Customer Centricity

Warum Amazon mehr Freund als Feind ist

Nils Seebach ist Digital-Unternehmer, -Stratege und -Innovator. Als Serien-(Co-)Gründer von zwei Dutzend Unternehmen und Berater für digitale Strategien arbeitet er aktiv an der Digitalisierung Deutschlands. Heute ist er vor allem als CFO der strategischen Digitalberatung Etribes, Gründer der Wald & Wiese Holding und als Aufsichtsrat der Phoenix Pharma SE tätig.

B2C- wie B2B-Unternehmen können vor allem in Sachen Kundenzentrierung von Amazon lernen – und von einer Zusammenarbeit sogar profitieren.
 Der Online-Handel ist im Vergleich zum stationären Handel bequemer, schneller, und günstiger, dabei ohne Qualitätseinbußen - Amazon macht`s vor.
Der Online-Handel ist im Vergleich zum stationären Handel bequemer, schneller, und günstiger, dabei ohne Qualitätseinbußen - Amazon macht`s vor.
Foto: Hadrian - shutterstock.com

Wenn der Name “Amazon” fällt, zucken viele Hersteller und Marken vor Ehrfurcht. Ob als Konkurrent oder Partner, die Plattform stellt sie aufgrund ihrer hohen Dynamik und Ansprüche vor große Herausforderungen. Ein Satz, den Amazon ans Ende einer jeden Pressemitteilung setzt, fasst zusammen, wofür das US-Unternehmen von Käufern geliebt und von Unternehmen gefürchtet wird: “Amazon wird von vier Grundprinzipien geleitet: Fokus auf den Kunden statt auf den Wettbewerb, Leidenschaft fürs Erfinden, Verpflichtung zu operativer Exzellenz und langfristiges Denken.”

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Es ist vor allem die dahinterstehende Mentalität, die Amazon erfolgreich macht: “Day 2 is stasis. followed by irrelevance. Followed by excruciating, painful decline. Followed by death. And that is why it is always Day 1”, schrieb Amazon-Gründer Jeff Bezos 2016 in einem Brief, der an Shareholder adressiert war. Sich immer wieder hinterfragen, nicht still stehen – das macht Amazon zum Innovationstreiber im Handel.

Kunden- statt Produktfokus

Dass der uneingeschränkte Kundenfokus – im Englischen Customer Centricity – von Amazon zu Irritationen oder Überforderung führt, liegt daran, dass gerade der deutsche Mittelstand in weiten Teilen immer noch durch einen starken Produktfokus geprägt ist. Die Unternehmen gehen also vor allem davon aus, dass ihre Kunden bereit sind, für einen höheren Standard auch mehr zu zahlen. Der daraus erwachsende Anspruch an ein Produkt oder ein Dienstleistung treibt den Preis in die Höhe.

Die Digitalisierung und ihre Kinder – wie Amazon eines ist – gefährden nun diejenigen, die diesem Glaubenssatz weiter folgen. Denn in den vergangenen Jahren hat sich mehr und mehr gezeigt, dass Konsumenten sehr wohl bereit sind, ihr Verhalten zu ändern – gerade wenn die Alternativen bequemer, schneller, günstiger und ohne Qualitätseinbußen zu bekommen sind. Der Online-Handel ist im Vergleich zum stationären Handel in der Regel genau das, und Amazon demonstriert die Wirkung von Kundenzentrierung "par excellence".

Nicht vom Erfolg blenden lassen

Doch nicht nur der fehlende Kundenfokus macht es Unternehmen schwer, mit den Entwicklungen Schritt zu halten: Einst große Marken, gerade im Retail-Bereich, spüren immer noch das Gefühl der Unantastbarkeit, das sich mit dem Erfolg vergangener Jahre eingestellt hat. Dadurch verklärt sich der Blick auf das eigene Tun, und Veränderungsdruck kommt nicht auf. Amazon jedoch lässt sich von Markennamen nur bedingt beeindrucken. Für die Plattform zählt vor allem die Produktverfügbarkeit, welche immer stärker auch durch Marktplatzhändler sichergestellt wird, um Kunden zufriedenzustellen.

