Wenn das Unternehmen ein Gedächtnis bekommt

09.08.2001
Die richtige Info zur richtigen Zeit bei der richtigen Person und das vollautomatisch - dieses Szenario ist der Traum eines jeden Unternehmens. Mit Wissensmanagement könnte er real werden. Die am Markt vorhandenen IT-Lösungen unterstützen sowohl Anwender als auch Systemhäuser: Bei ersteren reduzieren sie die Arbeit, letzteren verschaffen sie Aufträge.

Ich kündige": wenn ein Mitarbeiter geht, hinterlässt er manchmal Freude, manchmal Trauer - je nachdem, wie sehr er im Unternehmen geschätzt war. Immer aber hinterlässt er ein Informationsgrab. Mit dem Scheidenden verlieren die Bleibenden nicht nur dessen Fähigkeiten, sondern auch den Zugriff auf Kontakte, die er geknüpft, Dokumente, die er verfasst und die Diskussionsgruppen, an denen er teilgenommen hat.

Doch nicht nur der scheidende Mitarbeiter, auch die Masse der Informationen, die tagtäglich über uns hereinbricht, kann zu Informationslücken führen: "Ich finde nichts mehr", klagt etwa Peter Schmerler, Geschäftsführer von Ser Technology. "Ich kriege am Tag bis zu 300 E-Mails, die kann ich gar nicht alle bearbeiten." Bei 100 Seiten Lesefutter pro Tag hört bei den meisten die Aufnahmefähigkeit auf. Was darüber hinausgeht oder etwa unstrukturiert aufgenommen wird, fällt durch das Raster des Vergessens und ist meist unwiderruflich verschwunden.

Ein teurer Spaß: Nimmt man die Aussage des IDC-Management-Factbooks für bare Münze, haben Wissensdefizite die Top-500-Unternehmen in den USA im Jahr 1999 mit zirka zwölf Milliarden Dollar Kosten belastet. Dieser Wert soll bis 2003 auf 31,5 Milliarden Dollar zunehmen.

Was aber kann man dagegen tun? Es gibt nur eine Lösung, glaubt die Wissenschaft: die Kenntnisse des Einzelnen in ein Netzwerk einbinden. Nur so stellt man sicher, dass dessen im Kontext verankertes Wissen für die Zukunft erhalten bleibt. Ein Unternehmer muss also entweder Mitarbeiter gewinnen, die unstrukturierte Daten in mühsamer Kleinarbeit in strukturiertes Wissen verwandeln, also Listen, Dokumente und ähnliches eintippen. Oder der Kunde bedient sich eines neuen Trends der IT-Technologie, des Wissensmanagements.

Per Definition ist Wissensmanagement nichts weiter als die Implementierung eines Unternehmensgedächtnisses, des "Corporate Memory". Übertragen auf die IT-Welt ist es der Versuch, potenzielle Wissensträger mit dem Know-how anderer zu verknüpfen.

Ist dies gelungen, lässt sich die explizite Erfahrung des Einzelnen in Datenbanken, Marktstudien oder strategischen Papieren ablegen. Auf diese Daten können nun Entscheidungsträger zugreifen, sie nutzen oder neue Informationen bedarfsorientiert einordnen.

Knowledge-Management, kurz KM, ist demnach etwas, woraus jedes Unternehmen Nutzen zieht. Überlebenswichtig wird KM jedoch für große Konzerne: Je abhängiger eine Gesellschaft von internationalen Standards, Normen und Gesetzen oder von der Kommunikation mit anderen ist, je komplexer sich ihr Umgang mit Informationen gestaltet, umso eher benötigt sie die technologische Unterstützung von Wissensmanagement-Systemen.

Allerdings funktioniert KM nur dann, wenn der Einzelne bereit ist, sein Wissen zu teilen. "Wenn der Anwender merkt, dass das IT-System ihn bei der Informationssuche oder bei Kategorisierung von neuer Information umso stärker unterstützt, je mehr er sich selbst dem System anvertraut, dann wird er Wissensmanagement akzeptieren", behauptet Andreas Dengel, wissenschaftlicher Direktor am Deutschen Forschungszentrum für künstliche Intelligenz und Geschäftsführer der Firma Insiders. Trifft die obere Prämisse nicht zu, wird der Einzelne Wissensmanagement-Lösungen boykottieren - sei es aus Angst vor Machtverlust, der Furcht vor eigener Ersetzbarkeit oder vielleicht auch nur aus Faulheit.

Das ideale IT-System weiß demnach, was für den jeweiligen Mitarbeiter relevant ist, in welchem Zusammenhang die Informationen stehen und wann sie gebraucht werden. KM ist sozusagen eine intelligente Kopie des Gedächtnisses der jeweiligen Arbeitskraft.

