Wer will schon einen netten Chef?

15.02.2001
Deutsche Arbeitnehmer halten wenig von ihren Chefs: Die Vorgesetzten ertrügen keine Kritik, könnten nicht motivieren und seien nicht selbstkritisch. Das ergab eine Umfrage der Universität Hamburg.

Schnickschnack. Als ob irgendwer Chef geworden wäre, weil er sich ausgiebig darum geschert hat, was die anderen von ihm halten. Oder weil er sich ständig den Kopf darüber zerbrochen hätte, wie er dumpfe und schläfrige Mitarbeiter freundlich zu Hochleistungssportlern wandeln kann. Oder weil er von permanenten Selbstzweifeln geplagt worden wäre, die ihn am Ende ganz nach oben gebracht haben.

Nein, Chef wird man gerade, weil man alle diese Eigenschaften nicht hat. Nur wer durchsetzungsfähig, zielstrebig und selbstbewusst ist, wird Chef. Und warum sollte jemand diese Eigenschaften, die ihn so weit gebracht haben, ablegen, wenn er in dem großen Sessel Platz genommen hat? Nur weil ein paar Seelchen herumgreinen, dass sie nicht motiviert werden?

Würden sich die Chefs auf diesen Zirkus einlassen, würden sie bald gefeuert. Zu Recht. Denn Chefs sind nicht dazu da, um uns glücklich zu machen. Im Gegenteil. Sie sollen dafür sorgen, dass der Laden läuft. Und das ist nun mal leider in aller Regel mit viel Arbeit verbunden. Auch mit viel unangenehmer Arbeit, die gerade dann erledigt werden muss, wenn uns überhaupt nicht danach ist und wir viel lieber motiviert würden.

Doch motivieren müssen wir uns selbst. Schließlich werden wir nicht dafür bezahlt, unmotiviert, unkreativ und faul herumzusitzen, bis jemand kommt, der uns von diesem Schicksal erlöst. Motivation ist keine Bringschuld der Chefs, sondern eine der Mitarbeiter. Wer darüber jammert, ist im Kopf schon längst in Rente.

Zwei Drittel der in der Hamburger Studie befragten Probanden beklagten, dass ihre Chefs ihnen keine Anreize geben, sich weiterzuentwickeln. Ja, aber ist Weiter- entwicklung denn die Aufgabe der Chefs? Am Ende profitieren doch wir davon - indem wir später selbst Chefs werden.

Einen neuen Chef suchen oder selber einer werden

Also: Entwickeln Sie sich gefälligst von allein weiter - oder lassen Sie es bleiben, wenn Sie keine Lust auf Karriere haben. Das Ganze aber den Vorgesetzten in die Schuhe zu schieben, ist eine faule Ausrede: "Nur weil ich einen doofen Chef hatte, ist aus mir nichts geworden." Wer mit seinem Vorgesetzten nicht klar kommt, muss sich einen neuen suchen - oder selber einer werden.

Sicher, es gibt Chefs, die unerträglich sind. Das sind Despoten, die Mails und Vermerke mit der Notiz "Die Pisse les ich nicht" zurückschicken. Mistkerle, die Bitten nach einer Gehaltserhöhung mit der Bemerkung "Von Ihnen wollten wir uns sowieso trennen" quittieren.

Die gibt es. Aber schaden sie uns? Wenn sie richtig durchknallen, schaden sie dem Unternehmen. Und müssen dann gehen.

Wer will schon einen Chef haben, der sich morgens nach dem Zahnstatus der Kinder erkundigt? Der uns zu Sprachkursen in klösterliche Eliteschmieden schickt, wenn wir lieber auf Mallorca am Strand liegen würden? Der uns permanent mit einer glänzenden Karriere in Übersee in den Ohren liegt, wenn wir gerade einen renovierungsbedürftigen Bauernhof an der Ostsee kaufen wollen? Wenn wir ehrlich sind, wollen wir solche Chefs nicht. Wir wollen welche, die uns nach Übersee lassen, wenn uns danach ist. Die uns Sprachkurse bezahlen, wenn wir selbst unser Englisch oder Französisch aufpolieren wollen. Und die sich nur dann für unsere Familie interessieren, wenn wir einen Tag Sonderurlaub wegen Masern oder Mumps brauchen. Ansonsten kann uns der Klimbim auch gestohlen bleiben. Und: Ein Chef, der ein richtiges Schwein ist, bringt uns eine Menge mehr bei als die Weichlinge, die uns immer nur fördern wollen.

Die Wahrheit ist, dass miese Chefs, zumal in den ersten Berufsjahren, das Beste sind, was uns passieren kann. Sie sind das ideale Training für ein langes hartes Berufsleben - und dafür, selbst ein richtig mieser und erfolgreicher Chef zu werden.

Dieser Artikel ist zuerst erschienen in der "Financial Times Deutschland" am 5. Januar 2001.

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