Wenn das Netzwerk zum Flaschenhals wird

15.10.1998

DIETZENBACH: Die Grenzen des Wachstums scheinen heute in vielen Bereichen erreicht. Das gilt auch für die Bandbreite von Netzwerken. Welche Möglichkeiten es gibt, auch noch die letzen Ressourcen freizusetzen, bevor es zum Datenkollaps kommt, schildert Hilmar Ewald*.Die Fragen, die sich stellen, wenn über die Grenzen von Wachstum diskutiert wird, sind immer die gleichen:

- Was ist maximal (optimal) mit den vorhandenen Ressourcen erreichbar?

- Wie können knappe Ressourcen gerecht (optimal) verteilt werden?

- Wie können existierende Ressourcen effizienter (optimaler) eingesetzt werden, damit sie auch zukünftige Anforderungen erfüllen?

Diese Fragen werden nicht nur bei gesellschaftlichen, physikalischen, biologischen oder technischen Problemen aufgeworfen. Seit Beginn der elektrischen Kommunikation beschäftigen sie auch Entwickler von Telekommunikationsnetzen.

Begriffsklarheit

Bevor allerdings auf mögliche Optimierungsverfahren eingegangen wird, kurz ein paar Grundlagen zum besseren Verständnis. Telekommunikationsnetze dienen bekanntlich zur Vermittlung und Übertragung von Informationen. Der Bandbreitenbedarf für eine optimale Kommunikation wird durch die jeweilige Informationsart (siehe Tabelle) determiniert. Bandbreite ist eigentlich ein Begriff der Nachrichtentechnik, der die Differenz zwischen höchster und niedrigster technisch bedeutsamer Frequenz beschreibt. In der Telekommunikation beschreibt er die Kapazität von Übertragungskanälen.

Der Zusammenhang zwischen beiden Bereichen wird nach Shannon für analoge Kanäle durch die Formel C = W*log2 (1+S/N) festgelegt, wobei

C = Kapazität in Bit pro Sekunde

W = Bandbreite in Hertz

S = Signalleistung in Watt

N = Störleistung in Watt

bedeutet.

Die minimale Bandbreite, die für die fehlerfreie Übertragung eines "digitalen Signales" mit der Schrittgeschwindigkeit B (BAUD) notwendig ist, wird nach Nyquist durch Wmin = 1/2 B beschrieben.

Bandbreite wird über Leitungen oder elektromagnetische Wellen bereitgestellt. Für beide Medien gibt es technisch bedingte Grenzen. Die Optimierung der Bandbreite verfolgt mehrere Ziele:

- Einer Vielzahl von Informations-strömen begrenzt vorhandene Bandbreite bereitstellen.

- Nur den relevanten Informationsinhalten Bandbreite zur Verfügung stellen.

- Kommunikationsanforderungen durch ein Minimum an Bandbreite zu ermöglichen.

Optimierung durch Multiplexen

Um die insgesamt vorhandene Bandbreite unter mehreren Nutzern optimal aufzuteilen, existieren grundsätzlich zwei Verfahren. Entweder wird vorab festgelegt, welcher Anteil der Gesamtbandbreite jedem Nutzer zugeordnet wird (non contention). Oder die gesamte Bandbreite wird bei Bedarf dem jeweiligen Nutzer zugeordnet (contention), wobei Regeln vorhanden sein müssen, die eine gerechte Verteilung gewährleisten.

Wenn die Gesamtbandbreite in Kanäle mit geringerer Bandbreite aufgeteilt wird, spricht man bei digitaler Übertragung von Zeitmultiplexing oder TDM (Time Division Multiplexing) und im analogen Bereich von FDM (Frequency Division Multiplexing).

Bei statistischem Multiplexen (z.B. in X.25-/Frame Relay-/ATM-Vermittlungssystemen) oder bei der Zuordnung der Bandbreite in lokalen Netzen (z.B. bei Ethernet), muß die Bandbreite gerecht auf alle anstehenden Anforderung verteilt werden.

Dies wird bei statistischem Multiplexen durch Zwischenspeicherung der Daten und Prioritätensteuerung erreicht. Bei Ethernet wird grundsätzlich die gesamte Bandbreite für eine kurze Zeit bereitgestellt. Die Teilnehmer (Ethernet-Netzwerkkarten) übernehmen dabei die Verantwortung, daß eine Kollision, das heißt ein zeitliches Zusammentreffen von zwei Verbindungswünschen, entdeckt und behoben wird.