Mentale Modelle

An diesem Punkt setzt Insiders mit den mentalen Modellen an. Dabei versuchen die IT-Spezialisten menschliche Gedächtnisprozesse nachzuahmen. Diese Erinnerungen fassen sie in Worte und stellen sie dem User, abhängig von seiner Aufgabenstellung, in dem gewünschten Kontext dar. Als technische Grundlage dienen dabei unterschiedliche hybride Verfahren, die Insiders zusammen mit dem Forschungszentrum für künstliche Intelligenz (BFKI) entwickelt hat.

Das daraus entstandene Produkt "Mind Access" entspricht einem intelligenten Zugang zu einem Do-kumentenmanagement-System. Es kann konzeptionelle Termini aus Dokumenten extrahieren und sie später wieder korrekt zuordnen, so dass der Nutzer Daten über Schlüsselwort-, Volltext- oder andere Suchmöglichkeiten wieder findet. Das System lernt zum Beispiel, dass es sich bei einem Dokument, in dem die Worte "Vertragsverhältnis auflösen" vorkommen, um eine Kündigung handelt.

Natürlich ist ein solches Produkt keine "Out-of-the-Box"-Lösung. Viel mehr muss sie von Fachkräften vertrieben, implementiert und später betreut werden. Bei Insiders wie auch bei der Konkurrenz geschieht dies in der Regel nicht direkt, sondern über ein Partnernetz von Systemhäusern, Consulting-Unternehmen und Fachhändlern.

So arbeitet Insiders mit der Muttergesellschaft Ceyoniq und deren Partnernetz sowie mit der Systor AG zusammen. Lediglich die so genannten Key-Account-Kunden betreut der Hersteller direkt. "Momentan verstärken wir massiv unser Partnernetzwerk" macht der Insiders-Chef potenziellen Wiederverkäufern Mut. Besonders interessiert ist er an Systemhäusern, die große Projekte stemmen können und über das entsprechende Consulting-Know-how verfügen.

"Unsere bevorzugten Kunden sind die Fortune-5000-Unternehmen", räumt Dengel ein. Um den Kanal zu unterstützen, hat der Softwarehersteller ein detailliertes Partnerschulungskonzept eingerichtet, Zertifizierungsmaßnahmen sind ebenfalls vorgesehen. Technisches Personal von Insiders koordiniert dabei die Presales-Aktivitäten der Dienstleister. Und bei Problemen kann sich der Channel jederzeit an die Support-Mannschaft des Herstellers wenden.

Neuronale Netze

Ähnliche Leistungen bietet ihren Partnern auch die Ser Systems AG. Sie unterstützt Systemintegratoren und Wiederverkäufer durch ein Schulungsprogramm, Marketingaktionen und Service-Leistungen.

Ursprünglich aus dem Projektgeschäft kommend, wickelt der Insiders-Mitbewerber inzwischen zwölf bis 15 Prozent seines Vertriebs indirekt ab. "Wir planen, diesen Anteil innerhalb der nächsten drei bis vier Jahre auf 50 Prozent zu steigern", berichtet Ser-Chef Schmerler. Zu diesem Zweck hat er gerade ein neues Partnerprogramm gestartet, das hauptsächlich auf Produkten im Knowledge-Management-Bereich basiert. "Und auf der DMS-Messe in Essen nächsten Monat werden wir mit einem zusätzlichen Programm aufwarten, das insbesondere VARs anspricht", verspricht der Geschäftsführer.

Das Softwarehaus will neue Partnerpakete auf Basis seiner Kerntechnologie "Ser Brainware" vorstellen. "Das könnte die OEMs, ISVs und VARs interessieren, die ihre Anwendungen mit Intelligenz aufwerten wollen", so Schmerler. "Ferner suchen wir Systemintegratoren, die uns helfen, unsere Technologie noch breiter zu streuen."

Am liebsten sind dem Unternehmer Dienstleister aus größeren Häusern, denn: "einen neuen Markt missioniert man am besten mit großen Partnern." Außer einer interessanten Marge - die volumenorientierte Preisstaffel bewegt sich zwischen 25 und 40 Prozent - kann der Channel-Partner auf das umfangreiche Produktportfolio von Ser zurückgreifen.

All dessen Lösungen basieren auf der Kerntechnologie "Ser Brainware". Die wiederum nutzt als technisches Rückgrat so genannte "Supported Vector Machines" - ein neuronales Netz. Diese Software ist lernfähig, das heißt sie übernimmt die Korrekturen des Anwenders.

