Wirtschaftliche Hintergründe, Investitionsbereitschaft und Technologieanschluß

12.09.1999

Bei einem Pro-Kopf-Einkommen von etwa 15.000 Dollar im Jahr (Deutschland 1996: 28.800 Dollar) fragt sich mancher vielleicht, wie Taiwan - in den 40er und 50er Jahren noch bitterarm - es geschafft hat, zu einer der bedeutendsten High-Tech-Nationen der Welt aufzusteigen.

Eine Grundlage des späteren Wirtschaftsaufschwungs war sicherlich die erfolgreiche Bodenreform Anfang der 50er Jahre, die noch heute Modellcharakter hat. Großgrundbesitzer wurden enteignet und statt dessen mit bestehenden Fabriken oder mit Aufbauhilfen für Industrieunternehmen entschä- digt. Aber das allein erklärt nicht den heutigen Wohlstand vieler Taiwanchinesen. Denn der stützt sich nicht nur auf derer Hände Arbeit, sondern vielfach auch auf Immobilien- und Aktiengewinne. Wegen ihres spekulativen Charakters sind diese Märkte zwar künstlich aufgebläht, gehören aber trotzdem zu den attraktivsten Asiens. Da die persönlichen Einkommen meist nicht ausreichen, um für die Gründung einer Firma oder für Investitionen an der Börse das nötige Geld aufzubringen, kommen mehrere Faktoren zum Tragen: Einmal ist in der chinesischen Gesellschaft der Familienzusammenhalt noch sehr groß. Er erstreckt sich in vielen Fällen weit über Taiwan hinaus, denn allein in Amerika leben Zigmillionen Chinesen, von denen nicht wenige sich Taiwan eng verbunden fühlen. Zum anderen werden die Renten und Pensionen - anders als in Deutschland - nicht monatlich ausgezahlt, sondern einmalig.

Eine wichtige Rolle spielten in den 80ern und frühen 90ern auch Untergrund-Investitionsgesellschaften, die wegen des rigiden Finanzsystems mitunter weit mächtiger waren als die staatlichen und genossenschaftlichen Banken.

Das Finanzsystem ist mittlerweile gelockert worden und läßt seit etwa drei bis vier Jahren zu, daß auf der taiwanischen Börse Taiex auch institutionelle ausländische Anleger investieren können. Allein in den ersten neun Monaten sind so über 250 Millionen Dollar zusätzliches Investitionskapital nach Taiwan geflossen. Die Regierung ist zuversichtlich, daß die ausländischen Investitionssummen in den nächsten Jahren rapide zunehmen werden, wobei es bereits Überlegungen gibt, den Taiex auch für ausländische Privatanleger zu öffnen.

Bis in die frühen 90er galt für die meisten Geschäftsleute Taiwans, in möglichst kurzer Zeit möglichst viel aus ihren Unternehmen herauszuholen. Das Wie war vielen egal. Denn das Geld lag ja praktisch auf der Straße. So war es keine Seltenheit, daß ein Hersteller von Plastikspielzeug oder Textilien plötzlich in Elektronik oder gar in Computern machte. Investitionen in Forschung und Entwicklung oder gar in Marketingaktivitäten wurden oft nur halbherzig oder gar nicht getätigt.

Doch Investitionen konnten nicht ausbleiben, wollte Taiwans Industrie nicht riskieren, technologisch ins Hintertreffen zu geraten. Wichtige Impulse setzte hierbei die Regierung in Taipeh, die vor dem Hintergrund der internationalen Ächtung der Republik China schon aus Imagegründen daran interessiert war, daß Taiwans Industrie den Anschluß ans 21. Jahrhundert fand. Der Wissenschaftspark in Hsinchu ist nur ein Beispiel. Aber eine noch viel größere Rolle spielten dabei die internationalen OEM-Auftraggeber, die Taiwan wegen seiner strategischen Stellung, dem sprichwörtlichen Fleiß der Chinesen und ihres hohen Bildungsniveaus zu schätzen gelernt haben. In der Folge hat Taiwans Halbleiterindustrie in Schüben massive Investitionen geleistet, um nicht nur den Anschluß ans Weltniveau zu erreichen, sondern dieses in Sachen Forschung und Entwicklung sogar noch zu übertreffen.

Jeder Chinese ist am liebsten sein eigener Herr, was erklärt, daß Taiwans Wirtschaft fast ausschließlich von kleinen und mittelständischen Unternehmen getragen wird. Riesenkonglomerate wie in Korea und Japan, Chaebols genannt, konnten in Taiwan praktisch nie entstehen. Doch die immensen Investitionen, die nötig sind, um technologisch am Ball zu bleiben, zwingen nun auch viele taiwanchinesische Unternehmen, zu fusionieren oder durch Aktientausch größere Partnerschaften zu bilden. Dieser Prozeß hat bereits in großem Umfang begonnen und wird sich nach Einschätzung von Experten in den folgenden Jahren noch fortsetzen. (kh)

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