Welt-IT-Branche wird immer abhängiger von Taiwan und China

21.06.2001
Trotz steigender OEM-Aufträge aus Amerika und Europa geht in Taiwan das Gespenst von der Wirtschaftskrise um. Immer größere Teile der IT-Produktion werden nach Festlandchina verlagert. Die Regierung versucht, die Hightech-Produktion in Taiwan zu halten. Doch die Wirtschaft misstraut ihr.

Die Spatzen pfeifen es von den Dächern auf Silicon Island: "Taiwan Jingji bu jingqi", "Taiwans Wirtschaft geht es schlecht" (siehe Computer-Partner 12/01, Seite 12). Doch schaut man sich an, wie die OEM-Aufträge der IT-Unternehmen, die deutlich über 40 Prozent des Bruttosozialproduktes erwirtschaften, immer fetter werden, fragt man sich, geht es Taiwan wirklich so schlecht? Die Antwort ist ein klares Jein!

Denn je mehr in Amerikas und Europas IT-Industrie Stellen abgebaut werden, desto mehr verlagert sich die Produktion nach Taiwan beziehungsweise den stark wachsenden Produktionsstätten der Insulaner in Festlandchina, wo wesentlich niedrigere Löhne winken. Gleichzeitig fließt aber auch viel Kapital ins Ausland, womit der immense Devisenhort Taiwans, vor wenigen Jahren noch der drittgrößte der Welt, zusehendst schrumpft. Kein Wunder, dass das zunehmende Abdriften der IT-Industrie auf der Eröffnungspressekonferenz zur Taipeher Computex vom 4. bis 8. Juni in den Mittelpunkt des Interesses rückte. "Wir kennen die Volksrepublik China besser als alle Welt und die Welt besser als China", klopft sich Chi-Peng Huang, der neue Präsident des China External Trade Council (CETRA) auf die Schulter. Auf die Frage, ob mit dem Drängen nach Chi-na, wie vielfach befürchtet, nicht ein Ausdörren des einheimischen Finanzmarktes drohe, bleibt ihm jedoch zunächst nur ein Achselzucken, und seine Rhetorik verstummt.

Die beste Antwort auf die Frage liefert T.Y. Lay, Vice President von Acer Brand Operations: "Je mehr taiwanische Unternehmen in Festlandchina produzieren, desto mehr Geld fließt auch wieder nach Taiwan zurück. Der amerikanische Aktienmarkt ist ja auch nicht zusammengebrochen, obwohl alle großen Hersteller in Taiwan oder über uns in China produzieren lassen."

Investitionsfieber im Feindesland

Über 80 Milliarden Dollar haben taiwanische Unternehmen in den letzten zehn Jahren schon in Festlandchina nach China gepumpt. Zwar hat der rote Drache mit einem Produktionsvolumen von 25,535 Milliarden Dollar Taiwan im letzten Jahr schon den Rang als drittgrößtes IT-Herkunftsland abgelaufen. Doch wie Victor Tsan, Direktor des Market Intelligence Center (MIC/ III) nicht ohne Stolz erklärt, stammen 70 Prozent der IT-Produkte Made in China tatsächlich aus taiwanischen Werken, sei es im Hongkong-nahen Süden um Shenzhen oder aus dem Großraum Shanghai, wo sich immer mehr ausländische Unternehmen ansiedeln.

Weit über 80 Prozent aller taiwanischen Mäuse, Tastaturen, Stromversorgungseinheiten und Scanner werden in China produziert. Sogar über 60 Prozent aller taiwanischen CRT-Monitore und weit mehr als 40 Prozent aller taiwanischen Desktop-PCs und Motherboards werden schon im kommunistischen Feindesland gefertigt. Und das, obwohl Taipeh bemüht ist, Hightech beziehungsweise strategisch-wichtige Produktionsbereiche durch die Aufrechterhaltung von China-Investitionsverboten in Taiwan zu halten.

Ob in Taiwan oder in China produziert wird, kann den großen OEMs und Distributoren gleich sein. "Wenn die Qualität stimmt und die Preise stabil bleiben, ist es eigentlich nur noch ein geistiges Problem. Denn ,Made in China’ gilt in den Köpfen vieler immer noch als minderwertiger als ,Made in Taiwan’", meint Sven Hollemann, Director Europe CPU, Mainboards, Graphic & Cases bei Ingram Micro.

14 Prozent Wachstum anvisiert

Laut MIC ist Taiwans IT-Volumen einschließlich Hardware und Software sowie den stark boomenden Bereichen Daten- und Telekommunikation im Jahr 2000 um 21 Prozent auf 56,66 Milliarden Dollar gestiegen. Für dieses Jahr rechnet das halboffizielle Marktforschungsinstitut mit einer Steigerungsrate von lediglich 14 Prozent, wobei es angesichts der schlechten Ertragslage im April und Mai schon jetzt zweifelhaft ist, ob dieses Ziel erreicht werden kann. Schaut man sich die Hardware-Umsatzprognosen bis 2003 an, geht die Wachstumskurve immer wei-ter nach unten. Zwischen 1995 und 2003 werden sich die Hardware-Umsätze laut MIC auf knapp 63,17 Milliarden Dollar zwar mehr als verdreifachen, das jährliche Wachstum aber von 34 auf 6,7 Prozent schrumpfen. Ein Grund dafür ist der zunehmende Margendruck. So geht MIC für Notebooks in diesem Jahr zwar von einem Stückzuwachs von 32 Prozent aus, für die Notebook-Umsätze jedoch nur von 21 Prozent.

Noch dramatischer äußert sich der Margendruck bei Desktop-PCs, Motherboards, Gehäusen und Scannern, wo in diesem Jahr trotz zum Teil deutlich zweistelliger Wachstumszahlen unter dem Strich nur ein Umsatzplus von mageren fünf bis sieben Prozent winkt (siehe Tabelle). Um wieviel anders sehen die Prognosen bei XDSL-Modems aus: Dort steht einer Stückzunahme von 128 Prozent nach Angaben von MIC ein Wertzuwachs von 136 Prozent bevor. Gute Erfolgsaussichten haben laut MIC auch andere Breitbandtechnologien und Wireless-Produkte. Entsprechend stark ist das Interesse der einheimischen Unternehmen, in diese Märkte vorzudringen. Das erklärt auch, warum so viele taiwanische Hersteller plötzlich voll auf Firewire (IEEE 1394) abfahren. Denn in der sogenannten Post-PC-Ära, da sind sich alle einig, wird es immer mehr darauf ankommen, im Haushalt verschiedene Endgeräte vom PDA bis zum Kühlschrank breitbandig mit einander zu vernetzen.

"Der PC wird als Teil eines ganzen Kommunikationssystems zur Blackbox mutieren. Der Schlüssel dazu heißt Wireless, zum Beispiel über Satellitensysteme, und Firewire", prophezeit Richard Brown, Marketing-Communications-Leiter bei Via. (kh)

www.cetra.org.tw

www.acer.com

www.ingrammicro.com

www.via.com.tw

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