Warum man bei der Arbeit nicht nur Spaß haben kann

24.02.2000
Die Ansprüche an die Arbeit steigen. Sie soll nicht nur als Broterwerb dienen, sondern vor allem auch Freude, ja Spaß machen. Eine Einstellung mit fatalen Folgen, meint Professor Dr. Fredmund Malik*.

Soll Arbeit Freude machen? Die meisten werden diese Frage mit ja beantworten. Was denn sonst? So plausibel die Antwort erscheinen mag, so problematisch ist sie, denn sie wird in der Regel nicht als Wunsch oder Ideal, sondern als Anspruch und Forderung verstanden.

Dieser Anspruch ist zu einer dominierenden Vorstellung in Management und Management-Ausbildung geworden. Er findet sich in fast allen einschlägigen Publikationen und ist regelmäßig Ergebnis von angeblich wissenschaftlichen Umfragen. Dies hat desaströse Auswirkungen. Dadurch sind Erwartungen entstanden, die kein Wirtschaftsunternehmen, aber auch keine andere Organisation erfüllen kann.

Kein Job kann immer nur Spaß machen

Die Maxime, dass Arbeit Freude oder gar Spaß machen soll, ist eine Irrlehre, und dass sie weithin vertreten wird, macht sie nicht richtiger. Um kein Missverständnis aufkommen zu lassen: Selbstverständlich sollte man alles tun, um erstens mit Arbeit verbundenes Leid zu beseitigen, wo immer das möglich ist. Ebenso selbstverständlich hat man einen großen Fortschritt erzielt, wenn es zweitens gelingt, dass immer mehr Arbeiten gelegentlich auch Freude machen können und, wenn es denn sein muss, auch Spaß, was ja keineswegs dasselbe ist, obwohl die Begriffe in diesem Zusammenhang bemerkenswert häufig gleichbedeutend verwendet werden.

Aber man muss unmissverständlich klarstellen, dass kein Job immer nur Freude machen kann und dass jede Arbeit Elemente aufweist, die nie und niemandem Freude machen können. Alles andere ist romantisch und naiv. Selbst jene Tätigkeiten, von denen viele glauben, dass sie zu den idealen, spannenden und faszinierenden Berufen gehören, wie vielleicht Flugzeugpilot, Herzchirurg, Fernsehmoderator, Model oder Orchesterdirigent, haben ihre langweiligen Seiten. Auch hier entsteht mit der Zeit ein erhebliches Maß an Routine, Alltagstrott und Mühsal.

Außerdem muss doch klar sein, dass auch jene Arbeiten getan werden müssen, die nicht nur manchmal beschwerlich sind, sondern die als Ganzes niemandem und niemals Freude und Spaß machen können. Es werden auch in Zukunft Toiletten in Hotels und an Flughäfen zu putzen sein, es werden Müllkutscher gebraucht, und es wird zahlreiche Hilfsarbeiten geben, die selbst jenen Leuten keinen Spaß machen, die an sich auch mit niedrigsten Maßstäben zufrieden sind. Was sollen diese mit der Maxime anfangen, dass Arbeit Freude machen soll?

Ebenso fragwürdig muss sie für Menschen sein, deren Berufe sie täglich mit dem Elend dieser Welt konfrontieren: Flüchtlingshelfer, die nicht wirklich helfen können; Sozialarbeiter, die weder Drogensucht, Prostitution noch Obdachlosigkeit beseitigen können; Lehrer und Priester in den Slums von Großstädten; Ärzte und Schwestern, die auf Intensivstationen und in Krebsabteilungen einen nur zu oft aussichtslosen Kampf führen. Sie tun ihre Arbeit nicht wegen der Freude, sondern weil sie getan werden muss, aus Pflichtbewusstsein. Ja, ich schlage vor, auch wenn es nicht Zeitgeist-konform ist, das Wort "Pflicht" vorerst noch nicht aus dem Sprachgebrauch zu streichen, jedenfalls nicht aus jenem von Führungskräften. Würden nur jene Arbeiten verrichtet, für die man motiviert ist oder die einem Spaß machen, kämen Wirtschaft und Gesellschaft innerhalb weniger Minuten zum Stillstand.

