"Wenn ein Wind von 60.000 Euro Sie umwirft,sind Sie kein Unternehmer"

21.11.2002
Im zweiten Teil unserer Serie "Mittelstand und Bankenkrise" zeigt Dieter Keil*, wie unerwartet kleine undmittlere Unternehmen von den plötzlich so rigiden Kreditvergaberichtlinien der Geldinstitute getroffen wurden.Schließlich ist Basel II noch gar nicht in Kraft.

Spiegel online" titelt in seiner Ausgabe vom 1. November 2002 in einer Spalte: "Kreditkrise - Mittelständler im Würgegriff der Banken" und formuliert auf diese Weise drastisch, was auch auf IHK-Jahreshauptversammlungen und Kongressen kaum noch an Deutlichkeit zu überbieten ist.

Führende Marke und 50 Prozent Eigenkapital

Das "FAZ"-Institut spricht in einer soeben veröffentlichten Studie von der "Krise des Kapitalismus". Nick Reh, Vorstandsvorsitzender und Mehrheitseigentümer der Sektkellerei Schloß Wachenheim (420 Millionen Euro Umsatz bei zwei Millionen Euro Ergebnis) gar von "einer volkswirtschaftlichen Katastrophe". Den Banken, so Reh weiter, sei ein Mittelständler am liebsten, "mit einer führenden Marke, 50 Prozent Eigenkapital und einem erfolgreichen Generationswechsel". Basel II betrachtet er als reines Zinserhöhungsinstrument. Wie sich die Banken aus ihrer Verantwortung herauszögen, das habe es früher nicht gegeben.

Die Finanzwirtschaft beklagt einhellig die Unterkapitalisierung des deutschen Mittelstands. "Zu wenig Eigenkapital" heißt es von den Sachbearbeitern, die an den Schalthebeln der Macht sitzen, selbst als Angestellte lediglich ein schmales Gehalt verdienen und nur in Ausnahmefällen wirklich verstehen, unter welchen Zwängen ein Unternehmen finanziert werden muss. Mancher Unternehmer vernimmt fassungslos, dass sein Antrag abgelehnt wurde, obwohl er zu "seiner Bank" eine jahrzehntelange Verbindung pflegt. "Wenn Sie ein Wind von 60.000 Euro umwirft, dann sind Sie kein Unternehmer. Man muss davon ausgehen, dass Sie den dreifachen Jahresgewinn als Rücklage bilden. Wenn Sie das nicht können, müssen Sie zum Amtsrichter gehen", musste sich der Inhaber und Gründer einer Werbeagentur von einem Sachbearbeiter seiner Bank in Gießen sagen lassen.

Als sei es einerevolutionäre Feststellung

Besonders die kleinen und mittleren Unternehmen leiden unter einer Kapitalschwäche - das meinen unsere "Beraterbanken" und betonen es, als sei es eine revolutionäre Feststellung. Die Mittelständler selbst sehen das anders, nämlich als etwas Normales. Seit Jahrzehnten sei die finanzielle Situation unverändert, man habe immer mit Krediten und wenig eigenem Geld gearbeitet, und doch hätten alle, auch die Banken, gern und gute Geschäfte mit ihnen gemacht. Man habe schließlich auch reichlich Zinsen und Gebühren bezahlt.

