Wenn in Firmen gemobbt wird, verlieren alle

14.03.2002
1,4 Millionen Menschen erleben es täglich: den Nervenkrieg am Arbeitsplatz, den Psychoterror durch Kollegen und Vorgesetzte. Was oft übersehen wird: Firmen, die mobben, schaden vor allem sich selbst.

Mobbing ist ein neuer Begriff für ein altes Übel: Ursprünglich wurde er von dem Verhaltensforscher Konrad Lorenz für aggressives Tierverhalten benutzt, mittlerweile ist damit der "Psychoterror am Arbeitsplatz" gemeint. Aktuellen Erhebungen zufolge sind mindestens 1,4 Millionen Arbeitnehmer in Deutschland davon betroffen, Tendenz steigend. Insbesondere bei IT-Unternehmen wird das Thema totgeschwiegen: Um das eigene Image besorgt, behaupten die Firmenchefs schlichtweg, Mobbing komme in ihrer Firma nicht vor. Die angeblich nicht vorhandenen Opfer leiden im Durchschnitt 15 Monate lang unter dem massiven Druck - bis sie freiwillig kündigen oder aufgrund psychosomatischer Erkrankungen nicht mehr einsatzfähig sind.

Mobbing - die Statistik

Zur Verbreitung von Mobbing gibt es keine verlässlichen Untersuchungen. Die Schätzungen zur Zahl der Opfer schwanken zwischen einem und 17 Prozent der berufstätigen Bevölkerung. Die Mobber und Mobberinnen sind laut Statistik zu 44 Prozent Kollegen, zu 37 Prozent Vorgesetzte. In zehn Prozent der Fälle gehen beide Gruppen gemeinsam gegen das Opfer vor. Neun Prozent der Führungskräfte werden von ihren Untergebenen tyrannisiert. Experten aus der Mobbing-Beratung gehen sogar davon aus, das die Beteiligungsrate der Vorgesetzten bei bis zu 80 Prozent liegt. Besonders häufig werden die Kolleginnen und Kollegen terrorisiert, die noch nicht lange an ihrem derzeitigen Arbeitsplatz tätig sind.

Die wirtschaftlichen Folgen sind enorm: Vorsichtige Schätzungen gehen davon aus, dass den Unternehmen Kosten in Höhe von 15.000 bis 50.000 Euro pro Jahr und gemobbter Person entstehen. Andere Hochrechnungen gehen von einem gesamtwirtschaftlichen Schaden von 50 Milliarden Euro in Deutschland aus. Darin sind auch die Kosten beispielsweise für die zunehmende Frühverrenterung und die steigenden Gesundheitskosten enthalten, die von der Gesellschaft getragen werden müssen.

Formen und Folgen des Psychoterrors

Mobbing hat viele Gesichter: Es werden Gerüchte gestreut, Viren in den Computer eingeschleust, der Betroffene wird von Entscheidungen ausgeschlossen oder mit sinnlosen Aufgaben überhäuft. Ein schlechtes Betriebsklima - beispielsweise aufgrund ständiger Restrukturierungen - ist der perfekte Nährboden für Mobbing: Unbewusst wird nach einem Schuldigen beziehungsweise einem Ventil in der schwierigen Situation gesucht. Die meisten Mobbing-Fälle beginnen demnach mit einem harmlosen Konflikt und enden in Auseinandersetzungen mit System.

Anfangs gilt die betroffene Person durchaus gleichstark oder sogar noch überlegen. Im Verlauf des Mobbing-Prozesses gerät sie zunehmend in die Unterlegenheit, findet im beruflichen Umfeld keine Hilfe. In den meisten Fällen steht ein Opfer einer ganzen Gruppe von Tätern gegenüber. Die typische Mobbing-Karriere nimmt ihren Lauf: Die Opfer sind "gebrandmarkt", reagieren in dieser Phase auf die stressige Situation bereits mit typischen psychosomatischen Symptomen: Sie klagen über Konzentrationsprobleme und Gedächtnisstörungen, werden von Selbstzweifeln, Unsicherheit und Depressionen geplagt. In besonders schlimmen Fällen sind Selbsttötungsgedanken und Verfolgungswahn die Folge.