Führung ist gefordert, wo kein Spaß im Spiel ist

Zu beachten ist schließlich: Solange eine Arbeit Freude macht, ist niemand wirklich gefordert. Vor allem werden dann weder Führung noch Führungskräfte gebraucht; dann geht es ja meistens von allein. Gefordert ist man als Mensch und als Führungskraft, gar als Leader erst dann, wenn die Arbeit keinen Spaß mehr macht, aber dennoch getan werden muss; dann, wenn man zum Beispiel die Schwierigkeiten einer sich hinschleppenden Post-Merger-Phase zu bewältigen hat oder eines festgefahrenen Innovationsprojektes, eines Turnarounds oder wenn Personalabbau notwendig ist. Die schwierigen, harten, unpopulären und nicht selten Leid verursachenden Maßnahmen sind es, die Führerschaft erfordern. Wie kann man daran Freude oder gar Spaß haben? Und welchen Charakter würde das voraussetzen?

Die Maxime, dass Arbeit Spaß machen soll, macht die Motivation von Mitarbeitern fast unmöglich, weil sie einen Teufelskreis in Gang setzt: Die von Führungskräften und Trainern produzierten Erwartungen werden - notgedrungen - enttäuscht, sie können - selbst bei besten Absichten - nicht erfüllt werden, die Mitarbeiter werden frustriert; darauf wird mit Motivationsprogrammen und "motivierendem" Verhalten geantwortet. Dies kann von den Betroffenen aber nur als ein Versuch der Manipulation verstanden werden und nicht selten als eine besonders raffinierte Form von Zynismus, weil ja die Arbeit selbst im Regelfall nicht verändert wird, aber der Anspruch auf Freude und Spaß daran noch immer aufrecht ist. Die Frustration wird nur umso größer, weil die Leute sich nun zusätzlich auch noch verschaukelt fühlen. Ein Ausweg aus diesem Teufelskreis ist nur möglich, wenn man den Mut zu einem neuen Realismus aufbringt und anfängt, die Dinge beim Namen zu nennen.

Das Ergebnis muss Spaß machen

Die Forderung, dass Arbeit Freude und Spaß machen soll, führt nicht nur zu unüberwindbaren Motivationsproblemen. Sie hat noch eine zweite desaströse Folge. Sie lenkt vom Wichtigsten ab, das mit Arbeit verbunden sein muss - von den Ergebnissen der Arbeit. Sie konzentriert das Denken der Menschen auf die Arbeit als solche, statt sie auf die Resultate ihrer Arbeit auszurichten. Nicht die Arbeit ist wichtig, sondern die Leistung - nicht der Input, sondern der Output. Es ist daher auch wichtig, nicht nur über die Arbeitslosigkeit zu reden, sondern auch über die Leistungslosigkeit.

Wenn schon, so sollte die Forderung modifiziert werden: Weniger die Arbeit als vielmehr ihre Ergebnisse sollen Freude machen. Auch das lässt sich nicht wirklich durchhalten, aber es bringt ein gutes Stück weiter. Um es nochmals klarzustellen: Wenn die Arbeit Freude macht, ist das selbstverständlich gut, und in Wahrheit ist es ein großes Privileg, eine Arbeit zu haben, die das tut. Aber selbst wenn das nicht möglich ist, können gelegentlich die Resultate Freude machen. Oder besser: Sie können mit einem gewissen Maß an Befriedigung verbunden sein, das auch bei Menschen, die niedrigste Hilfsarbeiten zu verrichten haben, zu jenem Minimum an Selbstrespekt führt, das sie brauchen, um Mensch zu sein.

*Dr. Fredmund Malik ist Titularprofessor an der Universität St. Gallen und Präsident des Verwaltungsrates im Management-Zentrum St. Gallen.

Zur Startseite