Systemhauskongress CHANCEN, 07.-08. September

Wie Systemhäuser ihr Service-Geschäft skalieren können

Regina Böckle durchforstet den Markt nach Themen, die für Systemhäuser und Service Provider relevant sind - oder es werden könnten - und entwickelt dazu passende Event-Formate.
Das Geschäftsmodell der Zukunft liegt für Systemhäuser und MSPs in der Kombination aus umfassender Beratung und professionellen Dienstleistungen. Die Herausforderung steckt in der Frage, wie man dieses Geschäft mit dem bestehenden Team umsetzen kann. Systemhaus-Chef Philip Semmelroth hat dafür ein Vorgehensmodell entwickelt. Warum es entstand und wie es funktioniert, erläutert er im Interview.

Bei allem Hype um Cloud und neue Services: Aktuell verdienen Systemhäuser doch nach wie vor den Löwenanteil ihres Geschäfts mit Produktverkauf und produktnahen Diensten. Warum und wie soll der Absprung vom Produktgeschäft erfolgen?

Philip Semmelroth: Die Hardware-Umsätze gehen seit Jahren kontinuierlich zurück. Es wird auch immer unbedeutender, aus welcher Quelle der Kunde seine Hardware bezieht, weil das Systemhaus als Produktverkäufer austauschbar geworden ist. Damit kann man kein Alleinstellungsmerkmal mehr entwickeln. Deshalb muss man sein Geschäft kontinuierlich in Richtung Beratungshaus entwickeln, das den Kunden dauerhaft begleitet und nicht nur kontaktiert wird, wenn es Störung gibt. Der Bedarf an Dienstleistungen wächst stetig, immer mehr rufen Kunden auch Beratung und Dienstleistungen rund um die Optimierung von Geschäftsprozessen ab.

Philip Semmelroth, Geschäftsführer der C&S - Computer und Service GmbH: "Die Geschäftsgrundlage eines Systemhauses ist heute die Störungsvermeidung, nicht die Störungsbehebung. "
Philip Semmelroth, Geschäftsführer der C&S - Computer und Service GmbH: "Die Geschäftsgrundlage eines Systemhauses ist heute die Störungsvermeidung, nicht die Störungsbehebung. "
Foto: Foto Vogt

Dienstleistungen haben Systemhäuser auch schon in der Vergangenheit für ihre Kunden erbracht. Warum also ist das Thema Dienstleistung so hoch aktuell?

Philip Semmelroth: Wir können heute als Systemhaus nicht mehr einfach nur selbst entscheiden, was wir machen sollen, sondern wir müssen uns an die real veränderte Erwartungshaltung unserer Kunden anpassen. Die Toleranz und Akzeptanz für Systemausfälle liegt inzwischen bei null - sei es das Stromnetz, die IT oder anderes. Der Kunde kann sich keine IT-Ausfälle mehr erlauben, weil inzwischen fast jeder Prozess im Unternehmen von der Funktionstüchtigkeit seiner IT abhängt. Das bedeutet, wir müssen den höchsten Service-Level bei schnellster Reaktionszeit gewährleisten - und das nicht nur für einzelne Kunden, sondern für jeden.
Diese Anforderung mit einer Armee von Technikern zu erfüllen, die Tag und Nacht einsatzbereit sind, ist weder personalseitig noch wirtschaftlich abzubilden.
Also muss man dafür sorgen, dass es keine Ausfälle gibt, dadurch verlagert sich in letzter Instanz die Verantwortung für die IT vom Kunden auf den Dienstleister. Solange der Kunde selbst für Anlagenbetrieb verantwortlich war, akzeptierte er zwei Stunden Anreise für den Techniker. Wenn ich aber als Systemhaus die Verantwortung für den Betrieb der Intrastruktur proaktiv übernehme, um Ausfallzeiten zu verhindern, muss ich Strukturen schaffen, mit denen ich Ausfälle verhindern und schnell beheben kann, beispielsweise über Monitoring-Modelle.
Die Geschäftsgrundlage eines Systemhauses ist heute die Störungsvermeidung, nicht die Störungsbehebung.

Es gibt eine Vielzahl von Tools, die Systemhäuser bei Monitoring, Automatisierung und Standardisierung unterstützen. Warum also ist es trotzdem so schwierig dieses Dienstleistungsgeschäft auszuweiten?