"Jeder Mensch hat eine andere Vorstellung davon, was er braucht. Ein Computersystem, das bestimmte Funktionen des Gehirns nachahmen will, muss daher Informationen nicht nur speichern, sondern auch sinnvoll miteinander verknüpfen, danach korrekt einordnen und später wieder extrahieren können", so Schmerler gegenüber ComputerPartner. Die Kerntechnologie der "Ser Brainware" verfügt über diese vier Funktionsmerkmale und fungiert daher als Basis für verschiedene Knowledge-Management-Produktlinien, die sich an unterschiedliche Anwendungsbereiche richten.

"Personal Brain" ermöglicht etwa privaten Anwendern, eigene Informationsbestände zu verwalten. "Enterprise Brain" richtet sich an Unternehmen, die im Intranet Wissen verwalten und ihren Mitarbeitern zur Verfügung stellen wollen. "Global Brain" spricht schließlich Anwender an, die Informationen aus dem Internet mit verarbeiten wollen, etwa wenn sie den Wettbewerb beobachten.

"Ser Process" dient der Abbildung von Prozessen. "Ser Imail" klassifiziert automatisch eingehende E-Mails und beantwortet sie. Und mit Hilfe des "Destiller"-Systems können Kunden strukturierte Papierbelege identifizieren und auf dieser Basis etwa automatisierte Rechnungsprüfungen durchführen.

Statistische Vorgaben

Wie Ser und Insiders spricht auch Mitbewerber Autonomy vor allem größere Unternehmen an, die viele unstrukturierte Daten handhaben müssen. Zu diesem Zweck bietet dieser Hersteller die Produkte "Portal-in-a-Box" und "Autonomy Update" an. Diese Lösungen erkennen vollautomatisch das Wissensprofil ihrer Nutzer. Darüber hinaus sind sie fähig, Anwender, die sich mit dem gleichen Thema beschäftigen, automatisch in virtuellen Expertenrunden zusammen zu bringen und das unabhängig davon, ob sie mit Computerprogrammen von Microsoft oder von Lotus arbeiten, ob sie Webinhalte oder Textdokumente erstellen. Agenten der Autonomy-Software suchen und finden die vom Nutzer gewünschten Informationen im unternehmensinternen Netzwerk heraus. Parallel zu bereits vorhandenen Artikeln zeigen sie dazu verwandte Dokumente. Per natürlichsprachiger Volltextsuche können die Agenten in mehr als 200 unterschiedlichen Datenquellen und -formaten Informationen recherchieren.

Für all diese Zwecke nutzt die Autonomy-Lösung statistische Verfahren, die auf der Wahrscheinlichkeitstheorie von Tom Bays und der Informationstheorie von Claude Shannon basieren. Mit ihrer Hilfe lassen sich Muster in unstrukturierten Daten erkennen. "Laut einer Studie der Gartner Group sind immerhin 80 Prozent aller Informationen in Unternehmen unstrukturiert", betont Dirk Zetsche, Country- Manager von Autonomy.

Genauso wie die Mitbewerber ver-treibt auch Autonomy vorzugsweise über Partner. "Wir steuern den Vertrieb nur so lange selbst, bis die externen Systemintegratoren und Beratungsfirmen genügend eingearbeitet sind. Danach machen sie alles in Eigenregie - vom Consulting über die Installation bis hin zum Service", verkündet Zetsche.

Und genauso wie die Mitbewerber ist auch Autonomy auf der Su-che nach weiteren Dienstleistern, die den Vertrieb oder die Integra-tion ihrer Lösungen übernehmen wollen. Die idealen Kandidaten müssen im IT-Bereich tätig sein, über Programmier- und Systemintegration-Kenntnisse verfügen, sich mit Java auskennen und vielleicht sogar noch Erfahrung im Wissensmanagement vorweisen können. Ein Ausbildungsprogramm führt die Dienstleister in die Produkt-schiene des Herstellers ein. Neue Partner unterstützt Autonomy anfänglich auch mit direkter Leadweitergabe, aber das Ziel lautet auch hier, das die Partner selbst ihre Kunden akquirieren sollen.

Dass sie dabei erfolgreich sein können, davon ist Zetsche überzeugt: "Die Entwicklungschancen im Wissensmanagementbereich sind riesig. Schließlich verdoppelt sich die Informationsmenge alle 18 Monate." Es scheint also, als ob Anbieter wie Ser, Autonomy oder Insiders hier auf den richtigen Markt setzen. Aber auch andere Softwarehersteller wie Lotus oder Computer Asssociates, die mit Knowledge-Management nur am Rande oder Teilbereichen zu tun haben, aber aufgrund der Publicity inzwischen als Knowledge-Management-Anbieter firmieren, können hier Punkte sammeln. "Wissensmanagement ist kein klar abgegrenzter Bereich", gesteht denn auch Ser-Geschäftsführer Schmerler. Denn viele andere Geschäftsfelder hätten Berührungspunkte mit Wissensmanagement, etwa die so genannten Enterprise-Information-Portale, die auch noch mit Inhalten befüllt und personalisiert werden müssen. Und dann gibt es noch die Suchmaschinen, die Wissensmanagement-Features nutzen, um an die gewünschten Informationen zu gelangen.

