Wie Digital die Zukunft meistern will: Der Fokus liegt auf Alpha, NT und Internet

03.07.1997

MÜNCHEN: Digital Equipment ist ein Unternehmen mit einer langen und wechselvollen Geschichte. 1992 stand die Firma nach Milliardenverlusten am Abgrund. Mit harten Einschnitten beim Personal und bei den Kosten gelang es dem neuen Firmenlenker Robert Palmer, Digitals Absturz zu verhindern. Seither tastet sich Digital vorsichtig an der Null-Linie entlang. Mit der Konzentration auf Kernkompetenzen will Digital auch in Deutschland die Übernahmegerüchte zerstreuen und wieder Gewinne einfahren.

Das Städtchen Maynard im US-Staat Massachusetts ist ein kleines Nest im geruhsamen Neu-England. Die Fabrikgebäude aus rotem Backstein mitten im Ortskern wirken wie Fremdkörper zwischen den schmucken Holzhäusern. Ausgerechnet in diesem ländlichen Idyll legte Firmengründer Ken Olsen 1957 den Grundstein für einen der größten Technologie-Konzerne der Welt: Die Digital Equipment Corporation.

Seit den Anfangstagen von Digital hat sich viel verändert. Olsen, der auch schon mal mit Latzhosen und Gummistiefeln die Produktionshallen durchstreifte, wurde 1992 durch eine Palastrevolte seiner unzufriedenen Mitarbeiter abgelöst. Nach über 30 Jahren an der Firmenspitze hatte er abgewirtschaftet - und mit ihm das Unternehmen. Ihm war derselbe Lapsus unterlaufen wie seinerzeit dem Apple-Management. Anstatt das Betriebssystem VMS und die MicroVAX-Chiptechnologie zu lizensieren und sich damit der Clone-Industrie zu öffnen, entschied sich Olsen Mitte der 80er Jahre dafür, seine Pfründe zu sichern und mit niemand zu teilen. Eine kapitale Fehlentscheidung.

Jahre später war die proprietäre Minicomputer-Serie VAX völlig veraltet und Digital stand mit Rekordverlusten von über 2,5 Milliarden Dollar am Rande des Exitus. Olsens Nachfolger in der Firmenzentrale an der Powdermill Road wurde der smarte Texaner Robert Palmer. Er verpulverte in der Umstrukturierungsphase die restlichen Gewinne der vergangenen 35 Jahre. "Wir haben drei Millionen Dollar Verlust gemacht. Und zwar pro Tag!" erklärte der Digital-Chef im Sommer 1996 in einem Interview. Heute hält Palmer Digital für saniert: "Wir sind eine ganz normale Firma mit den üblichen Höhen und Tiefen", so seine Meinung.

Marktkenner können diese Ansicht nicht unbedingt teilen. Digital gilt in Insiderkreisen als potentieller Übernahmekandidat. Wenn man der US-Presse Glauben schenken darf, dann umkreisen die Interessenten das Unternehmen bereits wie die Motten das Licht. Nach den letzten Gerüchten um einen möglichen Verkauf an Compaq erklärte Digital, das alles sei "absoluter Unsinn". Verhandlungen gebe es keine. Dennoch:

"Digital ist zu groß, um als Nischenanbieter überleben zu können und zu klein, um den Markt zu bestimmen. Hinzu kommt die Verlagerung der Software-Strategie auf Microsoft und die damit verbundenen Abhängigkeiten. Auf lange Sicht kann Digital damit nur im Niemandsland enden", erklärt ein amerikanischer Unternehmensberater und ehemaliger Digital-Manager gegenüber ComputerPartner. Nachdem von den weltweit ehemals 120.000 Mitarbeitern im Jahre 1990 heute weniger als die Hälfte übriggeblieben sind (vgl. Grafik), dreht sich die Spirale des Personalabbaus munter weiter. Weitere 7.000 Leute müssen im Laufe des Geschäftsjahres 1996/97 (30.6.) ihren Platz räumen. Damit nähert sich der Personalbestand zwar der 50.000er Marke, eine echte Überlebenschance geben Analysten der Computer-Company aber erst bei 30.000 Mitarbeitern.

Aus diesem Grund wird allgemein erwartet, daß es zu weiteren Einschnitten im Personal kommt. Daß Digital-Chef Palmer nicht zimperlich ist, wenn es um Personalfragen geht, hat er in der Vergangenheit schon mehrfach bewiesen. Der smarte Manager ist ein Verfechter der "Zero-tolerance-policy": Fehler macht bei ihm jeder nur einmal. Als sich sein Stellvertreter und oberster PC-Chef Enrico Persatori einen teuren Ausflug in den Markt für Consumer-PCs leistete und damit Verluste von geschätzten 200 Millionen Dollar aufhäufte, mußte er seinen Hut nehmen. "Jede Geschäftseinheit hat ihre Freiheit und kann Dinge ausprobieren. Ich persönlich habe nie geglaubt, daß wir mit diesem Business Geld verdienen können", erklärte Palmer kurz vor dem Rausschmiß Persatoris im Juni letzten Jahres.