Philip Semmelroth: Den Systemhaus-Chefs ist die wachsende Bedeutung des Dienstleistungsgeschäfts durchaus bewusst. Allerdings haben viele Mitarbeiter den Kerngedanken der ganzen MSP Modelle oft noch nicht verstanden. Es geht bei Standards nicht darum, Mitarbeiter entbehrlich zu machen, sondern mit der gleichen Anzahl Mitarbeiter mehr Kunden zu betreuen und einen Qualitätsstandard über alle Techniker zu garantieren. Das muss wiederholt kommuniziert werden und Veränderungen müssen in dieser Konzeption für den Mitarbeiter auch verständlich belegt sein, damit er die Entwicklung nicht aus Angst durch Unwissenheit bremst oder gar boykottiert.
Die Geschäftsgrundlage eines Systemhauses ist heute die Störungsvermeidung, nicht die Störungsbehebung.

Philip Semmelroth stellt Systemhäusern auf dem Systemhauskongress am 7. und 8. September 2017 in Düsseldorf ein von ihm entwickeltes Verfahren vor, um Prozesse im Systemhaus so zu systematisieren und zu automatisieren, dass sich bestimmte Dienste mit der bestehenden Mannschaft beliebig skalieren lassen.

Was genau verändert sich für die Mitarbeiter eines Systemhauses - beispielsweise für einen Techniker -, wenn das Unternehmen dienstleistungsorientierter wird?

Philip Semmelroth: Die Ausrichtung zu einem höheren Dienstleistungsanteil erfordert vom jedem Mitarbeiter eine Verhaltensänderung. Jahrelang hat er gelernt, zu reagieren: Er wurde dafür bezahlt, ein Problem beim Kunden zu erkennen und zu lösen. Er hat Brände gelöscht - ohne feste Verfahren.
In der neuen Welt muss derselbe Mitarbeiter proaktiv auf Kunden zugehen und sagen: "Wenn ich im Vorfeld bestimmte Dienstleistungen erbringe, dann schütze ich Dich vor diesen Problemen."
Das zwingt den Mitarbeiter zu ganz neuen Vorgehensweisen: Er muss sich quasi vom Feuerwehrmann zum Brandschutzbeauftragten wandeln. Das ist eine ganz eine andere Arbeit, und dafür braucht er ganz andere Kompetenzen.
Als Systemhaus-Chef kann ich nicht einfach neue Mitarbeiter finden, die diese Kompetenzen schon mitbringen. Also muss ich die Denkmuster meiner Mitarbeiter ändern. Das braucht Zeit, weil sich ein Mitarbeiter nur über einen längeren Prozess hinweg mit dieser neuen Rolle identifizieren kann. Er muss die Strategie nicht nur verstehen, sondern wirklich verinnerlichen und davon überzeugt sein. Denn nur dann kann er sie auch umsetzen. Wenn ein Mitarbeiter selbst zweifelt, wird er den Kunden nicht überzeugen.

Der Strategiewechsel hat auch eine kaufmännische Komponente. Wie schafft man es, ein Geschäft, das auf Dienstleistungen basiert, profitabel zu machen?

Philip Semmelroth: Dafür gibt es zwei Hebel: Entweder erhöhe ich die Stundensätze oder ich werde effizienter. Hebel Nummer Eins funktioniert selbst in einem Wachstumsmarkt nur eine begrenzte Zeit lang. Setze ich aber auf Effizienz, kann ich von Skaleneffekten profitieren. Denn die Stundensätze für bestimmte Leistungen werden sich irgendwann manifestieren und damit wird sich der Markt zu einem "Pauschalangebot-Markt" entwickeln. Mit dieser Entwicklung kann ein Systemhaus nur mithalten, wenn es zu Effizienz und Automatisierung fähig ist und somit standardisierte Lösungen bei gleichbleibend hoher Qualität mit einer Festpreiskalkulation unterlegen kann. Und es ist entscheidend, dass alle Mitarbeiter im Unternehmen diesen Zusammenhang verinnerlichen.
Wenn ich die Chancen im Dienstleistungsgeschäft also jetzt wahrnehme, kann ich mich gegen andere Wettbewerber durchsetzen und eine aktive Rolle bei der Marktkonsolidierung übernehmen.

