Unüberlegt und blauäugig bei der Jobwahl

Wenn die neue Stelle zur Sackgasse wird



Renate Oettinger war Diplom-Kauffrau Dr. rer. pol. und arbeitete als freiberufliche Autorin, Lektorin und Textchefin in München. Ihre Fachbereiche waren Wirtschaft, Recht und IT. Zu ihren Kunden zählten neben den IDG-Redaktionen CIO, Computerwoche, TecChannel und ChannelPartner auch Siemens, Daimler und HypoVereinsbank sowie die Verlage Campus, Springer und Wolters Kluwer. Am 29. Januar 2021 ist Renate Oettinger verstorben.
Immer wieder erweisen sich scheinbar attraktive Stellen als berufliche Reinfälle. Insbesondere dann, wenn die Führungskräfte oder Spezialisten, die sie antreten, vorab nicht ausreichend geprüft haben: Was kommt da auf mich zu? Details von Bernhard Kuntz.

"Höher, schneller, weiter." Nach dieser olympischen Maxime agieren viele hochqualifizierte Spezialisten und Führungskräfte bei der Jobsuche – und landen zuweilen auf dem Hosenboden. Das heißt, verführt von einem Stellenangebot, das ihnen einen höheres Gehalt, mehr Sozialprestige oder ein schnelleres berufliches Fortkommen verspricht, nehmen sie eine neue Stelle an, die sich nach kurzer Zeit als Sackgasse erweist.

Augen auf bei der Jobwahl: Wenn sich bei einem hoch qualifizierten Spezialisten oder einer gehobenen Führungskraft der neue Job als Flop erweist, muss sich der Kandidat meist bundesweit bewerben – also einen erneuten Umzug in Kauf nehmen.
Augen auf bei der Jobwahl: Wenn sich bei einem hoch qualifizierten Spezialisten oder einer gehobenen Führungskraft der neue Job als Flop erweist, muss sich der Kandidat meist bundesweit bewerben – also einen erneuten Umzug in Kauf nehmen.
Foto: Fotolia, Helmut Niklas

So zum Beispiel Nicole Nagel*. Die 39-jährige Betriebswirtin erhielt, nachdem sie fast ein Jahrzehnt als Controllerin für einen Chemiekonzern im Rheinland tätig war, von einem mittelständischen Maschinenbauer im Schwabenländle, der gerade in eine Aktiengesellschaft umgewandelt wurde, das Angebot, dessen Controlling neu aufzubauen. Und da Nagel neben der Aufgabe die Position und das Gehalt reizte, schlug sie spontan zu.

Doch dann saß das Stadtkind in der schwäbischen Provinz und merkte: Die ticken hier ja ganz anders. In Köln sprach ich mit meinen Kollegen über die neusten Filme und Theaterstücke sowie angesagten Bars. Doch hier drehen sich die Gespräche um den örtlichen Feuerwehrverein und Strickanleitungen. Und mein direkter Chef, der Geschäftsführer Finanzen des Betriebs? Der sagte zwar in den Auswahlgesprächen, ich hätte beim Aufbau des Controllings weitgehend freie Hand. Doch faktisch pfuscht er mir permanent ins Handwerk.

Das heißt: Bereits nach wenigen Tagen bereute Nagel ihren Entschluss und sehnte sich nach Köln und ihren Freunden zurück – auch weil die Single-Frau, wenn sie abends in ihrem angemieteten möblierten Zimmer saß, das Gefühl hatte: "Wenn ich nicht aufpasse, werde ich hier zur alten Jungfer."

Kernfrage: Stimmt die Chemie?

Nicht einmal enttäuscht war Nagel denn auch, als der Geschäftsführer Finanzen nach der Hälfte der Probezeit, nach drei Monaten ihr mitteilte: "Wir werden die Zusammenarbeit mit Ihnen beenden." Auch überrascht war sie nicht. Denn auch sie spürte: Die Chemie stimmt nicht. "Und weil ich kein Schwäbisch schwätze und mein Leibgericht nicht ‚Linse‘ mit Spätzle‘ ist, würde ich hier immer die hochnäsige Zugezogene bleiben."

Die eigentlichen Probleme begannen für die Controllerin erst, als sie wieder in Köln in ihrer Wohnung saß. Denn dort wurde ihr erst so richtig klar: "Meine alte Stelle bei dem Chemiekonzern habe ich nicht mehr. Wenn ich jedoch eine neue, meiner Qualifikation angemessene Stelle finden möchte, muss ich mich eigentlich bundesweit bewerben – obwohl ich inzwischen weiß: Ich möchte im Raum Köln bleiben." "Mit Handkuss", sagt Nagel denn auch heute, "würde ich wieder meine alte Stelle nehmen." Doch hierfür ist es zu spät.

Welche Konsequenzen hat ein möglicher Flop?