Optimierung durch Kompression

Mit Kompressionsverfahren wird der Gesamtbandbreitenbedarf von Informationsströmen verringert. Dabei unterscheidet man grundsätzlich zwei Kategorien: Komprimierungsverfahren, die Verlust von Informationen zulassen, und solche, die keinen Informationsverlust tolerieren. Erstere werden bei Sprache und Video eingesetzt. Sprache kann mit Verfahren wie ADPCM (Adaptive Digital Pulse Code Modulation) oder CELP (Code Excited Linear Predictive Coding) bis zu einem Faktor 10 und mehr bei akzeptabler Qualität komprimiert werden. Im Videobereich sind typischerweise Kompressionsraten von Faktor 10 bis 100, abhängig von Qualität und Bewegungsänderung in den Bildern, möglich. Die eingesetzen Verfahren sind unter der Bezeichnung JPEG (Joint Photographic Experts Group) und MPEG (Motion Picture Experts Group) bekannt.

Bei der Datenübertragung dagegen müssen Komprimierungsverfahren eingesetzt werden, die sicherstellen, daß kein Datenverlust entsteht. Die einfachste Form ist das sogenannte Run Length Encoding. Dabei werden sich wiederholende Zeichen durch die Anzahl der Zeichen ersetzt, anstatt jedes einzeln zu übertragen. Kennt man die statistische Verteilung von Zeichen und Zeichenfolgen, kann man eine zusätzliche Optimierung erreichen, indem häufig auftretende Zeichen/Zeichenfolgen durch eine geringere Anzahl von Bits kodiert werden als statistisch selten auftretende Zeichenfolgen. Mit diesen Verfahren, die allgemein unter dem Begriff Huffmann Coding zusammengefaßt werden können, sind Kompressionsraten bis zu Faktor 14 erreichbar.

Optimierung durch "Übertragungspausen"

Einige Informationsarten sind dadurch gekennzeichnet, daß die zur Verfügung stehende Bandbreite nicht permanent genutzt wird. Eine effektive Sprachkommunikation kann zum Beispiel nur erfolgen, wenn einer der Gesprächspartner nur zuhört. Darüber hinaus sind im normalen Redefluß zwischen Worten und Sätzen Pausen. Während dieser Sprechpausen kann die nicht genutzte Bandbreite durch intelligente Technik anderen Informationsarten bereitgestellt werden. Voraussetzung für den effektiven Einsatz ist natürlich, daß die Gesprächsteilnehmer das kurzzeitige "Stehlen" der Bandbreite nicht bemerken.

Im Datenbereich werden Zeiten, bei denen keine Informationen anstehen, durch Idle Flags gefüllt. Auch hier kann die freie Bandbreite durch künstliche Erzeugung der Flags an den Netzanschlüssen anderen Anwendungen zur Verfügung gestellt werden.

Durch die Nutzung freier Bandbreite kann für Sprache der Einsparungseffekt nochmals verdoppelt werden, bei Daten hängt der Effekt stark von den jeweiligen Applikationen ab.

Statistische Optimierungseffekte

Bei einer großen Anzahl von Teilnehmern, die miteinander kommunizieren wollen, spielt für die Bestimmung der benötigten Bandbreite das Teilnehmerverhalten eine Rolle. Die Anforderungen in Spitzenzeiten, das heißt, wenn der Kommunikationsbedarf vieler erfüllt werden muß, bestimmen in der Regel den Minimalbedarf. Bei Verlustsystemen kann der über den definierten Minimalbedarf hinausgehende Bedarf nicht erfüllt werden. Zusätzliche Anfragen für weitere Verbindungen werden abgewiesen. Das merkt man zum Beispiel, wenn man versucht, am Jahresende ins Ausland zu telefonieren. In der Datenkommunikation werden zu entsprechenden Spitzenzeiten die Wartezeiten für die Übertragung größer. Das bekommen auch die Internet-User zu spüren, die nachmittags, wenn sehr viele Teilnehmer in den USA das Internet nutzen, extrem lange auf einen Verbindungsaufbau warten müssen.

Um die Berechnung durchzuführen, müssen Aussagen über das statistische Verhalten der Informationsströme, die entweder durch Wahrscheinlichkeitsfunktionen, wie zum Beispiel die Exponentialverteilung, durch Messungen oder durch Annahmen ermittelt werden, vorgegeben werden. Die Kennwerte, die das Verhalten beschreiben, sind zum Beispiel Ankunftsrate, Bedienrate oder mittlere Belegungsdauer. Mit dem Ergebnis der Berechnung kann man Aussagen treffen über maximale oder durchschnittliche Antwortzeiten, maximalen Durchsatz, maximale Anzahl von Verbindungen oder Teilnehmern. Umgekehrt kann natürlich für ein vorgegebenes Verkehrsprofil zum Beispiel die minimale Bandbreite berechnet werden, bei der die mittlere Verzögerung einen vorgegebenen Wert nicht überschreitet (z.B. 300 Millisekunden für dialogorientierten Datenverkehr) oder in Spitzenzeiten ein vorgegebener Prozentsatz von Verbindungswünschen abgelehnt werden kann.

* Hilmar Ewald ist Produkt-Manager Corporate-, City- & Carrier Solution bei der Controlware GmbH in Dietzenbach.

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