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Unternehmen, ganz gleich ob aus dem B2C- oder B2B-Bereich, die ihre Online-Strategie angehen oder überarbeiten müssen, sollten sich deshalb die Frage stellen: “Ist mein Kundenerlebnis so gut wie das von Amazon Prime?” Diese Frage dient als erster Check für den digitalen Reifegrad eines Unternehmens. Bei der Antwort darf dann nur nicht der Fehler begangen werden zu sagen, man habe etwas “schon immer so oder so gemacht” und sei damit erfolgreich gewesen. Wer im Digital Business bestehen will, muss langfristig denken und sein eigenes Handeln immer wieder hinterfragen. Denn früher oder später erfährt jedes Unternehmen auf die harte Tour was es heißt, nicht vorsorglich gehandelt und etwa die Vertriebsstruktur entsprechend des neuen Konsumverhaltens geändert zu haben.

Datengetrieben Entscheidungen treffen

Um für die Endkunden die bestmögliche Experience zu schaffen, hat Amazon hohe Standards etabliert, etwa in Bezug auf die Innovationsgeschwindigkeit der Plattform. Die hohe Dynamik stellt viele Hersteller und Marken vor große Herausforderungen. Amazon arbeitet extrem atengetrieben und überlässt nichts dem bloßen Bauchgefühl und noch weniger dem Zufall. Generell sollten Unternehmen, die im E-Commerce aktiv sind, die Klaviatur an Online-Tools fürs Marketing beherrschen.

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Dazu gehört auch – noch bevor man eine Zusammenarbeit mit Amazon eingeht – eine genaue Analyse der eigenen Daten und der von Mitbewerbern, die mitunter schon auf Amazon (erfolgreich) aktiv sind, durchzuführen. Die Erkenntnisse helfen, die eigene Strategie zu optimieren. Wer dann mit Amazon zusammenarbeitet, profitiert beispielsweise durch das hauseigene Analysetool "Brand Analytics" und erhält darüber Zugang zu einer Fülle an Daten, die so überhaupt nur wenige – wenn nicht gar keine – stationäre oder andere Online-Händler zur Verfügung stellen können.

Zusammenarbeit mit Amazon abwägen

Online-Handel begünstigt die Bildung von Plattformen, die sich die Aufmerksamkeit des Konsumenten sichern, um sie entweder selbst zu bewirtschaften oder gewinnbringend weiterzuverkaufen. Nichts anderes bietet Amazon mit seinem Marktplatzmodell bzw. dem Seller- und Vendor-Modell: Nicht jeder Hersteller muss in der Lage sein, die von ihm produzierten Waren ohne Mittler an die Konsumenten zu bringen – er muss nur wissen, wie es wo geht. Vor allem Unternehmen, die bisher auf den zweistufigen Vertrieb gesetzt haben, können über Amazon die Distanz zum Kunden massiv reduzieren.

Auf den ersten Blick ist die Zusammenarbeit mit Amazon eine Herausforderung. So kann beispielsweise die Transparenzerhöhung zur Eruption des Preisniveaus führen. Doch auf den zweiten Blick wird oftmals deutlich, dass derartige Probleme hausgemacht und auf Versäumnisse in der Vergangenheit zurückzuführen sind – Stichwort: Produktfokus.

Letztendlich steckt hinter Amazon ein auf Wachstum bedachter Kaufmann, der es dank der konsequenten Verpflichtung zur Kundenzentrierung geschafft hat, einen Buchversand aus Seattle zum wertvollsten Unternehmen der Welt zu entwickeln: Jeff Bezos. Das Erfolgsrezept, nach dem Amazon immer weiter wachsen soll, skizzierte Bezos der Legende nach einst auf eine Serviette; es ist ein Kreislauf aus “Customer Experience”, “Traffic”, “Sellers” und “Selection”.

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Je weiter dieses Modell verfeinert wird, desto geringer wird die Kostenstruktur, was wiederum bedeutet: sinkende Preise für noch mehr Kunden. Die Entwicklung von Amazon zeigt, dass diese Strategie

  • a) seit jeher konsequent gefahren wird und

  • b) verdammt erfolgreich ist.

Kein Unternehmen kann es sich daher leisten, Amazon nicht in seiner Handelsstrategie zu berücksichtigen.

Aber: Mit der richtigen Herangehensweise lässt sich mit Amazon ein wachsender und gleichzeitig profitabler Vertriebsweg gestalten. Der erste Schritt für jedes Unternehmen sollte daher sein, die Chancen und Risiken einer Geschäftsbeziehung mit Amazon im Rahmen einer E-Commerce-Strategie neutral zu evaluieren.

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