Werbung per E-Mail

05.11.2000
"Tu Gutes und rede darüber." Zu biblischen Zeiten, denen dieses Zitat zugeschrieben wird, hätte noch niemand in diesem Zusammenhang an Werbung, geschweige denn per E-Mail gedacht. Auch heute wäre eine solche Assoziation mit dem Buch der Bücher eher blasphemisch. Sehr christlich sind nämlich die Motive des werbenden Absenders nicht: Ihn treibt eher kommerzieller Eigennutz als Nächstenliebe an. Hans-Ulrich Buckenberger* zeigt im folgenden Beitrag die rechtlichen Grenzen von E-Mail-Werbung auf.

Das Problem der Werbung unter Einsatz der Mittel der Telekommunikation ist nicht gerade neu: Seit Jahrzehnten muss sich die Justiz - in wiederkehrenden Nachhutgefechten zu den Innovationszyklen - unentrinnbar mit Werbemaßnahmen auf neuen Übermittlungswegen befassen: Zunächst waren Telefon, Telegramm und Telex (Fernschreiben) angesagt und wegen der ähnlichen Auswirkungen etwa zeitgleich auch die anschwellende Briefkastenwerbung. Jeweils nach ihrer Durchsetzung im Markt kamen sodann Telefax und Btx an die Reihe. So gesehen, ist es nicht verwunderlich, wenn es jetzt auch bei E-Mail nach einem vorprogrammierten Muster abläuft: Markteinführung, Nutzung für Werbung, Empörung bei dünnhäutigen Adressaten und schließlich Musterprozesse.

Wäre jedes Medium in seinen Funktionen und seinem Störpotential gleich, hätten alle Unternehmen, welche die neuen Möglichkeiten werblich nutzten, stets bündig nach strengen Grundsätzen der bereits betagten Rechtsprechung zur Telefonwerbung verurteilt werden müssen. So einfach machen es sich - zum Glück für die hungrige Direkt-Marketing-Branche und zum Leidwesen des ohnehin übersättigten Publikums - die Gerichte jedoch auch wieder nicht. Wer sich darauf verlässt, dass die Justiz die beiderseitigen Interessen sorgsam abwägt, kann der Versuchung nicht widerstehen, stets aufs Neue Möglichkeiten und Grenzen auszutesten. Dies sollte man als Folgeerscheinung unserer freiheitlichen und rechtsstaatlichen Ordnung akzeptieren, jedenfalls bis zu einem gewissen Grad. Bis zu welchem aber ?

Worum geht es ?

Der "Schutz der Individualsphäre" ist auch den Gerichten heilig. Diese Standardformel zieht sich wie ein roter Faden durch alle Urteilsbegründungen, und zwar unabhängig vom Medium. Das Eindringen in diesen Bereich ist regelmäßig nicht erlaubt, und schon gar nicht aus wirtschaftlichem Gewinnstreben. Die gewerbliche Wirtschaft hat zwar ein legitimes Interesse, ihre Produkte und Dienstleistungen an Mann und Frau zu bringen; die Vielfältigkeit und Allgegenwart anderer Werbemethoden, die ohnedies zur Verfügung stehen, erfordert es dagegen nicht, mit solchen zusätzlichen Mitteln den umworbenen Empfänger weiter zu verfolgen. Gelegentlich schimmert durch die Gerichtsentscheidungen sogar eine fast apokalyptische Horrorvision: Nämlich die Gefahr massenhafter Nachahmung durch andere Anbieter und das schutzlose Ausgeliefertsein der Zielpersonen gegenüber einer ausufernden Reizüberflutung. Hier sehen sich einige Richter geradezu in eine Beschützerrolle gedrängt.

Besonders unnachsichtig sind alle Gerichte dann, wenn die Adressaten Privatpersonen sind oder man einem Gewerbetreibenden bis in seinen privaten Bereich hinein nachstellt. Einzige Ausnahme ist, wenn der Umworbene ausdrücklich oder zumindest durch geeignete Signale ("konkludent" im Juristendeutsch) sein Einverständnis erklärt hat. Wann ein solches Einverständnis angenommen werden darf, kann hier nicht im Einzelnen dargestellt werden. Als Regel gilt jedoch: Fixe Unterstellungen machen die Gerichte nicht mit, und schon gar nicht einseitig "aufgezwungene" (zum Beispiel die Ankündigung in einem vorgeschalteten Brief oder in einer Wurfsendung nach dem Motto: "Ich darf mir erlauben, Sie in den nächsten Tagen anzurufen.")