Sie bauen Ihr eigenes Systemhaus seit einiger Zeit in dieser Richtung um. Was war der Auslöser dafür?

Philip Semmelroth: Die Idee kam mir bei einem Mittagessen bei Subway. Ich esse deren - wie ich finde - gesunde und sättigende Sandwiches so gerne, dass ich ein Subway-Radar entwickeln ließ. Im Umkreis unseres Büros habe ich die Subway-Standorte ermitteln und dokumentieren lassen, die ich passiere, wenn ich unterwegs bin. Meine Dispo ermittelt für mich bei der Abreise, welche Strecke ich fahre und wo ich Pause machen kann. Das Ziel war, immer gutes Essen zu bekommen, egal wohin ich reise. Da der Prozess bei Subway einheitlich verläuft, schmeckt das Essen auch immer gleich. Dieses Erlebnis wollte ich auch für meine Kunden anstreben, die mit verschiedenen Technikern aus meinem Haus Kontakt haben.

Wie haben Sie dieses "Subway-Modell" in Ihr Geschäft übertragen?

Philip Semmelroth: Ich habe ein spezielles Verfahren entwickelt. Es gewährleistet, dass wir interne Prozesse umfassend dokumentieren und so das menschliche Fehlerpotenzial sowie die Abhängigkeit von Einzelpersonen reduzieren. Auf diese Weise erlebt der Kunde eine konstant hohe Servicequalität.

Wir haben im Zuge dieses Verfahrens bestimmte Prozesse so klar definiert und systematisiert, dass sie jeder Mitarbeiter im Unternehmen unabhängig von Erfahrung, Talent und Ausbildung durchführen kann. So versetzen wir beispielsweise einen Auszubildenden im 3. Lehrjahr in die Lage, eine professionelle Bestandsdokumentation bei Neukunden zu erstellen.

Auf diese Weise erreichen wir einen hohen Grad an Standardisierung. Das wiederum verschafft uns den nötigen Freiraum, um Kunden bei der Verbesserung ihrer meist sehr individuellen Kernprozesse zu helfen und sie im Idealfall dabei zu unterstützen, ihre Geschäftsmodelle zu erweitern.

Der Kunde profitiert durch dieses Verfahren also von einem gleichbleibenden Service-Erlebnis. Aber was ist der Mehrwert für Sie als Systemhaus?

Philip Semmelroth: Wir könnten sehr schnell weitere Standorte mit garantiert gleichbleibender Service-Qualität eröffnen und obendrein hilft es uns, das gesamte Team - und nicht nur Sales-Mitarbeiter - für die Kundenbetreuung zu begeistern.
Ein weiterer Vorteil: Standardisierte Prozesse beschleunigen die Einarbeitung neuer Mitarbeiter. Ich kann es mir heute nicht mehr leisten, eine neue Kraft zwei Monate lang mit ihren neuen Aufgaben vertraut zu machen, ehe sie selbstständig arbeitet und produktiv wird. Deshalb muss ich neuen Mitarbeitern ein Verfahren an die Hand geben, über das sie sich sofort einarbeiten können. Es gibt quasi keine Lehrzeit mehr.
Ein weiterer Punkt: Die wachsende Bedeutung von Work-Life-Balance und die Möglichkeiten, sich weltweit zu verändern, führen dazu, dass Mitarbeiter auch aus persönlichen Gründen sehr schnell abwandern können. In einem prozessgesteuerten Unternehmen ist das kein Problem, weil genau definiert ist, was ein Kollege wie gemacht hat: Klare Strukturen mit klaren Aufgabenverteilungen. Das erleichtert auch die Neueinstellung von Mitarbeitern, weil ich ganz genau weiß, welches Spezialwissen und welche Aufgaben wir besetzen müssen. Außerdem erkenne ich auch Engpässe viel früher.
Und das Verfahren erleichtert die Projektakquise. Denn erlaubt es uns, Prozesse leichter zu skalieren, so dass wir beispielsweise die Leistung der Bestandsdokumentation gratis oder sehr kostengünstig anbieten können. Das funktioniert hervorragend als Türöffner und lässt uns erkennen, was der Kunde tatsächlich brauchen könnte, lange bevor wir ein Angebot vorlegen.

Worauf kommt es bei der Entwicklung dieses Verfahrens an?

