"Welten wachsen zusammen"

29.07.2004
Im gerade begonnenen Geschäftsjahr 2004/2005 strebt der neue Geschäftsführer bei Sun Microsystems Marcel Schneider ein zweistelliges Umsatzwachstum hierzulande an. Wie, das schildert er in einem Gespräch mit ComputerPartner-Redakteur Dr. Ronald Wiltscheck.

Herr Schneider, im vergangenen Quartal haben Sie in Deutschland 38 Prozent mehr Server verkauft - in Stückzahlen. Worauf führen Sie das zurück?

Schneider: Entscheidend dafür war unser Fokus auf den Verkauf von Lösungen. Bis vor zwei Jahren war Sun noch sehr stark technologisch ausgerichtet. Da wirkte noch der Internet-Hype nach. Man hatte dann begonnen, sich teilweise auf Lösungen auszurichten. Im vergangenen Fiskaljahr wurden diese Bemühungen verstärkt und zahlen sich nun aus. In diesem Jahr werden 400 Sun-Mitarbeiter, die bisher technisch orientiert waren, in so genannten Lösungs-Practices organisiert.

Was verstehen Sie darunter?

Schneider: Diese Lösungs-Practices behandeln drei Schwerpunkte in der IT unserer Kunden: die Komplexität der IT-Infrastruktur, die Sicherheit sowie die rasche Umsetzung der Geschäftsanforderungen in IT. Insgesamt haben wir fünf derartige Lösungs-Practices definiert: Data Center Efficiency, Data Management, Web Services Solutions, Business Solutions, Desktop & Mobility.

Konkret bedeutet das ...

Schneider: Standardisierung. Das ist unser absoluter Fokus: sowohl auf der Produktseite als auch in der Architektur; hier arbeiten wir mit Referenzen. Konkret bedeutet dies, dass wir bereits erfolgreich implementierte Architekturen auch anderen Kunden empfehlen. Ferner wollen wir die unterschiedlichen Prozesse eines Data Centers standardisieren. Da geht es vor allem um Konsolidierung.

Ist Sun also keine reine Produkt-Company mehr?

Schneider: Es gibt drei Möglichkeiten, sich als IT-Unternehmen zu positionieren: zum einen im "Systems Leadership", wie wir es tun, zum anderen durch "Customer Intimacy", also über die Kundennähe, über Dienstleistungen, die einen Mehrwert beim Kunden schaffen. Das tun IBM, HP und all unsere Partner. Die dritte Möglichkeit ist die Operational Excellence, also über eine effektive Lieferkette Commodity-Produkte an den Kunden zu bringen, so wie Dell es vormacht. Sun versteht sich als Unternehmen mit Systemführerschaft. Wir entwickeln Technologien, um die drei Herausforderungen des Kunden - Komplexität, Sicherheit und seine Geschäftsanforderungen - an die IT zu meistern.

Wir bauen keine Systeme, die lediglich die Komplexität beim Kunden managen, wie IBM es tut, sondern wir helfen dem Kunden, seine Komplexität zu reduzieren. Das bedingt bessere Verfügbarkeit der Systeme bei höherer Sicherheit zu reduzierten Kosten. Glaubt man den Analysten, werden die von Viren, Würmern und Trojanischen Pferden herrührenden Bedrohungen in den kommenden drei Jahren potenziell steigen. Auf diesem Gebiet haben wir schon sehr früh gearbeitet.

Sie sind also kein reiner Hardwarelieferant mehr?

Schneider: Mehr als die Hälfte unseres Forschungsetats geht auf das Konto Softwareentwicklung. Das heißt natürlich nicht, dass Sun zu einem Softwarehaus mutiert. Wir sind ein "Systems"-Haus. Aber um die Bedürfnisse unserer Kunden zu befriedigen und einen Geschäftsmehrwert zu erbringen, wird Software immer wichtiger. Ein Beispiel dafür ist unsere Single-sign-on-Lösung. Allein im vergangenen Quartal haben wir hier in Deutschland über 80 Millionen Lizenzen unserer Identity- und Directory-Software verkauft.