Besonders häufig wird dann Alkohol als "Problemlöser" eingesetzt: Untersuchungen ergaben, dass 52 Prozent aller Berufstätigen gelegentlich Alkohol am Arbeitsplatz trinken. 37 Prozent gaben als Grund an, dass sie Alkohol am Arbeitsplatz zur Problembewältigung in Belastungssituationen verwenden. Etwa 850.000 Menschen sind außerdem von Wirkstoffen, die beispielsweise in dem Beruhigungsmittel Valium enthalten sind, abhängig.

Vorgesetzte sind oft überfordert

Falls die Vorgesetzten von einem solchen Fall Wind bekommen, stehen sie dem Problem recht hilflos gegenüber. Sie reagieren auf den Konflikt im Unternehmen meistens zu spät - oder völlig falsch: Um den Frieden wiederherzustellen, versuchen sie erfahrungsgemäß, das Opfer mit Frührente oder Abfindung loszuwerden. Manchmal werden die Betroffenen zwar weiterbeschäftigt, werden aber versetzt oder erhalten nur noch Scheinaufgaben. Auch Betriebsräte scheitern oft an der Aufgabe, in den Mobbing-Prozess einzugreifen. Vor allem wenn Kollegen und Kolleginnen untereinander mobben, fürchtet man, zwischen die Fronten zu geraten: Schließlich sehen sich die Betriebsräte ja als Interessenvertretung für alle Beschäftigten gleichermaßen. Auch die Befürchtung, nicht wiedergewählt zu werden, wenn man sich bemüht, dem/der Gemobbten gegen mehrere Kollegen beizustehen, hindert manche daran, ihre Aufgabe als Schlichter wahrzunehmen.

Was Arbeitgeber und Betriebsräte tun können

Um Fälle vom Mobbing in der eigenen Firma zu vermeiden beziehungsweise den Schaden zu begrenzen, sollten Arbeitgeber einige Vorsorgemaßnahmen treffen. Falls vorhanden, sollte der Betriebsrat in die Aktivitäten eingebunden werden. Die meisten Betroffenen suchen schließlich eher den Kontakt zur Interessenvertretung als zum Arbeitgeber.

Der erste Schritt sollte die Aufklärung aller Beschäftigten im Unternehmen über das Phänomen Mobbing und die möglichen präventiven Maßnahmen sein, die jeder Einzelne am Arbeitsplatz leisten kann. Außerdem sollte der Arbeitgeber von Anfang an klar machen, dass er keine Form von Denunzierung der Kollegen in seinem Betrieb duldet und vor allem die Täter mit Konsequenzen rechnen müssen.

Falls es bereits entsprechende Konflikte gibt, müssen Schlichtungsgespräche mit allen Beteiligten geführt werden. Dies ist allerdings nur dann sinnvoll, wenn der Mobbing-Prozess noch in der Anfangsphase steckt. In fortgeschrittenen Stadien ist es für den Arbeitgeber und den Betriebsrat nur noch sehr schwer möglich, eine weitere Eskalation zu verhindern. An diesem Punkt sollte man auf jeden Fall einen Psychologen, Konfliktberater, Mediator oder Supervisor einsetzen. Externe Fachleute haben einen besseren Blick für tabuisierte Missstände im Betrieb.

Betriebsräte sollten für die Opfer als Anlaufstelle für erste juristische Fragen zu Verstößen gegen das Betriebsverfassungsgesetz fungieren. Hilfreich ist auch der Verweis auf Anwälte für Arbeitsrecht, die auf Mobbing-Fälle spezialisiert sind.

Die Betroffenen, die über körperliche und psychische Beschwerden klagen, sollte der Betriebsrat beziehungsweise Arbeitgeber sofort an entsprechende Fachärzte und psychologische Therapeuten verweisen. Vergleichbar zu den Suchtbeauftragten, die es schon in vielen Großbetrieben gibt, besteht zudem die Möglichkeit, "Mobbing-Beauftragte" zu benennen und für ihre Aufgaben zu qualifizieren. (mf)

Quelle: IG Metall

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