Wenn sich Angebot und Nachfrage nicht decken: Spezialistenmangel im IT-Bereich

02.06.1998

MÜNCHEN: Wer dieser Tage DV-Spezialisten einstellen möchte, kann ein Lied davon singen: zu wenige geeignete Bewerber, ein Arbeitsmarkt, der im DV-Bereich wie leergefegt wirkt, überzogene Gehaltsforderungen oder Kandidatenmassen, die sich auf jede Anzeige stürzen, ob sie nun passen, oder nicht. Autor Stefan Rohr* hat sich damit auseinandergesetzt, wie man diesem Phänomen erfolgreicher begegnen und was man tun kann, um Stellenbesetzungen effizienter zu gestalten.In den etablierten Fachzeitschriften, Tageszeitungen und Magazinen sowie in so mancher Gazette steht in den letzten Monaten ein Thema an oberster Stelle: der Mangel an IT-Fachkräften. Die Unternehmen klagen: Es sind diverse Stellen zu besetzen, der Arbeitsmarkt selbst jedoch weist einfach nicht genügend Spezialisten auf, die für die Offerten in Frage kommen.

Das Resümee ist dabei schnell gezogen: Der Markt an kompetenten, wechselwilligen Fachkräften ist nahezu leer, auf Stellenausschreibungen melden sich viel zu wenig geeignete Bewerber. Oft lassen sie sich an einer Hand abzählen. Allzu häufig allerdings kommen leider hunderte von Absolventen des X-, Y- oder Z-Instituts, die allesamt keine oder nur geringfügige Eignung gemäß der Ausschreibung aufweisen, sich jedoch gesammelt als lernbereit und flexibel anpreisen. Letzteres bringt dem suchenden Unternehmen in der Erfüllung seiner geschäftlichen Ziele und Notwendigkeiten überhaupt nichts als lästige, unnötige und zum Teil leider auch sehr frustrierende Arbeit.

Der Arbeitsmarkt ist leergefegt

Wenn dann die vierte Anzeige erfolglos geblieben ist, steht fest, daß der Markt "wie leergefegt" ist, daß Bewerber mit der Laterne zu suchen sind und bestimmte Techniken aktuell keine Chance aufweisen, befähigte, erfahrene Mitarbeiter zu finden. Beim Stichwort SAP wird es so etwa manchem Verantwortlichen schwummerig zumute, wenn er daran denkt, in welchem Ausmaß sich Anforderung, Bedarf und das Kandidatenpotential unterscheiden. Nur, ist es bei anderen Techniken nicht genauso? Wer etwa Oracle-Spezialisten, Java-Fachleute, Kommunikationsexperten oder Internet-Profis sucht, wird aller Wahrscheinlichkeit nach in ähnlicher, wenn nicht sogar noch härterer Weise mit dem "Markt" konfrontiert. Und denken wir gerade derzeit an die guten "alten" MVS-, COBOL-, IMS- oder DB2-Fachleute, so sind auch solche Ausschreibungen, die noch vor wenigen Monaten Tausende an Bewerbungen eingebracht hätten, rar wie der Goldnugget unter der Fußmatte.

Worin besteht der Grund für diese Bewegungen? Ist eine Verallgemeinerung wie "der Bewerbermarkt ist zur Zeit schlecht" wirklich aufrechtzuerhalten? Ist es nicht vielmehr so, daß eine erhöhte Nachfrage - wie in allen Märkten - eine stringentere Auswahl seitens des angesprochenen Spezialisten zuläßt, ihn sogar legitimiert, skeptischer und selbstbewußter die für ihn interessanten Angebote zu selektieren?

Stellenanzeigen: Lieber groß als klein

Die suchenden und ausschreibenden Unternehmen stellen sich jedoch nicht immer auf die Marktsituation ein. Eine Kleinanzeige in einem Fachblatt, sicherlich kostengünstig und überschaubar, ist derzeit nicht der richtige Weg, kompetente und selbstbewußte Fachkräfte für eine Bewerbung zu motivieren.