Nun gibt es aber offenbar Überlegungen bei Sun, die eigene Software als Open Source freizugeben ...

Schneider: Das ist nur ein Gerücht! Die Idee, den Quellcode der Middleware "Java Enterprise System" zu veröffentlichen, hat ein Analyst aufgeworfen, worauf Jonathan Schwartz (Suns früherer Software-Chef und derzeitiger COO; Anm. d. Red.) entgegnete: "Nette Idee", mehr ist es nicht. Die Überlegungen, Solaris im Quellcode freizugeben, sind hingegen schon etwas konkreter.

Und wie steht es um das Java Desktop?

Schneider: Unser Angebot erstreckt sich auch auf die Client-Arbeitsplätze. Hier hilft uns die strategische Partnerschaft mit Microsoft. Nun können wir die Interoperabilität zwischen dem Rechenzentrum und der Office-Welt gewährleisten. Das ist der Kernbestandteil der Vereinbarung, die sich über einen Zeitraum von zehn Jahren erstreckt. Es geht nicht allein um die 1,6 Milliarden Dollar, die wir von Microsoft bekamen. IBM und HP haben mit den Redmondern keinen derartigen Technologie-Vertrag geschlossen; hier befinden wir uns eindeutig im Vorteil. Wir können nun Lösungen anbieten, die einen Mischbetrieb mit Windows-Clients mit Java Desktops zulassen. Kunden müssen nicht auf einen Schlag migrieren, auch ein sanfter Übergang ist möglich.

Welche Rolle spielen dabei Ihre Partner?

Schneider: Unser gesamtes Geschäft wollen wir gemeinsam mit Partnern abwickeln. Wir setzen uns nicht wie IBM oder HP Ziele, welchen Umsatzanteil wir direkt erzielen. Wir können nur erfolgreich sein, wenn gleichzeitig unsere Partner erfolgreich sind. Unsere VARs wollen wir fit für das Outsourcing-Geschäft machen. Weil unsere Systeme nicht mehr so komplex sind, können sie unsere Partner auch effektiver bedienen und bleiben so wettbewerbsfähig gegenüber IBM und HP.

Trotz dieses klaren Channel-Bekenntnisses ist der Sun Professional Services-Bereich in Deutschland im vergangenen Quartal um ein Fünftel gewachsen ...

Schneider: Diese Abteilung hilft vorwiegend unseren Partnern, etwa bei Integrationsleistungen rund um das Java-Enterprise-System. Professional Services übernehmen auch den Betrieb unserer Systeme beim Kunden - per Fernwartung. Das ist kostengünstiger, als es vor Ort zu tun. VARs werden hier eingebunden, denn oft sind sie noch nicht so weit, um diese Aufgaben wahrzunehmen. Wir ergänzen hier die Partner und treten nicht in Wettbewerb mit ihnen. Das ist ein prinzipieller Unterschied zu HP und IBM.

Aber nach Ihrem Amtsantritt vor einem Monat haben Sie auf einen Schlag 20 neue Vertriebsmitarbeiter für die Neukundenakquise eingestellt ....

Schneider: Auch Vertriebsmitarbeiter, die Direktkunden betreuen, involvieren immer Partner. Wenn etwa ein Kunde den Direktkontakt zu uns wünscht, empfehlen wir ihm einen Partner, der seine Anforderungen erfüllen kann. Oft bringen diese Kunden ihre Partner bereits mit in das Projekt ein.

Welche Art von Partnern?

