"Wir beobachten keine Konsolidierung im Distributionsmarkt"

14.09.2000
Der Stuttgarter Value-Added-DistributorMagirus setzte 2000 durch Übernahmen in Europa auf Expansion. Über aktuelle Entwicklungen des Unternehmens und der Distributionslandschaft sprach ComputerPartner-Redakteurin Cornelia Hefer mit Magirus-Chef Fabian von Kuenheim.

Magirus hat in diesem Jahr seine europäische Expansion forciert. Sie haben die Unix-Abteilungen von Ingram Micro in Großbritannien, Italien und Belgien übernommen. Außerdem Workstation 2000, ebenfalls in Groß-britannien. Was versprechen Sie sich davon?

von Kuenheim: Nicht viel. Es gibt Umstellungsschmerzen und Umstellungsverluste. Unter dem Strich wird die Summe der Übernahmen - mit den dabei auftretenden Kos-teneffekten - das Ergebnis 2000 auf alle Fälle verschlechtern und nicht verbessern.

Aber langfristig gehen Sie doch von Vorteilen aus?

von Kuenheim: Das ist von Land zu Land unterschiedlich. In Italien war die Übernahme einfach eine strategische Verbreiterung unseres Geschäfts; die Infrastruktur für unseren Distributionsmarkt ist dort bereits vorhanden. In England haben wir dagegen die gesamte Infrastruktur neu aufbauen müssen: vom Gebäude bis zur Firmeneinrichtung. In Belgien war das Geschäft zwar sehr klein, aber das Investment für uns aufgrund sehr guter Mitarbeiter am erfolgreichs-ten. Wir haben in den ersten zwei Monaten nach der Übernahme einen Auftragseingang gehabt, der einem Halbjahresumsatz von Ingram entsprach.

Für den nordamerikanischen Markt sind Sie eine Partnerschaft mit Pioneer eingegangen. Warum?

von Kuenheim: Alle Anbieter stehen unter dem Druck der Globalisierung: Wir haben deutsche Sys-temhauspartner, die auch in den USA beliefert werden wollen. Umgekehrt hat auch Pioneer amerikanische Kunden, die verstärkt in den europäischen Markt drängen. Außerdem müssen wir gegenüber unseren Lieferanten global denken und handeln: Denn alle Hersteller träumen heute von einer globalen Distributionsmannschaft.

Planen Sie demnächst noch weiter Zukäufe oder Partnerschaften?

von Kuenheim: Es laufen Gespräche, aber es ist noch nichts spruchreif. Außerdem müssen wir unsere bisherigen Übernahmen erst mal verdauen. Es gibt schließlich auch Unternehmen, die an ihrem Übernahmehunger gescheitert sind. CHS ist dafür das grausamste Beispiel. Diese Stöpseleien nach dem Motto: "Jetzt kaufen wir noch eine Firma, und die integrieren wir dann mal zwei Jahre später, blicken aber bei den Bilanzen nicht durch" sind einfach verheerend. Das gibt es bei uns nicht. Wir setzen auf radikale Integrierung, selbst wenn es dabei, hart gesagt, ein paar Tote gibt.

Mit welchem Umsatz wird Magirus das laufende Geschäftsjahr abschließen?

von Kuenheim: Die Übernahmen waren in unserer Umsatzplanung bereits eingerechnet. Wir gehen für den Magirus-Konzern in Europa von einem Gesamtumsatz von 700 Millionen Mark aus. 1999 haben wir 550 Millionen Mark erwirtschaftet.

In Deutschland belief sich der Magirus-Umsatz 1999 auf 370 Millionen Mark. Und 2000?

von Kuenheim: Wir werden mit zirka 440 Millionen Mark abschließen.

Und wie sieht Ihre Planung für das nächste Geschäftsjahr aus?

von Kuenheim: Ich gehe davon aus, ohne dass jetzt bereits eine konkrete Planung vorliegt, dass wir im nächsten Jahr zwischen 850 und 900 Millionen Mark Umsatz im Europageschäft erreichen werden.

Für die europäischen Kunden baut Magirus gerade an dem neuen Logistiklager in Straßburg. Wann ist es fertig?

von Kuenheim: Momentan ist die Inbetriebnahme für den 1. Mai 2001 geplant. Das Gebäude wird deutlich früher fertig sein, aber Innenausstattung und EDV werden noch etwas brauchen.

Im Sommer 1999 haben Sie sich von Ihrem Lieferanten SNI verabschiedet. Wie beurteilen Sie denn heute Fujitsu Siemens Computers (FSC)?

von Kuenheim: Noch gar nicht. Wir haben nicht das Gefühl, dass sie die Integration beendet haben. Außerdem suche ich heute Hersteller, die mir den europäischen Markt bieten können - und das kann FSC nicht.