Ähnliche Fehler begehen laut Alexander Walz, Geschäftsführer der Personalberatung Conciliat, Stuttgart, hoch qualifizierte Stellensucher oft. Sie manövrieren sich, weil sie die Konsequenzen eines Stellenwechsels nicht ausreichend reflektieren, "in eine Situation, in der es nur in Ausnahmefällen noch eine optimale Lösung gibt".

Denn ihre Arbeitsmarktsituation ist eine andere als die von Handwerkern. Erweist sich bei einem Elektriker ein neuer Job als Flop, dann findet er meist am selben Ort oder zumindest in derselben Region einen neuen Arbeitsplatz. Anders ist es, wenn sich bei einem hoch qualifizierten Spezialisten oder einer gehobenen Führungskraft der neue Job als Flop erweist. Dann muss sich der Kandidat meist bundesweit bewerben – also einen erneuten Umzug in Kauf nehmen. Außer er ist, wenn er zum Beispiel eine Familie hat, bereit, künftig eine Wochenend-Ehe zu führen.

Was dies bedeutet, unterschätzen viele. So zum Beispiel der Diplom-Kaufmann Claus Steger. Der gebürtige Hamburger erhielt von dem IT-Unternehmen, für das er in der Hansestadt arbeitete, vor fünf Jahren das Angebot, in dessen Münchner Zentrale deren "Salesmanager Europe" zu werden. Steger schmeichelte dieses Angebot nicht nur, er rechnete sich auch aus: "Wenn du den Job zehn Jahre machst, hast du ausgesorgt." Seine Frau war von dem Job-Angebot nicht so begeistert. Denn sie wollte mit ihren beiden pubertierenden Kindern keinesfalls nach München ziehen. Doch sie gab Steger freie Hand: "Wenn du den Job machen willst, dann tue es. Dann führen wir eben eine Wochenend-Ehe." Also trat Steger die Stelle an und pendelte fortan hin und her.

Doch rasch erwies sich die neue Stelle in München als deutlich herausfordernder als gedacht. Und was er völlig unterschätzt hatte: Als Salesmanager Europe musste er immer wieder in die entlegensten Ecken Europas reisen. Folglich wurde aus den geplanten regelmäßigen Wochenendflügen nach Hause, nach Hamburg oft nichts. Und wenn doch? Dann war seine Tasche voller Arbeit. Nach kurzer Zeit merkte Steger: Die neue Stelle nagt an meiner Substanz. Und nach eineinhalb Jahren wurde er mit einem Burn-out in eine Klinik eingeliefert. Und nachdem er ein halbes Jahr krankgeschrieben war, unterschrieb er einen Auflösungsvertrag mit seinem Arbeitgeber – "mit einer satten Abfindung".

Doch was hat er davon? Wenig! Gesundheitlich ist Steger zwar wieder auf dem Damm. Doch eine neue Festanstellung hat der heute 54-Jährige in den letzten drei Jahren nicht mehr gefunden. Stattdessen jobbt er ab und zu für einige Monate als "Interimsmanager" - oder wie er selbst ironisch sagt, als "gut bezahlter Leiharbeiter".

Was ist mir in meinem Leben wichtig?

Den Fehler von Steger begehen gut qualifizierte Fach- und Führungskräfte immer wieder, betont Michael Schwartz vom ilea-Institut für integrale Lebens- und Arbeitspraxis, Esslingen. Sie reflektieren nicht ausreichend, was eine neue Stelle konkret bedeutet. Zum Beispiel mehr Arbeit. Mehr Stress. Mehr Reisen. Ein höheres Kündigungsrisiko. Eine extreme Spezialisierung, die sich langfristig als berufliche Sackgasse erweisen könnte. Und was sie noch weniger reflektieren, ist: Passt der neue Job zu meiner Lebensvision beziehungsweise meiner Vorstellung von einem erfüllten Leben? Zum Beispiel: Macht mir die Arbeit voraussichtlich langfristig Spaß und erachte ich sie als sinnvoll? Kann ich abends zuhause bei meiner Familie sein? Kann ich weiterhin meinen Hobbys frönen? Kann ich mich spontan mit Freunden treffen?

Dabei wäre dies wichtig. Denn wenn eine Führungskraft mit ihrem Leben unzufrieden ist, sind ihre Akkus schnell leer. Also erbringt sie auch keine Top-Leistungen mehr.

Ähnlich sieht dies Steger rückblickend. "Klar", sagt er, "der Salesmanager-Job war stressig. Doch das ist jede exponierte Führungsposition. Deshalb wird sie ja auch gut bezahlt." In Hamburg, dessen ist sich Steger sicher, hätte er den Job problemlos gemeistert. "Doch ich kam mit dem ewigen Hin und Her zwischen Hamburg und München nicht klar. Ich bin ein Familienmensch und brauche meinen Heimathafen."

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