Aus diesem Grund kooperieren Anbieter von Lösungen im Wissensmanagement in Projekten oder auch über längere Zeit gerne mit dem Mitbewerb. "Wir glauben, dass auch Unternehmen wie Open Text und USU unsere Partner werden könnten", verdeutlicht der Insiders-Chef Dengel die Konstellation im Markt. "Beide Hersteller verfügen über ein Wissensmanagement-Framework, mit dessen Hilfe man Prozesse, Kompetenzen und Wissensobjekte verwalten und zugänglich machen kann. Und nachdem mit ,Mind Access# ein bereits fertiges OEM-Produkt (Original Equipment Manufacturer) am Markt verfügbar ist, besteht durchaus die Möglichkeit, unsere Lösung in die Produkte der beiden Unternehmen einzubauen."

Wissen retten

Die OEM-Variante ist auch Open Text in ihrer Geschäftsstrategie nicht fremd. Gerade hat die Gesellschaft ein neues Partnerprogramm herausgegeben, das vor allem die Einbindung von ISVs (Independent Software Vendors) forcieren soll. Neben den reinen Dienstleistern wie Systemhäusern und Consultants setzt der Hersteller auch auf Applikations- und Technologie-Lieferanten, sowie auf OEM- und ASP-Partner (Application Service Provider). In allen Kategorien gibt es auch noch weitere Abstufungen, in welche die Dienstleister je nach ihrem Angebot eingeordnet werden können. So ist etwa Xis ein so genannter "Affinity Application Partner" von Open Text. Während dieser die Entwicklung der gemeinsamen Produkte übernimmt, steuert Open Text alle Marketing- und Vertriebsaktivitäten. Der Name Xis taucht dabei allerdings nirgends auf. Der Affinity-Service- und Vertriebs-Partner Novare teilt sich hingegen mit Open Text die Marketing- und Vertriebsaktivitäten. In diesem Fall erscheinen beide Markennamen.

"Interessant sind für uns Firmen, die alles übernehmen - vom Con-sulting bis zur Projektarbeit. Das sind sowohl große Beratungshäuser als auch kleinere Systemintegratoren", erklärt Nicole Dietrich, Marketing-Managerin von Open Text. Aber auch Partner, die Erfahrung im Sektor ASP vorzuweisen hätten, seien bei Open Text gern gesehen, denn viele Kunden setzten Knowledge-Management-Produkte im ASP zeitweise ein - etwa nach Fusionen und Akquisitionen, so die Meinung der Open-Text-Marketierin.

Die an einer Zusammenarbeit interessierten Dienstleister lockt der Hersteller mit gemeinsamen Marketingaktivitäten, etwa im Rahmen von gemeinsamen Auftritten auf Messen und Informationsveranstaltungen. Weitere Zuckerl sind die laut Open Text "lukrativen Margen", deren genaue Höhe sich nach der Zahl der verkauften Lizenzen richtet, hinzu kommt der laut Hersteller hohe Marktanteil und Bekanntheitsgrad der eigenen Produkte. "Nach einer Studie von Gartner haben wir immerhin 47 Prozent Marktanteil im Knowledge-Management-Bereich", behauptet Dietrich.

Die Wissensmanagement-Software soll Kunden dabei helfen, ihr intellektuelles Kapital sicher zu stellen. Eine Aufgabe, der sich, so Bill Gates, jeder CEO zu stellen hat. Denn da ist sich der Microsoft-Gründer sicher: "Nur mit Hilfe von entsprechenden Werkzeugen können wir unser gesammeltes Wissen der Nachwelt erhalten." (cry)

www.im-insiders.de

www.ser.de

www.autonomy.com

www.opentext.com

www.usu.de

Computerpartner-Meinung:

Etwas diffus ist der Begriff Knowledge-Management schon. Während die einen darunter eine "intelligente" Suchmaschine verstehen, geht es bei anderen Herstellern damit erst richtig los. Und Recht haben sie: denn wer stand nicht schon mal verzweifelt vor tausenden von Treffern nach einer Suchanfrage? Natürlich könnte man die Suche nun verfeinern, aber genau hier sollte bereits Wissensmanagement greifen. Autonomys Lösung setzt genau da an. (rw)

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