Wissen, wie der Kunde tickt

05.10.2006
Verkäufer, die die Psychologie des Kunden entschlüsseln können, haben die besseren Karten. Buchautor Dr. Hans Eicher erklärt im Interview mit ComputerPartner-Redakteurin Marzena Fiok, wie Verkaufspsychologie in der Praxis erfolgreich eingesetzt werden kann.

In Ihrem neuen Buch "Die geheimen Spielregeln im Verkauf" stellen Sie einige provokante Thesen auf. So halten Sie das Credo "Der Kunde ist König" nicht nur für falsch, sondern sogar für einen "ruinösen Götzendienst". Was ist falsch daran, wenn man als Verkäufer signalisiert, die Wünsche des Gegenübers ernst zu nehmen?

Hans Eicher: Natürlich muss man als Verkäufer die Kundenwünsche ernst nehmen. Das darf aber nicht so weit gehen, dass man sich wie ein Verkaufs-Pinocchio verhält und dem Kunden die Initiative überlässt und sich ihm unterordnet.

Als Verkäufer muss man die Fäden im Kundenkontakt stets in der Hand behalten. Und das geht nur dann, wenn man sich auf die Psychologie des individuellen Kunden richtig einstellt sowie selbstbewusst und überzeugend argumentiert. Natürlich ohne dabei überheblich zu sein. Der Knackpunkt beim ruinösen Götzendienst am Kunden: Wenn der Kunde spürt, dass dieser Verkäufer das Geschäft unbedingt machen will, dann geht der Preis zwangsläufig in den Keller.

Wir Menschen haben sehr feine Antennen dafür, wie weit man bei jemandem gehen kann und wo die Grenze ist. Das war schon in der Schule so. Dort war klar, was man sich bei welchem Lehrer erlauben kann und was nicht. Wenn ein Verkäufer im Kunden den König sieht, dann bleibt für ihn nur die Rolle des Knechts oder Untertans übrig. Und das ist eindeutig der schlechtere Part, der die Kundenforderungen erhöht, aber noch lange nicht bedeutet, dass er auch kaufen wird.

Daher meine Empfehlung: dem Kunden nicht hinterherlaufen, sondern auf gleicher Augenhöhe mit ihm kommunizieren. Das erhöht seine Wertschätzung gegenüber dem Produkt und den damit verbundenen Dienstleistungen. Und gleichzeitig signalisiert es: Bei diesem Verkäufer kann ich beim Preis nicht mühelos bis ans Limit gehen, und es wird schwierig sein, ihn mit Vergleichsangeboten zu bluffen. Dadurch werden Rabattwünsche zwar nicht eliminiert - das wäre unrealistisch - , aber überzogene Nachlassvorstellungen bereits im Ansatz eingedämmt.

Von Vertriebsmitarbeitern hört man immer wieder, dass die Kunden "schwieriger" geworden sind. Und auch Sie bestätigen, dass es nicht nur auf das Produkt, sondern zum Großteil auch darauf ankommt, sich auf das Individuum Kunde einstellen zu können. Braucht man ein Psychologiestudium, um ein erfolgreicher Verkäufer zu werden?

Eicher: Nein, es genügt, wenn man sich ein Basiswissen darüber aneignet, was Menschen antreibt, welche Bedürfnisse und Motive hinter ihrem Handeln stehen. Und man sollte wissen, welche Rolle die Emotionen beim Kauf spielen. So, wie ich das in meinem neuen Verkaufsbuch leicht verständlich beschreibe. Durch dieses Wissen behält man als Verkäufer in allen Phasen des Kundenkontaktes die Fäden in der Hand.

Wer heute ohne Psychologie verkauft, der kann zwangsläufig nur über den Preis verkaufen. Die herkömmlichen Tricks und Verkaufstechniken funktionieren schon längst nicht mehr. Wer mehr verkaufen will und die besseren Geschäfte abschließen möchte, sollte die neuesten Erkenntnisse der Psychologie einsetzen. Die funktionieren.

