Handeln auf allen Kanälen

Wie Omni-Commerce den Online-Handel revolutioniert

30.06.2016
Tim Hahn ist Mitgründer und einer der Geschäftsführer der E-Commerce-Agentur netz98 new media GmbH. Er verantwortet Sales sowie Marketing und kann auf mehr als 15 Jahre Erfahrungen aus E-Commerce- und B2B-E-Commerce-Projekten verweisen. Seine Fachgebiete sind strategische E-Commerce-Beratung, Realisierung von Magento-Shopsystemen sowie Market-Strategien und Qualitätssicherung.

Der Point of Interest wird Point of Sale (PoS)

Zurück ins B2C-Geschäft. Auf dem Weg zu einem Omni-Commerce sind wir momentan auf der Entwicklungsstufe des Omni-Channels angekommen. Der Kunde kann Leistungen über eine Vielzahl von mehr oder minder erfolgreich miteinander verknüpften Kanälen beziehen.

Ein Omni-Commerce ist im Gegensatz zum Omni-Channel aber nicht ein strategisches Absatzmodell, das einige zentrale Vertriebswege durch digitale Services für besondere Nutzungsszenarien verlängert, zum Beispiel den Online-Shop durch einen Click-to-Shop-Button in YouTube-Videos integriert. Omni-Commerce ist eher ein Verständnis von Kundeninteraktion. Dabei stellt sich die Frage: Wollen Händler den Kunden dazu bringen, dass er auf sie zukommt, dass er nach ihren Regeln spielt? Oder wollen sie den individuellen Erwartungen des Kunden entsprechen?

Der erste Weg führt mit der Zeit sicherlich ins Abseits. Denn Kunden verfügen heute über eine viel größere Autonomie gegenüber dem einzelnen Händler. Dank Online-Handel und Smartphone bietet sich dem Kunden immer und überall eine Möglichkeit, ein Angebot zu finden. Er lebt in der Gewissheit, dass sobald der Wunsch zum Kauf geweckt ist, er auch befriedigt werden kann. Der Point of Interest ist damit gleichzeitig auch der Point of Sale. Sollten die Kundenerwartungen an diesem Punkt aber enttäuscht werden … nun, die Konkurrenz ist nur wenige Klicks entfernt.

Neue Entscheidungskriterien

Aus diesem Grund beschreibt Omni-Commerce eben viel mehr als die permanente Verfügbarkeit. Konsumenten lassen sich beim Kauf nicht nur vom Angebot leiten, sondern auch vom Komfort. Beim Komfort wird das Thema Zeit immer wichtiger. Im Idealfall kann der Kunde genau in dem Moment kaufen, in dem etwas das Kaufverlangen geweckt hat. Von der Kaufentscheidung bis zum Ziel kann es aber auch in Zeiten des Smartphones ein weiter Weg sein.

Wenn aus dem Point of Sale ein "Point of Annoyance" wird

Ein Beispiel: Was tun, wenn man am Samstagabend bemerkt, dass man für den kommenden Dienstag einen neuen Anzug benötigt, da die alten gerade in der Reinigung sind, und keine Zeit für eine abendliche Shoppingtour mehr bleibt? Die Alternative zu Feierabendverkehr, Parkplatzsuche und kurzen Öffnungszeiten ist der Online-Handel, aber da die Zeit knapp ist, bleiben hier nur Anbieter, die einen Expressversand offerieren.

Da erfahrungsgemäß nicht jeder Anzug auf Anhieb sitzt, muss man gleich mehrere bestellen. Bis die zueinander passenden Kombinationen aus Anzug, Hemd und Krawatte ausgewählt und bestellt sind, vergeht einige Zeit. Der eine Artikel ist in der Größe nicht lieferbar, der andere erst in vier Werktagen. Das Angebot wird von Minute zu Minute kleiner. Wären die Öffnungszeiten nicht gewesen, man hätte ebenso gut im Schritttempo ins nächste Einkaufszentrum fahren können.

Wenn jetzt noch die bestellten Kleidungsstücke nicht wie versprochen am Montag geliefert werden, wurde aus dem Point of Interest / Point of Sale ein "Point of Annoyance". Beim Omni-Commerce hingegen werden alle Aspekte wie Beschaffung, Logistik, Präsentation, Bestellung, Versand, Retouren und dergleichen als Service für den Kunden begriffen und möglichst ganz auf ihn ausgerichtet.

Dass die Fülle an Touchpoints erhalten bleibt und ein Tracking über alle Touchpoints realisiert wird, ist obligatorisch. Zwar bleibt „Omni“ natürlich ein unerreichbares Ideal. Das Ziel ist es aber, dem Kunden so weit wie möglich entgegenzukommen und die kostbare Ressource Zeit zu schonen. Im obigen Beispiel wäre die Kombination aus Curated Shopping wie bei Outfittery und der Leistungsfähigkeit des Amazon-Prime-Dienstes die beste Lösung.

Im Future-Commerce steckt leistungsfähiger E-Commerce

Wirtschaftlich lässt sich ein solches Konzept aber nur umsetzen, wenn sich ein individuelles Set an Touchpoints und Services einfach zusammenstellen und jederzeit wieder ändern lässt. Dem E-Commerce kommt dabei eine doppelte Rolle zu. Technologisch bietet er eine Plattform, die sowohl die Ausgabe in ein Frontend ermöglicht – was nicht zwingend der Shop sein muss – als auch die Transaktionsprozesse im Handel managt.

Bei modernen E-Commerce-Systemen ist diese Trennung zwischen Frontend- und Backend-Prozessen, zwischen Ausgabe und Geschäftslogikebene, sehr eindeutig und kann sogar über zwei unterschiedliche Systeme realisiert sein.

Hinzu kommt eine optimale Verbindbarkeit mit digitalen Systemen und Services Dritter. Vereinfacht gesagt, sind moderne E-Commerce-Plattformen in der Lage, sowohl die „Inhalte“ für unterschiedlichste Kanäle und Touchpoints auszuspielen (Shops, mobile Endgeräte, Kassensysteme, Verkaufsschalter, Medien) als auch umgekehrt die hier angestoßenen Transaktionen problemlos zu verarbeiten und entsprechende Prozesse in anderen Systeme wie ERP, CRM oder Payment-Systeme anzustoßen.

Das Einzige, was noch fehlt, ist die Bereitschaft von „Frontend-Anbietern“ wie Publishern, Social-Media-Plattformen oder auch der Industrie überall dort, wo Kunden aktiv sind, Shopping-Funktionen zu erlauben. Denn aus Perspektive des E-Commerce ist es egal, ob über ein Shopfrontend, ein YouTube-Video oder eine der letzten Litfasssäulen geshoppt wird.

Als Branche stehen wir vor der Aufgabe, das Potenzial des E-Commerce als zentrale Plattform für alle Handelsprozesse zu begreifen, unser Mindset entsprechend anzupassen und unseren Kunden zu verdeutlichen, dass es schon mittelfristig keine Entscheidung mehr zwischen Online- und Offline-Welt geben kann. Digitaler Handel, E-Commerce ist überall und immer. (haf)

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