Wenn Duzen zur Firmenphilosophie gehört

04.01.1999

MÜNCHEN: In Zeiten flacher Hierarchien verschwinden in Unternehmen förmliche Umgangsformen mehr und mehr. Der Drang zum zwanglosen "Du" ist allerdings nicht jedermanns Sache.Nicht sein Posten als Abteilungsleiter beim schwedischen Bekleidungsriesen Hennes & Mauritz (H&M) hat Reinhard W. aus Rheine in Westfalen bekannt gemacht. Der Mann, der sich vom kleinen Angestellten zur Führungskraft hochrackerte, legte vielmehr Wert auf korrekte Umgangsformen. Schon gar nicht wollte der 45jährige von Hinz und Kunz nach Schwedenmanier das Du um die Ohren geschlagen bekommen.

Reinhard W. hat deshalb in den letzten Monaten juristisch für Furore gesorgt. Denn der H&M-Angestellte pochte auf das förmliche Sie und ließ die Richter zunächst am Arbeitsgericht Rheine, dann am Landesarbeitsgericht Hamm über sein Anliegen befinden. Doch Pech für den Kläger: Das Landesarbeitsgericht Hamm wies seine Beschwerde zurück (Aktenzeichen 14Sa 1145/98).

Keine Verletzung der Menschenwürde

Die Herren in Schwarz unterstrichen in ihrer Urteilsbegründung, daß Duzen am Arbeitsplatz nicht einer "Demütigung oder Erniedrigung der Person" gleichkomme. Das gelte insbesondere in Betrieben, in denen sich "alle Mitarbeiter einschließlich des Chefs duzen". Den Vorwurf des Klägers, er werde in seiner Menschenwürde verletzt, ließen die Richter nicht gelten.

Wie sich die Zeiten ändern: "Den Chef zu duzen, war früher ein Kündigungsgrund; ihn nicht zu duzen, kann heute auch einer sein", witzelte die "Wirtschaftswoche" zum Thema. Noch im 19. Jahrhundert gehörte es unter Industriellen vom Schlage eines Alfred Krupp zum Selbstverständlichsten der Welt, "ihre" Arbeiter zu duzen: "Genießet, was Euch beschieden ist. Für die große Landespolitik erspart Euch die Aufregung."

Ruhige Zeiten sind denn jetzt auch im Hause H&M wieder eingekehrt - selbst nachdem das Du per Gerichtsbeschluß verordnet wurde. Von ungehobelten Zeitgenossen, die andere Kollegen zum Nervenzusammen-bruch treiben, keine Spur. Selbstverständlich werde dem Begehren von Mitarbeitern, die auf das förmliche Sie bestehen, nachgegeben, verlautete kurz nach der Urteilsverkündigung aus dem "unkonventionellen Unternehmen mit Stammsitz in Schweden" (Eigendefinition). Gnade vor Recht somit für Reinhard W.

Ältere Kollegen wollen nicht geduzt werden

In Zeiten flacher Hierarchien gehört das Du heute längst zu den postmodernen Sitten in Unternehmen und ist oft ein Stück weit sogar Firmenphilosophie. Daß sich dennoch viele zeitgenössische Bedienstete mit dem Hammer Urteilsspruch nicht anfreunden können, belegt eine Forsa-Umfrage im Auftrag des Wirtschaftsmagazins "DM". 49 Prozent der insgesamt 1.000 Befragten begrüßten demnach ein lockeres Du in der Arbeitswelt. Allerdings - und das sollte zu denken geben: 46 Prozent der Beschäftigten wollen am Arbeitsplatz bitteschön gesiezt werden.

Kaum mag dabei überraschen, daß insbesondere die unter 30jährigen wenig vom strengen Gesieze halten. 63 Prozent sympathisieren mit lockeren Umgangsformen. Bei den Beschäftigten über 60 Jahre verhält es sich dagegen genau umgekehrt. Nur jeder vierte möchte sich mit seinem Vornamen anreden lassen.

Interessant sind auch die Begründungen, die gegen das generelle Duzen angeführt wurde: Mitarbeiter wollen selbst bestimmen, wen sie in ihren Duz-Club aufnehmen und wer außen vor bleibt. Daß der Gebrauch des Sie gegenseitigen Respekt bezeuge und die Trennung von privaten und geschäftlichen Beziehungen erleichtere, wurde zudem von den Duz-

Gegnern ins Feld geführt.

Bestätigt dürften sich somit all jene fühlen, die mit dem vorschnellen Du in der Arbeitswelt ohnehin auf Kriegsfuß stehen oder damit ihre liebe Not haben.

Chefs gehen auf Distanz

Insbesondere in Führungsetagen macht sich hier Unbehagen breit, die Unsicherheit geht um. Sei es die Angst, daß an der eigenen Autorität gekratzt werden könnte, oder ganz einfach der Wunsch nach Distanz - ihre Mitarbeiter zu duzen, scheuen viele Chefs wie der Teufel das Weihwasser.