Wer noch vor fünf Jahren einen Betriebsmittel- oder Investitionskredit benötigte, musste überhaupt keine Probleme für die Bewilligung befürchten, sofern ausreichende Sicherheiten vorhanden waren. Heute sind Sicherheiten nur einer von mehreren Faktoren, die es zu erfüllen gilt, wenn man einen Bankkredit beantragt. Dabei sind die interessantesten Argumentationen seitens der Kreditgeber zu vernehmen. Zunächst muss sich jeder Antragsteller bezüglich seiner finanziellen Verhältnisse splitternackt ausziehen. Das grenzt für manchen hart an das Erlaubte beziehungsweise an die Wahrung des persönlichen Datenschutzes und Persönlichkeitsrechts. Für GmbH-Gesellschafter-Geschäftsführer werden persönliche und geschäftliche Konten beziehungsweise Risiken in einen Topf geworfen, als ob es keine Trennung zwischen Handelsrecht und BGB gäbe. Auf diversen Formularen wird alles aufsummiert, was Mensch oder Firma an Verbindlichkeiten und Vermögen auf sich vereinen - bei allen Kreditinstituten dieser Welt, "das versteht sich von selbst". Jene Formulare sehen manchmal aus wie soeben noch rasch selbst gezeichnet, was als ein Indiz für die gesamte, provisorische Situation gewertet werden kann. Akribisch werden alle "Engagements" erfasst, bei der Volksbank übrigens auch private Berlin-Darlehen des Inhabers, die eigentlich Kapitalanlagen sind.

Natürlich gilt Basel II noch nicht offiziell

Dagegen werden mühsam und aufwändig vom Unternehmer zusammengestellte "Unterlagen für die Bank" oft kaum eines Blickes gewürdigt. Der Kreditsachbearbeiter vergräbt sich in seinen bankinternen Anweisungen und Rating-Vorgaben. "Natürlich" gelte Basel II noch nicht offiziell, lässt er verlauten, aber "in die Richtung geht es schon". In Interviews vor laufenden Kameras bemühen sich Bankensprecher, um den heißen Brei herumzureden. Sie referieren ausführlich über die Angemessenheit, dass wenig solvente Firmen höhere Kreditzinsen als "Lampenfirmen" zahlen müssen. Geflissentlich erwähnen sie erst gar nicht den eigentlichen Engpass. Der besteht nämlich darin, dass Firmen, denen es nicht gut geht und die dringend Überbrückungsgelder brauchen, nicht nur teures, sondern überhaupt kein Geld bekommen.

Es geht nicht um die Frage, wie viel ein Kredit kostet, sondern ob er genehmigt wird. Immer öfter wird er abgelehnt, trotz langjähriger Bankbeziehung und sogar trotz ausreichender Sicherheiten. Sicherheiten werden dabei recht eigentümlich bewertet. So zählt etwa ein voll bezahltes neues Fahrzeug in der Luxusklasse bei der Volksbank nicht als Sicherheit, die beliehen werden kann. Es existiert aus Sicht der Banken überhaupt nicht und wird nur widerwillig in die Kategorie Vermögen eingetragen, wenn der Antragsteller hartnäckig darauf besteht.

Wer die sich krisenhaft zuspitzende Entwicklung aufmerksam verfolgt hat, las immer wieder von den Vorwürfen der Kreditinstitute, dass deutsche Unternehmen zu wenig auf der hohen Kante hätten, dass sie zu wenig innovativ seien und dass sie alles in allem nicht mehr zur Weltspitze zählten. Dem ist die schlichte Erkenntnis entgegenzusetzen, dass die weitaus überwiegende Zahl von Unternehmen und Selbstständigen schon immer "ganz normale" und eher durchschnittliche Produkte und Dienstleistungen anboten und nicht zum Schlage eines Thomas Alva Edison zählten. Nur sehr wenige befanden oder befinden sich auf Spitzenniveau.

Hunderttausende Unternehmen der "ganz normalen" Art stellen viele hunderttausend Arbeitsstellen zur Verfügung und setzen mit anderen ähnlich ausgerichteten Firmen und mit Endverbrauchern täglich Milliarden Euro um. Würden nur noch die Besten weiterexistieren dürfen - denn darauf läuft diese eigentümliche Argumentation hinaus -, so würde die gesamte Volkswirtschaft (und Weltwirtschaft?) mit einem Schlag vollkommen zusammenbrechen.

Dürfen nur noch die Besten existieren?

