"Wir müssen neue Strategien entwickeln, um weiter zu wachsen"

12.09.1999
OBERHACHING: ATI steht im Grafikkarten- und -chipmarkt immer noch unangefochten an der Spitze. Aber auch Marktführer können sich nicht ausruhen: Über Strategien und Entwicklungen in diesem schnellebigem Segment sprach ComputerPartner-Redakteurin Cornelia Hefer mit ATI-Europachef Gerd Queisser.

ATI hat im Oktober für vier Wochen die Belieferung der Distributoren ausgesetzt. Warum?

QUEISSER: Wir haben die Lieferung nicht nur in Deutschland ausgesetzt, sondern in ganz Europa. Wenn man aufgrund des Erdbebens in Taiwan nicht genug Produkte hat, aber trotzdem eine sehr hohe Nachfrage befriedigen muß, bedarf es schneller Entscheidungen. Den größeren Teil unseres Volumens bewegen wir über Systemintegratoren, bei denen die Fertigungsstraßen weiterlaufen müssen. In diesem Sonderfall - nach der Taiwan-Krise - haben wir die Ware, die wir zur Verfügung hatten, an unsere Kunden aus der Systemintegration ausgeliefert.

Sind diese Engpässe jetzt behoben?

QUEISSER: Ja. Wir haben gerade das erste Quartal von September bis November des neuen Geschäftsjahres abgeschlossen. Und die Ergebnisse waren sehr gut. Allerdings sind sie noch nicht zu Veröffentlichung freigegeben.

Ihr Mutterunternehmen in Kanada hat gerade ein Rekordergebnis für das Geschäftsjahr 1998/99 (Ende: 31.8.99) bekanntgegeben (Umsatz: 1,23 Milliarden Dollar, Gewinn: 159,3 Millionen Dollar). Die meisten Ihrer Wettbewerber müssen dagegen mit roten Zahlen leben. Wie machen Sie das?

QUEISSER: (lacht) Ich hoffe, Sie haben genug Zeit mitgebracht. Das Unternehmen ATI kann im Grafikkarten- und Chipsegment auf eine lange Geschäftstätigkeit zurück blicken. Wir bestehen seit 1985. Viele unserer Wettbewerber sind aber noch relativ jung. Wir konnten uns bereits im Vorfeld eine andere finanzielle und technologische Basis aufbauen. Weiter ist unser großer Vorteil, daß wir unsere eigenen Chips entwickeln und herstellen. Andere Unternehmen müssen die Chips für ihre Grafik-Boards erst dazukaufen und sind damit von anderen Unternehmen und deren Technologie und Belieferung abhängig. Außerdem haben wir Kooperationen mit allen großen PC-Herstellern weltweit und mit fast allen Systemintegratoren in Europa. In unserer Branche muß man sich entscheiden, ob man Ferraris oder Volkswagen baut. Ferraris verkauft man eben nur 4.500 im Jahr, Volkswagen kann man über fünf Millionen absetzen. Dazu brauchen Sie aber stabile Lieferanten für Ihre Komponenten. Wenn Sie im Chipgeschäft operieren, sind hohe Stückzahlen ein entscheidender Faktor. Nicht nur für den Verkaufspreis und Ertrag, sondern auch für die Belieferung.

Wie waren denn Ihre Ergebnisse in Deutschland im letzten Geschäftsjahr?

QUEISSER: In Europa haben wir über 400 Millionen Dollar umgesetzt. Die grobe Faustregel lautet, daß generell zwischen 25 und 30 Prozent des europäischen Umsatzes in Deutschland generiert werden.

ATI ist Weltmarktführer im Grafikkartenbereich. Allerdings ist gerade Ihre Branche immer für Überraschungen gut. Wie also wollen Sie die Nummer eins in Ihrem Segment bleiben?