Die anderen Player, mit denen Sie zusammenarbeiten, wie IBM, HP oder Compaq, sind ebenfalls seit geraumer Zeit mit sich selbst beschäftigt: Sie reorganisieren oder basteln an ihrem Vertriebskonzept.

von Kuenheim: Ich halte Compaq von allen Herstellern für den stabilsten. Das ist das Erstaunliche. Wir haben hier mit den meisten Problemen im laufenden Jahr gerechnet, und nun haben sie am wenigsten. Compaq ist zwar ein Hersteller, der gerne experimentiert, seine Zusagen aber einhält. Nicht wie andere Anbieter, die sich von ihrem existierenden Geschäft verabschieden, bevor das neue läuft. Wir haben das Gefühl, sie haben die Integration von Digital verdaut, ihr Produktportfolio auf Vordermann gebracht und verdienen so auch im Enterprise-Geschäft mehr Geld.

Und wie sehen Sie IBM?

von Kuenheim: Auch mit diesem Hersteller wächst das Geschäft, da haben wir keinen Grund zur Klage. IBM ist ein sehr vielschichtiges Unternehmen: Ein Bereich ist schlecht, ein anderer dafür sehr gut. Das liegt einfach an der Größe der Firma. Sicher haben sie dieses Jahr ein paar Probleme mehr als letztes Jahr. IBM war der große Auftragsgewinner des Jahr-2000-Effekts, weil hauptsächlich ihre Systeme upgedated werden mussten. Aber im Unix-Bereich scheint es seit dem zweiten Quartal wieder so richtig zu laufen. Beispielsweise der AS/400-Serverbereich klingt gut an. Er ist jetzt nur durch einen unglücklichen Modellwechsel behindert: Von den drei Hauptlinien der AS/400 werden zwei innerhalb sehr kurzer Zeit ersetzt, und das merkt man leider immer. Die Announcements kamen zu früh, die Produkte waren noch nicht verfügbar. Aber ich glaube, dass das AS/400-Geschäft irgendwann Ende des dritten Quartals auch wieder gut läuft. Auch vom Storage-Geschäft erwarten wir sehr viel - vor allem durch die Zusammenarbeit von IBM und Compaq.

Warum?

von Kuenheim: Beide sind in spezifischen Märkten sehr stark: IBM war im unteren und mittleren Storage-Bereich immer schwach. Da ist Compaq deutlich stärker: Die Produkte, Preise und Standards sind besser. IBM verfügt dafür über eine gute Position im High-end-Segment. Wenn sie das richtig anpacken, dann würde ich den Wettbewerbern im Storage-Sektor raten, sich warm anzuziehen.

Was verstehen Sie unter "richtig anpacken"?

von Kuenheim: Wenn sie wirklich ihre Technologie auf die Reihe bekommen und damit Standards setzen, die dann auch andere zwingen, diesen Standards zu folgen. Die Chance haben sie jetzt, wenn sie ihre Technologien nicht wieder proprietär machen.

Als neuen Partner aus einer ganz anderen Ecke haben Sie gerade die Software AG (SAG) ins Boot geholt. Das Unternehmen hat bisher nur direkt verkauft. Sehen Sie da kein Problem?

von Kuenheim: Alle unsere Lieferanten betreiben auch ein Direktgeschäft. Wir haben mit Digital angefangen, als sie ausschließlich direkt an die Endkunden verkauft haben. Wir bieten den Herstellern bei der Vertriebsumstellung - von direkt auf indirekt - einen Mehrwert, weil wir sie aktiv bei der Umstellung begleiten. Außerdem musste SAG den Vertrieb umstellen, weil sie neue Produkte auf den Markt gebracht haben, die sich nur für den indirekten Kanal anbieten. Für das Unternehmen spricht, dass es sich bereits im Vorfeld viele Gedanken gemacht hat, wie sie im Channel erfolgreich sein können.

Nebenbei bemerkt: In der Distribution hat Exklusivität nicht nur Vorteile. Es ist manchmal auch gut, wenn es zwei Distis gibt, weil man den Markt besser trimmen kann und weil der Hersteller bei zwei Partnern mehr Zugeständnisse macht.

Welche Lieferanten oder Produktbereiche würden Sie denn für das zweite Halbjahr noch reizen?

von Kuenheim: Ich glaube nicht, dass in diesem Jahr noch weitere Produktbereiche dazukommen. Es gibt bei uns eine Hausregel: Wir führen keine neuen Produkte nach den Sommerferien mehr ein. Gerade in Mitteleuropa laufen 40 Prozent des Jahresumsatzes in den letzten drei Monaten. Da haben wir keine Zeit, neue Produkte einzuführen, sondern müssen unsere Umsätze einholen.