Um zu begreifen, wie ein Kunde tickt, raten Sie Verkäufern, sich ein Beispiel an Profilern von Polizei-Sonderkommissionen zu nehmen. Wie erstellt man denn ein "Täterprofil", wenn es noch gar keinen "Tatort" gibt?

Eicher: Aus meiner Zusammenarbeit mit dem ehemaligen Chef der österreichischen Antiterroreinheit sowie mit einem führenden Profiler habe ich eine Methode entwickelt, wie man Menschen besser einschätzen kann. Und ich habe daraus abgeleitet, wie man schwierige Verhandlungen für sich entscheidet. Für die bessere Einschätzung des Kunden habe ich das Fenster der Menschenkenntnis mit vier Feldern beschrieben und die Grundsätze definiert, wie man Fehleinschätzungen vermeidet.

Und was den "Tatort" anbelangt, so heißt das im übertragenen Sinn für den Verkauf: die Umgebung des Kunden sorgfältig beobachten. Keine voreiligen Schlüsse daraus ziehen, sondern vielmehr Ansatzpunkte dafür sammeln, welche Persönlichkeit der Kunde hat. Diese drückt sich in vielen Details aus, wie beispielsweise die Platzierung von Fotos am Arbeitsplatz - wo stehen oder hängen diese? Wer oder was ist darauf abgebildet? Welche Interessen signalisieren sie, was ist ihm wichtig?

Ein Beispiel für ein solches Detail: Jemand hat ein Foto auf dem Schreibtisch stehen, das ihn beim Golfspielen zeigt, während das Foto der Familie hinter ihm an der Wand hängt, dort, wo er selten hinsieht - weil es ihm weniger wichtig ist als das Golfspiel. Man darf diese Dinge allerdings nicht sofort mit dem eigenen Werteraster bewerten, sondern so, wie das Profiler tun: einfach nur registrieren. Getreu einem ihrer Grundsätze, der auch bei schwierigen Verhandlungen sehr wichtig ist, um sich nicht durch die Person des anderen zu sehr emotionalisieren zu lassen: Anders ist nicht falsch, sondern anders.

Eine der häufigsten Fallen, in die Verkäufer Ihrer Meinung nach tappen, ist die des ersten Eindrucks. Heißt das, dass viele Kaufverträge nicht zustande kommen, weil wir selbst den Kunden ablehnen?

Eicher: Das muss nicht unbedingt Ablehnung sein. Viel häufiger kommt es vor, dass Kunden und ihr Kaufpotenzial falsch eingeschätzt werden. Dann geht das Verkaufsgespräch in eine falsche Richtung. Viele Verkäufer orientieren sich zu sehr am äußeren Eindruck, statt den Grundsatz anzuwenden: Rede, damit ich dich sehe! Aus dem, was jemand sagt, kann ich viel mehr über den anderen ableiten als über sein Äußeres. Beispielsweise seine Einstellung, seine Interessen und seine antreibenden Motive. Darum geht es im Verkauf, nicht darum, wie jemand aussieht oder gekleidet ist.

Wie schafft man es denn als psychologischer Laie, sich selbst von diesem Vorurteil freizumachen und gleichzeitig dafür zu sorgen, dass der erste Eindruck beim Kunden aber hervorragend ist?

Eicher: Indem man den Kunden, so wie ich das vorgeschlagen habe, mit der Profiling-Methode richtig einschätzt und nicht nach dem ersten Eindruck geht - diesen einfach wegblendet, weil er einem urzeitlichen Muster folgt, das heute, ähnlich wie der Blinddarm, keine nützliche Funktion mehr erfüllt. Deshalb bezeichne ich Urteile, die sich am ersten Eindruck orientieren, als "Blinddarmurteile".