Vorsichtig sollte man auch dann sein, wenn der Umworbene zwar bereits Kunde ist, aber auf die bestehende Kundenbeziehung Neues "draufgesattelt" werden soll (etwa wenn dem PC-Kunden "supergünstige" CD-ROM-Laufwerke angeboten werden).

Im geschäftlichen Bereich ist die Rechtsprechung großzügiger. Hier exponiert man sich schon mehr nach außen und wünscht vielleicht sogar Informationen, die einem das berufliche Leben erleichtern. Genau das ist aber das Kriterium, trotz aller Neigung der Gerichte zur Einzelfallbetrachtung: Je mehr oder weniger der Adressat an den unverlangt übermittelten Informationen interessiert ist oder ihnen positiv gegenübersteht, desto höher oder niedriger hängt auch die Legitimität der Werbemaßnahme. Auch hier ein Merkwort: "die Sachbezogenheit der Werbung".

Medienspezifische Differenzierung notwendig

Denkt man diese Grundsätze zu Ende, muss man konsequenterweise danach differenzieren, welches Mittel des Fernabsatzes eingesetzt wird. Am schlimmsten wird jede Zielperson das Eindringen per Telefon empfinden: Man nimmt beim Signal den Hörer ab und kann, gerade bei geschulten Anrufern, oft nicht sofort den eigentlichen Zweck des Anrufs erkennen und - noch schlimmer - den Störenfried gleich wieder loswerden. Deshalb wird alles etwas großzügiger behandelt, was als Papier ankommt: Man wirft es, flüchtig oder gar nicht gelesen, weg so wie die Stapel von Werbung, die Gewerbetreibende und Freiberufler noch schlimmer überschwemmen als Endverbraucher. Dass dies bei E-Mail nicht ganz so einfach ist, soll gleich noch zur Sprache kommen.

Ärgerlich werden Richter wie Adressaten, wenn bei letzteren Kosten entstehen oder Kapazität vergeudet wird, also namentlich die begrenzten Vorräte an Papier, Toner, Tinte sowie elektrische Energie. Diese Ressourcen möchte man als Kaufmann gerne für solche Mitteilungen bereithalten, die man sich zum Broterwerb ersehnt. Daher geht die Rechtsprechung relativ unnachsichtig mit unverlangter Werbung per Telex und Telefax um. Den Warnbegriff "Ressourcenbelastung" sollten folglich gerade diejenigen beherzigen, die nachts ihre Umwelt mit stapelprogrammiert und vollautomatisch versandten Werbefaxen "beglücken".

Damit nähern wir uns auch schon den Wertungskriterien bei E-Mail-Werbung. Amtsgerichte, die darin gleich einen "Eingriff in das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Betroffenen" sahen, hatten in der Argumentation überzogen oder jedenfalls zu kurz gegriffen. Die unerbetene E-Mail kann man im stillen Kämmerlein und ohne seelischen Schaden löschen. Ernster zu nehmen sind dagegen zwei Gefahren: Die spezifischen Kosten und das Einschmuggeln der Botschaft in die graue Masse.

Worauf es bei E-MailWerbung ankommt

Manche Gerichte bewerten auch hier die aufgedrängte Kostenbelastung als über die Maßen ärgerlich und damit rechtswidrig, nämlich die Telefon-, Energie- und anteiligen Provider-Kosten beim Abrufen der E-Mail. Das mag bei unbedarften Privatpersonen relevanter und damit auch riskanter sein als bei "Profis". Aber auch diese sind nur begrenzt zur kritischen Selektion in der Lage, vor allem dann, wenn die Werbung mit einer raffinierten Betreffszeile getarnt wurde. Davor sollte man sich als Werbender jedoch generell hüten.

Andere Gerichte verfahren, wie dereinst bei den "klassischeren" Medien, nach der Devise: "Wehret den Anfängen!" Dieses Anliegen ist bei Einsatz der E-Mail-Technik, sprich ihrer (einstweilen unübertrefflichen) Effizienz für den zeitgleichen Versand sowie den erheblichen Ersparnissen in der Logistik, wesentlich ernster zu nehmen. In der Tat: Gerade wer als begehrter E-Mail-Adressat nach Stunden oder gar Tagen seine Mailbox wieder leert, weiß allemal, wovon die Rede ist; er wird besonders in solchen Situationen die hineingemengten "Spam-Mails" mit wachsender Aggression hinausfiltern. Wurde die begrenzte Kapazität der Mailbox durch den kommunizierten Müll sogar erschöpft, können ihm wirtschaftlich messbare Verluste entstehen.