Was vielleicht noch vor einiger Zeit durchaus zweckmäßig und erfolgreich war, fällt nunmehr im Sammelsurium der "attraktiven" Ausschreibungen einfach hinten runter. Mitarbeiterakquisition gehörte schon immer zu den kostenintensivsten Maßnahmen innerhalb der Personalarbeit eines Unternehmens. Dabei spielt die Unternehmensgröße keinerlei Rolle. Die Computerwoche, die FAZ oder das Hamburger Abendblatt (um nur einige Beispiele zu nennen) machen schließlich keinen Preisunterschied, egal, ob es sich beim ausschreibenden Unternehmen um eine Zehnmann- oder um eine Zehntausendmann-Firma handelt. Der Preis ist gleich. Der Bewerber sieht es ebenso. Auf "Kleinanzeigen" reagiert er mit Skepsis, wenn er denn überhaupt noch über diese, im Getümmel der großflächigen, teilweise ganzseitigen Mammutangebote stolpert. Bei Großanzeigen empfindet er, daß seinem "persönlichen Wert" adäquat begegnet wird, und handelt gegebenenfalls entsprechend.

Allerdings ist unausgewogenes "Anzeigenprotzen" auch nicht der Weisheit letzter Schluß. Die Stellenmarktmedien würden sich sehr freuen, wenn nun alle suchenden Unternehmen mit ganzseitigen Inseraten auftrumpfen würden, und die Stellenmärkte würden um das Zehnfache ihres Volumens anwachsen. Allerdings ist die Tendenz damit ausgesprochen und das bedeutet, daß die Rekrutierungskosten zwangsläufig eher steigen als stagnieren. Diese Einsicht bringt schon einmal eine ganze Menge für die Gestaltung und Kostenschätzung bestimmter Beschaffungsprozesse.

Wer zum Beispiel fünf mal 5.000 Mark ausgeben kann, um fünf kleinere Anzeigen in regionalen oder fachlich fokussierten Medien zu schalten, kann dieses Budget auch anderweitig ausgeben und durch eine Streuung von zwei oder drei Anzeigen in bestimmten überregionalen und regionalen Medien einen wesentlich besseren Bewerbungseingang erzielen.

Im Arbeits- und Kandidatenmarkt verhält es sich nicht anders wie in anderen Märkten auch: Was derzeit am gefragtesten ist, ist natürlich auch besonders schwierig zu erhalten. Der anhaltende SAP-Boom, der Euro oder die Jahr-2000-Umstellung sind nur einige Stichwörter, die den Markt entscheidend beeinflussen. Das bringt bestimmte Effekte mit sich: Wer etwa heutzutage noch SAP-R/2-Spezialisten rekrutieren will, jedoch keinerlei kurzfristige Aspekte zum Thema R/3 glaubhaft aufweisen kann, wird sich enorm schwertun, praxiserfahrene Fachleute mit R/2-Know-how einzustellen. Schließlich gilt R/3 als die Zukunft und das R/2 kommt somit in den meisten Bewerberköpfen einem vermeintlichen Abstellgleis gleich.

Die Meinungen über die aktuelle Wechselwilligkeit von DV-Experten gehen weit auseinander. Viele Manager klagen darüber, daß eine Wechselwilligkeit nur über exorbitant hohe Gehälter herbeizuführen ist, Kandidaten bei Einstellungsgesprächen also regelrechten Gehaltspoker betreiben. Vergessen wird dabei, daß es sich bei Bewerbern um Menschen handelt, die eigene Ziele verfolgen, Anreize benötigen, Motive für einen Wechsel vorhalten und Bedingungen für den Einstieg in ein neues Unternehmen setzen. Das besagte Gehalt ist dabei nur ein Faktor von vielen. Bewerber, denen es ausschließlich um die Gehaltshöhe geht, sind sicherlich nicht immer die, die gesucht werden, selbst wenn sie fachlich das vermeintliche Ideal darstellen. Ein Unternehmen hat mehr als nur Geld zu bieten. Und das sollte angemessene Verwendung finden. Es stehen bestimmte Aufgaben hinter jedem Stellenangebot: fachliche Anforderung, Weiterbildung, neue Verantwortungen, Karrieremöglichkeiten, ein gutes Team, interessante Arbeitsbedingungen, vielschichtige Kunden oder ein breites technisches Umfeld. Dieses sind einige der Appetithappen einer Stellenausschreibung und sollten in ausgewogener Weise zum Ausdruck kommen.