Und was den eigenen ersten Eindruck anbelangt, den man beim Kunden hinterlässt, so empfehle ich: Niemals wie ein typischer und durchschnittlicher Verkäufer agieren. Weil der Kunde dadurch automatisch innerlich auf Distanz geht und das Rollenmuster "Einkäufer/Verkäufer" aktiviert wird. Dadurch werden Verkaufsgespräche schwieriger. Vom Durchschnitt abzuweichen bedeutet als Verkäufer, die eigene Persönlichkeit zu 100 Prozent im Verkaufsgespräch einzusetzen. Das schafft Nähe und Vertrauen. Wer die eigene Persönlichkeit hingegen hinter einem Rollenklischee versteckt, darf sich nicht wundern, wenn der Kunde argwöhnt, es würde ihm was vorgespielt werden - und er daher insgeheim an der Glaubwürdigkeit des Verkäufers zweifelt.

Früher stand "teuer" für Qualität, heute steht "billig" für einen fairen Preis. Hier haben die großen Märkte mit ihren "Geiz ist geil"- und "Ich bin doch nicht blöd"-Kampagnen erfolgreich Verkaufspsychologie betrieben. Hat der Verkäufer heute überhaupt noch eine Chance, diesen Hebel wieder umzulegen?

Eicher: Diese Kampagnen sind sehr gut gemacht, ohne Zweifel. Was letztlich dahintersteht, müssen die Kunden selbst beurteilen. Aber niemand hat etwas zu verschenken. Auch daran besteht kein Zweifel. Mein Buch richtet sich vor allem an den Mittelstand. Ich empfehle darin, sich durch solche Kampagnen nicht verunsichern zu lassen, sondern sie vielmehr zum Anlass zu nehmen, sich darauf zu besinnen, worin die eigenen Stärken bestehen. Und die bestehen nicht nur im Preis, sondern beispielsweise auch in den gebotenen Serviceleistungen und der individuellen Beratung, die vielen Kunden wichtig ist.

Hier muss man natürlich besser sein als die Ketten, um bei jenen Kunden zu punkten, für die das kaufentscheidend ist. Und die Kunden, denen das wichtig ist, werden nicht weniger, sondern mehr. Das zeigen etliche Umfragen und Studien. Und die Schnäppchenjäger und Rabatt-Touristen schickt man am besten zur Konkurrenz. Dann geht die über kurz oder lang pleite, wenn dort überzogenen Kundenerwartungen entsprochen wird - und nicht man selbst.

In Ihrem Buch betonen Sie immer wieder, wie wichtig Emotionen für einen erfolgreichen Verkaufsabschluss sind. So sei es durchaus ein Problem, dass die Hersteller mit ihrer Werbung die Produkte emotional aufladen, weil die gute Kaufstimmung anschließend bei einem allzu trockenen Verkaufsgespräch wieder verloren geht. Sollte ich als Verkäufer also lieber mit dem Kunden durch die Bars ziehen, statt auf eine fehlerfreie Präsentation zu achten?

Eicher: Den Drink mit dem Kunden gibt es erst nach dem Kaufabschluss! Aber im Ernst: Kein Kunde erwartet, dass sich der Verkäufer emotional überschwänglich verhält. Das wirkt sogar aufdringlich und ist für den Verkauf nicht gut. Was ich vielmehr meine: Der Verkäufer muss sich mit seinen Produkten voll identifizieren. Auch wenn es sich dabei nicht um die Modellpalette von Porsche handelt.

Der Kunde spürt nämlich sehr deutlich, wie der Verkäufer zu seinen Produkten steht, ob er sie nur verkauft oder ob er von deren Qualität und ihrer Nützlichkeit für den Kunden überzeugt ist. Nur dann springt der Funke auf den Kunden über, und seine Kauf- und Abschlusslaune steigt. Die nüchtern trockene Aufzählung, beispielsweise von technischen Features eines Produktes, trübt hingegen die Kaufstimmung beim Kunden. Er überlegt sich das Ganze lieber noch mal - und kauft dann dort, wo man sich psychologisch besser auf ihn einstellt.

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