Zum Abschluss: Was halten Sie von der zunehmenden Konsolidierung in der Distributionsszene?

von Kuenheim: Grundsätzlich beobachten wir keine Konsolidierung im Markt. Wir reden zwar seit Jahr und Tag darüber, und es stirbt auch mal einer oder es kommt zu einer Übernahme. Aber gleichzeitig treten immer wieder neue Anbieter in den Markt ein. Es gibt in den einzelnen Marktsegmenten nur eine Konsolidierung, wenn der Markt etwas reifer und weniger dynamisch wird. Aber auf dem aktiven Distributionsmarkt kann ich keine Konsolidierung beobachten. Als Beispiel: 1995/96 gab es per Datenbestand in Westeuropa zwischen fünf- oder sechshundert Distributoren. Heute gibt es über zweitausend, die erfasst sind. Mit neuen Technologien und neuen Produkten entstehen auch immer wieder neue Distributoren.

Das jüngste Beispiel für eine Übernahme ist der Avnet/Raab-Karcher-Deal. Wie bewerten Sie den?

von Kuenheim: Raab-Karcher stand für eine spezifische Art von Value-Distribution in einem sehr exklusiven Lieferanten-Distributions-Verhältnis. Das war außergewöhnlich. Ich kenne kein anderes Unternehmen weltweit, das irgendein Produkt in diesem Verhältnis und mit diesem Volumen distribuiert hat. Damit stellt sich aber immer die Frage: Wie lange ist so ein Modell tragbar? Und zweitens: Was macht Avnet damit? Avnet hat bisher nichts Vergleichbares. Da, wo die Avnet-Computer-Division, also Hallmark zuhause ist, kann ich ihr Geschäft nicht beurteilen. Raab-Karcher war in dem Bereich in den letzten 12 bis 18 Monaten als Wettbewerber für uns nicht mehr wahrnehmbar.

Als Avnet in den deutschen Markt eintrat, haben sie unter anderem Magirus als Wettbewerber identifiziert. Wie sehen Sie das heute?

von Kuenheim: Avnet ist mehr ein theoretischer Wettbewerber, ein praktischer sind sie nur begrenzt. Avnet hat in Deutschland sehr schnell Distributionsverträge mit IBM, HP und Compaq geschlossen. Den HP-Vertrag haben sie mittlerweile wieder verloren. Der Vertrag mit Compaq existiert wohl noch, er ist aber ziemlich leblos. Und wenn wir von Compaq Distributionsstatistiken bekommen, dann liegt Avnet bei etwa drei Prozent des Distributionsumsatzes. Ein bisschen mehr sehen wir sie bei IBM. Aber bei IBM besetzen Magirus und Workstation 2000 deutlich über 90 Prozent des deutschen Marktes.

In bestimmten europäischen Ländern wie Italien oder England hat Avnet eine starke Position. Ich muss aber ganz offen sagen, es ist sehr schwierig, in entwickelten Distributionsmärkten wie Deutschland Fuß zu fassen. Man braucht immer eine gute Opportunity, und die hatte Avnet bisher sichtlich nicht.

Von der Broadline- zur Value-Added-Distribution

Facts & Figures: Magirus

Im Folgenden wird kurz die Unternehmensentwicklung der Stuttgarter Magirus AG skizziert (zur Produkt- und Leistungsstruktur siehe Grafik auf Seite 58):

1981 - 83: Magirus entwickelt und vertreibt eigene Computersysteme und Peripherie.

1983 - 86: Beginn der Broadline-Distribution im Hardware-Segment.

1986 - 89: Ausbau der Distribution mit Hewlett-Packard (nach eigenen Angaben auf Platz sieben weltweit).

1990: Neuausrichtung: Value-Added-Distribution, erklärungsbedürftige Produkte stehen jetzt im Vordergrund.

1991 - 97: Expansion in die neuen Bundesländer. Büros in der Schweiz und in Österreich werden eröffnet. Magirus führt eine Business-Unit-Struktur ein.

1998: Magirus eröffnet Tochterfirmen in Italien und Frankreich.

1999: Übernahme des Storage- und Server-Distributors Alphateam in Frankreich.

2000: Gründung von Magirus Espania SL in Madrid, Spanien. Beginn der Bauarbeiten am Logisticenter für Medien, Highend-Server und Storage-Systems in Straßburg.

Um den Eintritt in den US-Markt zu erleichtern, geht Magirus eine Allianz mit dem amerikanischen Midrange-Distributor Pioneer-Standard-Elec-tronics-Combine ein.

Übernahme der Enterprise-Systems-Group von Ingram-Micro in Groß-britannien, Belgien und Italien am 1. Mai. (ch)

www.magirus.de

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