ins Wasser!

  • Führungskräfte werden normalerweise darauf getrimmt, sich schnell eine Meinung zu bilden und auch zu urteilen. In ihrem digitalen Umfeld sollten sie jedoch zurückhaltender urteilen, bis sie es auch ausprobiert haben. Es ändert sich einfach zu viel gleichzeitig.

Die digitale Transformation ist nämlich tiefgreifend, sie bringt einen epochalen Kulturwandel. Immer daran denken: Gerade die brillantesten Köpfe des Unternehmens, die am gewandtesten argumentieren oder auch am lautesten trommeln, könnten diejenigen sein, die am tiefsten "in der Denkfalle" stecken.

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