Schneider: VARs sind sehr wichtig, weil sie den Mehrwert rund um die Hardware erbringen. ISVs sind für uns essenziell, weil sie Applikationen für unsere Plattform entwickeln. Wiederverkäufer, die möglichst schnell x86-Hardware ihren Kunden liefern können, sind für uns ebenfalls wichtig. Das sind Commodity-Produkte, da ist auch das Einkaufsverhalten der Kunden ein ganz anderes: Sie bestellen eine Box. Mit x86 können und wollen wir nicht den gleichen Mehrwert liefern, wie mit unseren Hochverfügbarkeitsservern, bei denen auch die Margen viel höher ausfallen. Will ein Partner diese Sparc-Solaris-Systeme verkaufen, muss er sich ausbilden und zertifizieren lassen.

Ihr Vorgänger Wilke hat immer Wert darauf gelegt, das Sun-Partner loyal sein müssen. Bleibt es dabei?

Schneider: Wir geben unseren Partnern Werkzeuge an die Hand, mit denen sie ihr Geschäft führen können. Wir sind die Einzigen mit einem ausschließlichen Partnerkonzept. Das heißt, wir konkurrenzieren sie nicht, wie IBM und HP; Dell geht ohnehin nur direkt. Damit liefern wir unseren Partnern einen Mehrwert. Wir schauen uns die Partner immer wieder ganz genau an, deren Anzahl wollen wir möglichst hoch halten. Das spiegelt sich auch in dem so genannten "compensation plan", dem zufolge Vertriebsmitarbeiter die gleiche Provision erhalten, unabhängig davon, ob ein Kunde direkt oder mit einem Partner angeworben wurde. Sie sind sehr stark daran interessiert, Partner mit einzubinden. Denn sie liefern erst den Mehrwert für eine Lösung.

Wie sieht es beim reinen Hardwarevertrieb aus? Vor drei Jahren lag hier der indirekte Anteil bei etwa 70 Prozent.

Schneider: Der Trend geht stärker zum Partnervertrieb. Im vergangenen Quartal haben wir deutlich mehr als 70 Prozent unserer Hardwareverkäufe über den Channel abgewickelt.

In dem gerade begonnenen Geschäftsjahr wollen Sie zweistellig wachsen, wie?

Schneider: Wir werden uns auf bestehende Kunden fokussieren, dort haben wir nach wie vor einen guten Stand, den wir weiter ausbauen wollen. Wir wollen auch neue Kunden akquirieren - vor allem im Mittelstand. Dort sind wir im vergangenen Quartal um über 40 Prozent gewachsen. Hauptgrund dafür ist unsere Initiative des "low cost computings". Das heißt, wir haben unsere Maschinen so gebaut, dass sie mit vergleichbaren Rechnern unserer Wettbewerber - auch mit x86ern - absolut konkurrenzieren können. Früher hatten wir das Image "Sun ist teuer!" Jetzt merkt auch der Mittelstand, dass man auch gute Qualität zum gleichen Preis bekommt wie Wettbewerbsprodukte.

Geht es hier um Sparc- oder Intel-basierte Systeme?

Schneider: Beide. Diese Welten wachsen immer mehr zusammen. Ein Großteil der von uns ausgelieferten Sparc-Solaris-Server waren Lowend-Unix-Maschinen. Sie sind so billig, dass sie auf dem Application-Layer und darunter mit x86-Rechnern mithalten können. Aber sie bieten mit höherer Verfügbarkeit und Sicherheit einen Mehrwert. Wir werden aber auch in die Linux-Plattform investieren. So bringen wir jetzt den AMD-Vier-Wege-Linux-Server und eine Workstation auf den Markt. Das ist ebenfalls ein sehr stark wachsender Bereich.

Geschäftszahlen 2003/2004

Das am 30. Juni 2004 beendete Quartal schloss Sun Microsys-tems mit einem Umsatzanstieg von 4,3 Prozent auf 3,110 Milliarden Dollar ab. Der Gewinn betrug 795 Millionen Dollar - im Vergleich zum Verlust von 1,039 Milliarden Dollar in den Monaten April bis Juni 2003. Zahlen für Deutschland wird der Konzern erst in acht Wochen bekannt geben.

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