Es muß zudem klar gemacht werden, daß es den meisten Unternehmen inzwischen mehr als bewußt ist, wie "teuer" ihnen ihre eigenen DV-Mitarbeiter sind und mit welchen Mitteln und Maßnahmen diese länger als gewöhnlich im eigenen Hause gehalten werden können. Da hat es jeder etwas schwerer, potentielle Wechselwilligkeiten zu nutzen. Und ein solcher Prozeß fängt nun einmal bei der Stellenausschreibung an. Hierbei wird leider ein Großteil der "teuren" Anzeigenfläche für die Selbstdarstellung des Unternehmens verschwendet. Kosten, die besser für eine ausführliche Beschreibung von Aufgaben und Inhalten der Funktion genutzt werden sollten. In diesem Zusammenhang muß natürlich hervorgehoben werden, daß nicht jedes Medium auch die gewünschte Zielgruppe anspricht. Wer etwa einen Organisationsprogrammierer im "Manager Magazin" ausschreibt, soll sich nicht wundern, wenn das daneben geht. Im Vorfeld einer Stellenausschreibungsaktion sollte daher eine sorgfältige Medienauswahl getroffen werden, welche gleichsam die Budgetierung erlaubt. Dabei sollte weniger darauf geachtet werden, was der oder die jeweilige Anzeigenagent(in) erzählt; es sollte vielmehr abgewogen werden, ob das ins Auge gefaßte Medium wirklich von der Zielgruppe gelesen wird und diese vor allem auch tatsächlich erreicht.

Personalsuche eignet sich nicht zur Imagepflege

Der Markt ist da. Wer etwas zu bieten hat, es deutlich macht, Chancen aufzeigt und seriös motiviert, wird seine Rekrutierungserfolge weiterhin aufweisen. Die richtige Medienauswahl, ein marktadäquates Budget und auch eine gewisse Kompromißfreudigkeit gegenüber der eigentlichen Wunschvorstellung und der realistischen Machbarkeit sind dabei grundlegende und erfolgsbeeinflussende Faktoren. Wer seine Stellenanzeigen ausschließlich als Imageanzeige versteht (es könnte ja schließlich auch ein Kunde lesen), wird besser bedient sein, wenn er denn gleich eine Imagekampagne startet und sich bei der Stellenanzeige auf das Wesentliche beschränkt. Sparen ist derzeit eines der schlechtesten Mittel, den Personalbedarfsausbau zielgerichtet und erfolgreich zu erfüllen. In Zeiten, in denen bestimmte Techniken und Fachgebiete von Angeboten überlagert werden und es aus Sicht der Bewerber mehr Angebote als Spezialisten gibt, muß es jedem Bedarfsträger folgendes klar sein: Der Bewerbermarkt reagiert sensibler und gleichzeitig wächst der Anteil derjenigen, die zwar nicht passen, jedoch um jeden Preis einen Einstieg in diese Arbeitswelt erbitten.

In Deutschland arbeiten nahezu eine Million DV-Experten. Die Anzahl der ausgeschriebenen Funktionen in den Stellenmarktmedien ist jedoch weitaus geringer. In der Regel wechseln DV-Spezialisten drei Jahre nach ihrem Praxiseinstieg das erste, weitere drei Jahre später ein zweites Mal. Führungskräfte in der DV weisen die höchste Wechselfreudigkeit auf und haben im Durchschnitt bis zu ihrer derzeitigen Stellung vier bis sieben Mal den Arbeitgeber gewechselt. Diese Zahlen sprechen also für sich und zeigen auf, daß das berüchtigte "DV-Stellenkarussell" sich noch immer kräftig dreht.

*Stefan Rohr ist geschäftsführender Gesellschafter der r&p management con-sulting Hamburg/Düsseldorf/Frankfurt/Speyer/Hannover/ Bremen.

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