Wirtschaftskriminalität: Der Feind sitzt meist in den eigenen Reihen

02.05.2003
Wirtschafts- und IT-Kriminalität werden in Deutschland massiv unterschätzt. Das zeigt auch eine Studie von Ernst & Young. Denn für die meisten Unternehmen ist es vor allem ein Problem der anderen. Dabei sitzt der Feind oft in den eigenen Reihen - bis hin zum Top-Management.

Das Problem Wirtschaftskriminalität ist so schwer zu fassen wie deren Verantwortliche. Und je höher ihre Position, desto schwieriger wird es. Bis es, wenn überhaupt, zur Verurteilung kommt, können oft Jahre vergehen. Dabei sind die sich häufenden spektakulären Fälle wie die Bilanzfälschungen bei Worldcom in den USA oder die in der Presse breitgetretenen Waffengeschäfte oft nur die Spitze des Eisbergs. IT-Delikte werden zum Beispiel trotz vielfacher Hacker- und Virenwarnungen auch gerne unter den Teppich gekehrt, will man sich doch nicht die Blöße geben, dagegen nicht ausreichend Vorsorge getroffen zu haben.

Außerdem fehlt hier offensichtlich noch die nötige Sensibilisierung. Eine Maßnahme wären zum Beispiel Monitoring-Systeme, doch während diese bei Banken und Versicherungen zu 48 Prozent eingeführt sind, liegt der Branchendurchschnitt laut einer Studie von Ernst & Young nur bei 27 Prozent. Aber solange die Wahrscheinlichkeit der unerlaubten privaten Nutzung von IT-Equipment als weit höher eingestuft wird als die der Manipulation, Spionage oder gar Sabotage, wird sich daran nicht viel ändern. Denn fast jedes fünfte Unternehmen verzichtet gänzlich auf Monitoring.

Glaubt man dem Frankfurter Experten Hans See, entsteht Deutschland durch Wirtschaftskriminalität - Umweltdelikte der Industrie nicht mitgerechnet - ein jährlicher Gesamtschaden von bis zu 150 Milliarden Euro. Geradezu niedlich nimmt sich dagegen die Summe von 8,3 Milliarden Euro aus, auf die deutsche Unternehmen in der Studie ihrer Schätzung nach im Schnitt kommen. Dabei ist sich die Mehrheit der Befragten durchaus einig, dass die Dunkelziffer vermutlich sehr viel höher liegt. Entsprechend schwanken die Schätzwerte zwischen weniger als einer Milliarde Euro (24 Prozent der Antworten) und über 20 Milliarden Euro (14 Prozent der Antworten).

Und noch etwas hat die Studie zutage gefördert: Kriminell geht es natürlich vor allem bei anderen Unternehmen zu, im eigenen halten sich die Fälle und entsprechende Schäden dagegen angeblich meist noch in Grenzen. Allerdings mit deutlicher Tendenz nach oben: Spricht das produzierende Gewerbe für die vergangenen fünf Jahre intern von 28 Prozent mehr Wirtschaftsdelikten, sind es bei den Banken 57 Prozent. 48 Prozent der Unternehmen gehen für die kommenden fünf Jahre von einem leichten Anstieg der Delikte aus, 17 Prozent sogar von einem starken Anstieg.

Oft deckt "Kommissar Zufall" auf

In 69 Prozent der Fälle handelt es sich bei den zuletzt aufgedeckten Straftaten um Diebstahl oder Unterschlagung, gefolgt von urheberrechtlichen Delikten, Untreue und Betrug. IT-Delikte sind mit 29 Prozent im Mittelfeld, das Schlusslicht bilden mit elf und zehn Prozent Erpressung beziehungsweise Nötigung und Bilanzmanipulation. Aufgedeckt werden die meisten Fälle durch interne Kontrollsysteme oder "Kommissar Zufall". Wichtig sind aber auch - anonym oder nicht - Informanten.

Worüber sich die Unternehmen sehr wohl bewusst sind, ist die sinkende Mitarbeitermoral. War im Jahr 2000 nur ein Drittel der Täter in den eigenen Reihen zu finden, ist es heute über die Hälfte. Top-Manager sind darunter mit vier Prozent zwar nur selten zu finden, gehen aber oft mit schlechtem Beispiel voran. Mit acht Prozent am höchsten ist ihr Anteil bei den Dienstleistern, am niedrigsten im Bau- und Energiegewerbe.

Ein Problem, das in Deutschland noch gar nicht so richtig erkannt wird, ist der unzureichende Schutz des geistigen Eigentums. Nur 38 Prozent der Unternehmen schätzen seine Bedeutung als hoch bis sehr hoch ein, 49 Prozent hingegen als niedrig bis sehr niedrig. Umso größer ist die Überraschung, wenn ein Mitarbeiter Blaupausen kopiert und diese heimlich der Konkurrenz zuschiebt. Das größte Risikobewusstsein haben hier Industrieunternehmen, gefolgt von den Dienstleistern, am geringsten ausgeprägt ist es in den Branchen Energie, Bau sowie Banken- und Versicherungswesen. Jedes dritte Unternehmen lässt sich allerdings mittlerweile von externen Spezialisten beraten, wenn es um den Schutz der immateriellen Vermögenswerte geht.

www.ernst-young.de

ComputerPartner-Meinung

Wissentlich oder unwissentlich wird das Thema Wirtschaftskriminalität von den deutschen Unternehmen offenbar völlig unterschätzt. Gleiches gilt auch für die Risiken, was den Schutz des geistigen Eigentums und der IT-Systeme angeht. Vielleicht ist einfach noch nicht genug vorgefallen, um die Unternehmen endlich wachzurütteln. (kh)

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