In der vom Digital-Boß postulierten Wachstumsstrategie (siehe Kasten) heißt es: "Digital konzentriert sich auf Kernkompetenzen, bei denen ein echter Mehrwert offeriert werden kann." Und so backt man im PC-Geschäft heute in Profi-Segment (Enterprise-Computing) kleinere Brötchen in der Hoffnung auf bessere Gewinnaussichten. "Eine Million Einheiten pro Jahr", diese Zahl nannte Palmer auf die Frage nach Absatzzahlen im PC-Bereich im Sommer letzten Jahres. Dabei handelt es sich um die von der Industrie allgemein als Faustregel angenommene Größenordnung, um profitabel zu arbeiten. Nach Experten-Meinung bewegt sich Digital inzwischen unter diesem Wert, dennoch bescheinigte die Gartner-Group Digital im letzten Bericht Profitabilität in diesem Sektor.

Über die Gewinnerwartungen in den einzelnen Geschäftsbereichen wird bei Digital nur ungern gesprochen. Bei bislang eher blutarmen Umsatzwachstumsraten zwischen drei und fünf Prozent fragen sich Insider schon länger, wie die angeblich zweistelligen Wachstumsraten mit Digitals Flaggschiff, dem Alpha-Prozessor, zustande kommen. Um die Fehler der Vergangenheit zu vermeiden, ging Palmer fleißig auf die Suche nach Lizenzpartnern. Im Juni 1996 verkündete er stolz eine Allianz mit Samsung. Die Koreaner erwarben die Rechte für Vermarktung, Verkauf und Produktion von Digitals 64-Bit-Alpha-Technologie und wollen in diesem Jahr mit der Fertigung starten. Anläßlich des Vertragsabschlusses prahlte der Digital-Boss stolz, daß die Nachfrage nach den Chips "enorm" sei. Konkrete Zahlen nannte er nicht.

So gewaltig kann der Run auf den Alpha dann aber wohl doch nicht sein. Im November gab Palmer, schon wesentlich kleinlauter, einen weiteren Lizenzpartner bekannt: Die Enorex Microsystems aus Edison, New Jersey. Mit der kleinen Computerfirma, bekannt durch den Katalogverkauf von Workstations an Ingenieure, ging Palmer nur ein kleiner Stichling ins Netz. Von einem dicken Fisch, den Digital angeblich für die Vermarktung der Alpha-Chips an der Angel hatte, keine Spur. Die Marktgrößen haben sich alle längst dem Wintel-Kartell verschrieben und zeigten Digital die kalte Schulter.

In klar definierten Märkten wie Hochleistungs-Workstations setzen die Amerikaner jetzt auf ihr Paradepferd. Und heulen ansonsten mit den Wölfen: Windows NT ist eine der drei strategischen Plattformen, auf die Digital für die Zukunft setzt. Zeitgleich mit der Ausrichtung auf die drei Säulen NT, Alpha und Internet hat Digital im vergangenen Sommer weltweit die Vertriebsstrukturen umgestrickt.

Drei sogenannte "Enterprise Sales Forces" (ESF) kümmern sich um die Kunden. ESF 1 betreut dabei eine erlesene Zahl von Key Accounts, ESF 2 und 3 kümmern sich hierzulande um den gehobenen Mittelstand, kleinere Unternehmen werden ausschließlich über Vertriebspartner bedient. Der "klassische Kanalkonflikt" bleibt da natürlich nicht aus, wie auch Vertriebsleiter Harald Bernreuther zugibt.

Doch Bernreuther, zuständig für Vertriebspartner im Bereich Alpha Systeme- und Server, sieht Probleme eigentlich nur für die "Boxmover". "Mit VARs oder Systemintegratoren haben wir die Kanaldiskussionen eigentlich gar nicht", erklärt er. Energisch widerspricht der Digital-Manager Meldungen auch aus dem eigenen Hause, daß Digital einen Schwenk zurück zum Direktvertrieb anstrebe. O-Ton Bernreuther: "Das ist der blanke Nonsens." Auf Beschwerden der Händler reagiert der Digital-Manager gelassen. "Die Vertriebswege sind zu lang", moniert beispielsweise Andreas Reifel vom Vertriebspartner Hagedorn Bürotronic GmbH in Düsseldorf. Für Bernreuther sind dies die "üblichen Eskalationsstufen, wenn man den Vertriebsweg über die Distribution wählt". Aber er verspricht: "Wir arbeiten dran."

Sein Kollege Peter Kaiser, General Manager der PC Business Unit, hat ebenfalls die Ruhe weg. "Ich fühle mich wohl. Wir liegen im Plan und haben unsere Ergebnisse erreicht", sagt Kaiser. Wobei die Meßlatte im Vergleich zu den Großen der Branche auf einem deutlich niedrigeren Niveau liegt. "Die großen Zielvorgaben überlasse ich Herrn Dobitsch von Compaq. Wir wollen profitabel wachsen", erklärt der deutsche PC-Chef. "Früher wollten wir abwechselnd die Nummer zwei, drei, vier oder fünf werden, das Thema haben wir aufgegeben. Im Gesamtmarkt rangieren wir heute unter ,ferner liefen'" skizziert Kaiser die neue Marschrichtung.

In dieser Tatsache liegen die Schwierigkeiten für Digital Equipment in der Zukunft. Die in der Vergangenheit aufgestellten Führungsziele sind mittelmäßigen Ansprüchen gewichen. Und genau das könnte Digital eines Tages zum Verhängnis werden. (kg)

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