Aufsehen erregten deshalb zwei neuere Gerichtsentscheidungen: Ein Urteil des Amtsgerichts Kiel vom 30.09.1999 (Az.: 110 C 243/99) wurde mit der verkürzten Meldung verbreitet, der erkennende Richter habe E-Mail-Werbung für grundsätzlich zulässig erklärt. Dies traf jedoch so nicht zu. Das Gericht hielt nämlich den "Kommunikationsangriff" beziehungsweise die "Kommunikationszumutung" (so wörtlich) deshalb für hinnehmbar, weil der Betreff dem Empfänger den Charakter einer Werbebotschaft klarmachte, so dass er diese ohne weiteres "wegdrücken" konnte; ferner hielt das Amtsgericht es für wesentlich, dass zum Entscheidungszeitpunkt die europäische Fernabsatz-Richtlinie (Farl) noch nicht in deutsches Recht umgesetzt worden war. Das Landgericht Braunschweig wiederum (Urteil vom 11.08.1999, Az.: 22 O 1683/99) folgerte sogar aus den aktuellen Richtlinien (-entwürfen) der EU, dass "Spam-Mails" so lange nicht verboten wären, wie der Empfänger seinen ablehnenden Willen nicht klar zum Ausdruck gebracht hätte.

Ein internationales Problem

Wie auf vielen anderen Gebieten lohnt es sich auch hier, die Entwicklung in Brüssel bei der EU genau im Auge zu behalten. Die Farl wird voraussichtlich zum 01.06.2000 in innerstaatliches Recht umgesetzt sein. Danach müssen beim Einsatz so genannter. "Fernkommunikationsmittel" (wozu auch E-Mails gehören) unter anderem "der geschäftliche Zweck und die Identität des Unternehmers für den Verbraucher eindeutig erkennbar sein". Das Gesetz wird noch weitere beherzigenswerte Bestimmungen zum Verbraucherschutz enthalten, so zum Beispiel die Möglichkeit für die Zielperson, generell die Zusendung unverlangter E-Mails zu verbieten ("Opt-Out-Prinzip" oder "Robinson-Listen").

Damit jedoch nicht genug: Die EU hat einen weiteren Richtlinienentwurf zum elektronischen Geschäftsverkehr (Electronic Commerce) vorgelegt, wonach ihre Mitgliedsstaaten das Zusenden unerwünschter kommerzieller E-Mails an Verbraucher entweder generell verbieten oder nur bei eindeutiger Kennzeichnung als solcher im Betreff erlauben können. Dagegen wehren sich natürlich interessierte Kreise heftigst, so dass man die abschließende Regelung mit Aufmerksamkeit verfolgen sollte.

Auch in den USA macht man sich um dieses Problem erhebliche Sorgen. Die Bundesstaaten Virginia und Maryland haben sogar die Zusendung unerwünschter E-Mails, insbesondere in Form von Massen-E-Mails ("Spamming") inzwischen verboten und sogar mit Strafe bedroht. Letzteres geht sicher zu weit, zeigt jedoch deutlich: Die weltweite und grenzenlose Kommunikation per E-Mail und Internet macht es dringend erforderlich, Erlaubtes und Verbotenes global möglichst homogen zu regeln.

Was also tun ?

Tipps muss man einstweilen nach Absender und Empfänger der E-Mail-Werbung differenzieren, also folgendermaßen:

- Für den Absender: Besondere Vorsicht bei Privatpersonen. E-Mails im Betreff nicht tarnen, sondern den kommerziellen Zweck eindeutig erkennbar machen. Bei gewerblichen Kunden genau überlegen, ob diese an der Botschaft interessiert sein könnten. Opt-Out-Register nach ihrer Einführung regelmäßig auswerten.

- Für den Empfänger: Wer in Ruhe gelassen werden möchte, sollte dies dem Absender schon nach dem ersten Eindringen durch eine Rück-Mail klar mitteilen. Immer mehr Programme halten übrigens Filterfunktionen gegen unerwünschte E-Mails vor ("Junk-E-Mail-Funktionen"), die man einsetzen sollte, statt gleich beim Kadi sein Heil zu suchen.

- Abschließend für beide Seiten: Die weitere Entwicklung innerhalb und außerhalb Europas aufmerksam beobachten. Auf dem elektronisch zusammenwachsenden Globus wird wohl noch manches in Frage gestellt werden, was hierzulande bislang als unumstößlich galt. Hoffentlich werden jedoch obige Erkenntnisse nicht bald durch eine jüngst verbreitete Seminar-Weisheit weggefegt: Ein Internet-Jahr dauert maximal drei Monate!

* Dr. Hans-Ulrich Buckenberger ist Rechtsanwalt bei der Kanzlei Dr. von Hartmann & Partner in Hannover.

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