QUEISSER: Sie werden es nicht glauben, aber darüber denke ich jeden Tag nach. Als ich vor fünf Jahren, 1994, bei ATI anfing, haben wir in Europa einen Umsatz von 18 Millionen Dollar im Jahr gemacht und haben etwa 70.000 Boards im Jahr verkauft. Inzwischen setzen wir über 400 Millionen Dollar um. Und je nachdem in welchem Quartal und Monat wir uns gerade befinden, setzen wir zwischen 30.000 und 80.000 Karten am Tag ab. Also war unsere Strategie bisher wohl erfolgreich. Aber jetzt sind wir an einem Punkt, an dem wir neue Strategien entwickeln müssen, um weiter zu wachsen. Denn alle Wettbewerber wollen dahin, wo wir sind und nicht umgekehrt. In den nächsten zwei bis drei Monaten werden wir also erst einmal neue Produkte und neue Technologien auf den Markt bringen. Ein anderes Wachstumpotential sehen wir im Notebook-Markt. Denn Mobile Computing wächst erheblich schneller als der Desktop-Markt. Wir haben also einen Chip mit vier integrierten Memory-Bausteinen und integrierten Grafikfunktionen entwickelt. Und dieses Produkt erfüllt die Forderung der Notebook-Branche: möglichst klein, möglichst wenig Wärmeentwicklung, aber hohe 3D-Grafikleistung, und er darf natürlich fast nichts kosten. Außerdem wird in Zukunft das Segment der Settop-Boxen zunehmend interessant. Ich glaube, daß sie sich auf Dauer neben den für den Anwender immer noch komplizierten und teuren PCs durchsetzen werden.

Welche allgemeinen Entwicklungen sehen Sie in den nächsten Jahren für Ihre Branche?

QUEISSER: Die Technologien werden immer weiter ineinander greifen. Da kann man künftig in unserem Markt nur noch mit strategischen Kooperation wie zum Beispiel mit Intel, AMD oder Microsoft bestehen. Und hier haben wir als Weltmarktführer gute Karten. Intel zum Beispiel sollte man in unserer Branche so oder so nicht abschreiben. Sie haben zwar angekündigt, sich aus dem Bereich High-End-Grafik-Chips zu verabschieden, aber Intel hat immer noch einen gigantischen Marktanteil, und es werden gute Grafikfunktionen in SOC (System-on-Chip) oder in CPUs integriert. In den nächsten zwei bis drei Jahren werden zirka 30 bis 40 Prozent des Gesamtmarktes direkt integriert. Das ist der Trend. Das Low-End-Segment wird damit verschwinden. Woraus sich auch für uns eine neue Strategie ergibt: Es werden nur noch Unternehmen bestehen, die High-End-Grafikchips und komplette Multimedia-Technologien anbieten.

Ihre Wettbwerber wie Nvidia und 3dfx bringen jetzt ihre neuen Produkte "Geforce" und "Vodoo 3" auf den Markt. Was will ATI dem entgegensetzen?

QUEISSER: Warten wir mal ab, was passiert. Zwischen ankündigen, auf den Markt bringen und verkaufen ist immer noch ein großer Unterschied. Wir werden beginnend mit dem neuen Jahr unter anderem "Rage 128 Pro"-basierende Boards und "Rage Fury Maxx" verkaufen.

Plant Ihr Unternehmen 64-MB-Karten für den deutschen Markt?

QUEISSER: Haben wir schon: "Rage Fury Maxx". Auf diesem Board sitzen zwei Rage-128-Chips, die jeweils 32 MB unterstützen. Durch eine speziell patentierte Technologie verbinden die beiden ihre Leistung und ergeben damit 64 MB. Vor Weihnachten werden wir die ersten Samples auf den deutschen Markt bringen.

Was soll die Karte kosten?

QUEISSER: 599 Mark sind geplant.

Der Konsolidierungsprozeß in Ihrem Marktsegment nahm dieses Jahr weiter zu. 3DFX kaufte STB, S3 Diamond. Stehen damit die endgültigen Player für den Grafikkartenbereich fest oder gehen die Übernahmen weiter?

QUEISSER: Nein, es wird weitergehen. Denn man muß die Geschwindigkeit unserer Branche berücksichtigen. Wir bringen alle sechs Monate eine neue Plattform heraus, die zwischen zwei- oder sogar viermal soviel Leistung bietet wie ihr Vorgänger - aber im Prinzip nur unwesentlich mehr kostet. Die neuen Technologien zu entwickeln und auf den Markt zu bringen kostet viel Zeit und Geld. Da können nicht mehr viele Firmen mithalten, oder sie müssen sich mit anderen zusammenschließen.

Für wieviele Unternehmen bietet der Weltmarkt überhaupt noch Platz?

QUEISSER: Da gibt es verschiedene Ansichten: Die einen sagen für drei Unternehmen, andere meinen fünf. Vielleicht ist es die goldene Mitte.

Wen zählen Sie zu den vier, die überleben werden?

QUEISSER: Neben Intel und ATI vielleicht noch Nvidia und/oder S3 - über Matrox kann ich nicht viel sagen.

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