Philip Semmelroth: Entscheidend ist es, den Interpretationsspielraum der einzelnen Prozessschritte zu reduzieren. Denn wir haben nicht mehr die Zeit, alles immer wieder neu zu klären. Das muss in einem Leistungskatalog definiert werden. Und ich muss allen Mitarbeitern bewusst machen, dass der - nach allgemeiner Auffassung - beste Prozessablauf dabei hilft, interne Abstimmungsprobleme deutlich zu reduzieren und nach außen hin verlässlichere, weil personenunabhängigere Ergebnisse für die Kunden zu garantieren.
Mit einem klar definierten Leistungskatalog kann auch ein Techniker sehr schnell eine Projektplan und ein Angebot erstellen, denn er weiß sofort, welche "Bausteine" der Kunde braucht. Und dann wird die Kalkulation auch kalkuliert, und nicht erraten!
Wenn ich weiß, auf welchen Annahmen die Pauschalen fußen, kann ich die Parameter auch nachjustieren und neue Erkenntnisse problemlos in die Kalkulation und die Prozesse einbinden.
Der Leistungskatalog schafft außerdem Transparenz gegenüber dem Kunden und grenzt mich von Wettbewerbern ab, die so etwas nicht haben. Einfach kopieren lässt sich mein Leistungskatalog von niemandem, weil er auf meiner Erfahrung und dem Wissen meiner Mitarbeiter basiert.
Also: Wer jetzt die Zeit investiert, diese Erfahrungswerte zu erarbeiten, schafft sich einen echten Wettbewerbsvorteil!

Es gibt sicherlich Prozesse, die sich in jedem Systemhaus ähneln, aber auch Prozesse, in denen sie sich deutlich unterscheiden. Inwiefern lässt sich dann das von Ihnen entwickelte Verfahren zur Prozessdefinition auf andere Häuser übertragen?

Philip Semmelroth: Dazu bedarf es bestimmter Techniken, wie man diese Prozesse bestmöglich ermittelt, dann definiert und anschließend kommuniziert. Wie so oft im Leben, kann man aus der Erfahrung anderer heraus die eigene Lernkurve deutlich optimieren. Auf dem Systemhauskongress biete ich anderen Systemhäusern an, mein Wissen mit ihnen zu teilen, in dem ich mein Verfahren vor- und zur Diskussion stelle.

Warum liegt Ihnen so viel daran, Ihr Wissen, Ihre Erfahrung mit anderen Systemhäusern, möglicherweise auch mit Wettbewerbern, zu teilen?

Philip Semmelroth: Wir müssen generell prüfen, wie wir arbeiten wollen. Das gilt sowohl für das technische Equipment, als auch für die Frage, was ich selber machen will und was nicht.
Das bedeutet zum einen: Wenn ein Tool ein von uns als Best Process definiertes Vorgehen nicht unterstützt, muss man die Software anpassen, nicht umgekehrt. Das erklärt übrigens generell die hohen Zuwachsraten bei der Software-Entwicklung.
Zum anderen bin ich überzeugt, dass jedes Systemhaus davon profitieren würde, weniger selbst zu machen, sondern stärker zu kooperieren.Denn wer seine Kerndienstleistungen und Prozessen klar definiert, ist auch stärker auf Kooperationen angewiesen. Denn ich definiere ja auch, was ich nicht selbst machen will.
Charakteristisch für weniger qualifizierte Unternehmen - ausgenommen die ganz Großen - ist die Haltung "Wir machen alles". Das ist riskant, denn wenn eine einzige der insgesamt erbrachten 50 Leistungen mal nicht funktioniert, wird sich ein Kunde genau daran erinnern, mit dem Hinweis: "Sie haben gesagt, Sie können das, konnten es aber nicht." Wenn ich weiß, was ich nicht mache, kann ich auch Partnerschaften perspektivisch aufbauen.

Können Sie das an einem Beispiel verdeutlichen?

Philip Semmelroth: Das tue ich sehr gerne. Zu diesem Zweck stehe ich in meinem Workshop auf dem Systemhauskongress ja gerne für Fragen und Austausch zur Verfügung. Das ist aus meiner Sicht der richtige Ort um in die Details einzusteigen. Erlauben Sie mir daher, dass ich die Antwort auf Ihre Frage zurückstelle, um die Spannung zu erhalten.

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