Heikel kann es vor allem dann werden, wenn es um Gespräche mit schwierigen Mitarbeitern, um Abmahnungen oder einfach um Gehaltsverhandlungen geht. Schon so mancher Vorgesetzte hat hier ein allzu intimes Miteinander verflucht. So kommt beispielsweise eine Rüge auf Duz-Basis nicht selten einem plumpen Abkanzeln gleich. Beispiel: "Solltest Du morgen wieder zu spät kommen ..." klingt natürlich anders als "Sollten Sie morgen....". Interessant wäre natürlich auch, ob sich der 17jährige Azubi wohl in seiner Haut fühlt, wenn er dem vor der Pensionierung stehenden Chef kollegial das Du hinschleudert.

Um einen Ausweg aus dem vermeintlichen Duz-Dilemma zu finden, suchen Chefs nach goldenen Mittelwegen. Mit Newcomern wird die Duz-Brüderschaft dann beispielweise erst nach sechs oder zwölf Monaten im Chefzimmer besiegelt. Ein Gunstbeweis, der Mitarbeitern in der Regel schmeichelt.

Wer zuviel von sich preisgibt, ist angreifbar

Das vorsichtige Agieren vieler Vorgesetzter kommt natürlich nicht von ungefähr. Allgemein gilt zunächst: Je mehr Führungskräfte von sich preisgeben, desto angreifbarer sind sie. Grund genug für so manchen, nicht auf der privat organisierten abendlichen Firmenfete zu erscheinen. Denn überall lauert die Gefahr des Sichnäherrückens. Soziologen erklären, welche Gefahr damit einhergehen kann: "Je näher die Menschen einander kommen, desto ungeselliger, schmerzhafter, destruktiver werden ihre Beziehungen zueinander", fand beispielsweise der Amerikaner Richard Sennett heraus. Das gilt im Privaten genauso wie im Beruflichen und kulminiert schlimmstenfalls in der "Tyrannei der Intimität" (Sennett).

So falsch liegen Bosse also nicht, wenn sie auf ihre lauen Gefühle hören. "Ein bißchen Undurchsichtigkeit hat noch keinem geschadet", schreibt die "Wirtschaftswoche" zu Recht. Daß sich Menschen mit der Preisgabe der Distanz selbst bedrohen, gilt vor allem für Personen, die im öffentlichen Rampenlicht stehen. Amerikas erster Mann an der Spitze, Bill Clinton, seit der Lewinsky-Affäre schwer lädiert, hielt sich mehrfach nicht an diese Regel. Gleich zu Beginn der Amtszeit Details über Stil und Schnitt seiner Unterhosen in einer Talkshow auszuplaudern, kann in die Hose gehen. Wer sich dergestalt lächerlich macht, hat verspielt - und das für alle Zeiten, Demontage inklusive. Grund: Der persönliche Schutzwall, der zunächst jeden Menschen umgibt, wurde im Falle Clintons wiederholt zertrümmert und läßt sich nur schwer wieder aufbauen; genauso wie sich eine abgerissene Schnur allenfalls noch zusammenknoten läßt. Um nicht dem Gespött der Massen anheimzufallen, gilt es, Distanz zu wahren. Und das beginnt bereits bei der richtigen Anrede.

You ist nicht gleich you

Gerne wird in diesem Zusammenhang auf das unkompliziertere you im Englischen oder Amerikanischen verwiesen. Doch selbst die eifrigsten Duzer können Aussagen wie die folgende nicht von der Hand weisen: "Wer die angelsächsische Reserviertheit kennt, der weiß, daß der Königin von England keine Duz-Brüderschaft vorschwebt, wenn sie ÈyouÈ zu ihrem Gegenüber sagt", schrieb "Wirtschaftswoche"-Redakteur Christian Deysson. Daß "you" im Englischen nicht gleich "you" bedeutet, sondern feine Nuancen den Unterschied machen, beweisen auch Vielflieger-Witze wie dieser: "You can say you to me!"

Mehr noch: Im Deutschen gibt es die Kombination aus "you" plus förmlicher Anrede aus Herr oder Frau nicht. Das würde sich nämlich so anhören: "Herr Schmidt, könntest Du mal so freundlich sein...". Genauso wäre es umgekehrt mehr als schlechter Stil, Mr. Clinton nur mit Vornamen anzureden.

Daß ganz Deutschland alles andere als ein universeller Duz-Feierabendkegelklub ist, macht die Werbung hinlänglich deutlich. Nichts scheuen Agenturchefs mehr als das Du, das als "peinliche Anbiederung" gilt, wie im "Spiegel" unlängst zu lesen war.

Plumpe anmache

Dabei mag es noch angehen, daß "Bravo-Girl"-Leserinnen an sprachlich auf sie zugeschnittenen Werbeslogans hängenbleiben: "Ich trink Ouzo. Was machst Du so?"

Ob die plumpe Anmache allerdings auch die über 50jährigen anturnt, steht auf einem anderen Blatt. Selbst bei Produkten, die eine junge Zielgruppe adressieren, geht in der Werbung der Trend zur Etikette. Ein Wort das sich übrigens vom altfranzösischen Wort "esquier" ableitet und Grenzpfahl bedeutet.

So mag zumindest das allabendliche Werbefernsehen so ganz nach dem Geschmack des Reinhard W. aus Rheine in Westfalen sein. Bei seinem schwedischen Brötchengeber ist er übrigens schon seit längerem krankgeschieben, war aus dem Hause H&M zu erfahren. (god)

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