Apropos Volkswirtschaft. Wenn Banken kein Geld mehr verkaufen, wer eigentlich soll dann diese zentrale Aufgabe in unserem Land erfüllen? Bundeskanzler Gerhard Schröder machte den Vorschlag einer Mittelstandsbank, aber das war wie vieles, was diese Regierung bisher vorschlug, nicht zu Ende gedacht und erntete außerhalb Berlins überwiegend Ablehnung. So ruderte die Bundesregierung nach wenigen Tagen mal wieder zurück.

Immerhin war zu erkennen, dass der Ernst der Lage im Kanzleramt angekommen war. Irgendwann zwischendurch im Juni 2002 brachte Bundeswirtschaftsminister Werner Müller die Idee eines "Mikro-Darlehens" bis 25.000 Euro ins Gespräch: "schnell und ohne Sicherheiten". Auch davon hört man inzwischen nichts mehr. Nun wird mit der Zusammenlegung der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) und der Deutschen Ausgleichbank (DtA) erneut nach einem Instrument gefahndet, dass dem Mittelstand weiterhelfen soll. Wie das im Einzelnen funktionieren und wofür Geld gegeben werden soll, erfährt man zurzeit noch nicht.

Es scheint, als sei der Europäische Investitionsfond (EIF) in die Rolle eines Bürgschaftgebers für die KMU-Finanzierungsinstrumente gedrängt oder geraten. Vor zehn Jahren in Edinburgh gegründet, hat er sich zu einem der wichtigsten EU-Finanzierungsinstrumente für den Mittelstand entwickelt, beteiligt sich jedoch auch durch Risikokapital an derzeit rund 140 Wagniskapitalsfonds und gibt zweckgebundene Zuschüsse, etwa für Ausbildungsprojekte. Das alles hören Banken, aber rümpfen die Nase ob des Umstands der Abwicklung oder kennen die Möglichkeiten nicht ausreichend.

Auch in diesem Zusammenhang muss die Rolle der Banken kritisiert werden. Einerseits äußerten sich nahezu alle Kreditinstitute, von denen eine Stellungnahme publiziert wurde, gegen eine so genannte Mittelstandsbank im Besitz der öffentlichen Hand. Ihrerseits tun sich unsere Kreditinstitute aber wahrlich nicht mit Freizügigkeit bei der Kreditvergabe hervor. Das Land Hessen hat nun Bürgschaften für den Mittelstand angeboten, um Banken zu mehr Aufgeschlossenheit bei den Genehmigungsverfahren für Mittelstandskredite anzureizen.

Mittelstand verliert Lustam Unternehmertum

Dies alles sind Hinweise, dass die Probleme real sind und ebenso real von der Politik wahrgenommen werden. Da aber gleichzeitig der "Kursverfall bei Bankenaktien dramatisch ist" ("Frankfurter Allgemeine Zeitung" vom 10.10.2002) und die "Börse nach dem Rettungsring der Politik ruft" ("Die Welt" am 8.10.2002) , wabert eine gewisse Ratlosigkeit durch das Land. "Mittelständler unzufrieden mit ihren Banken" schreibt das "Handelsblatt" am 8. Oktober, und das ist kein Geheimnis. Was allerdings schlimm ist, ist die Tatsache, dass der Mittelstand die Freude am Unternehmertum verliert.

Es ist, als wüsste niemand eine Lösung. Vermögensberater Jens Ehrhardt ist sich im "Spiegel" vom 8. Oktober sicher: "Helfen kann nur eine riesige Pleitewelle." Er argumentiert, dass die USA als führende Weltwirtschaft mit einem Schuldenberg von 30 Billionen Dollar praktisch Insolvenz anmelden müssten, denn das sei dreimal so viel wie das Bruttoinlandsprodukt und erzeuge eine Zinslast von jährlichen zwei Billionen oder 2.000 Milliarden Dollar. Nach Meinung Ehrhardts würde nur eine gigantische Pleitewelle einen Neuaufbruch gewährleisten, ähnlich den Schuldenerlässen für die zahlungsunfähigen Dritte-Welt-Länder.

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In der nächsten Ausgabe von ComputerPartner lesen Sie: "Die Krise erfordert Handeln der Unternehmer."

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