Wolfgang Clement: "Die Informationswirtschaft ist auf einem guten Weg"

24.04.2003
Wolfgang Clement, seit Oktober 2002 Deutschlands "Superminister" für Wirtschaft und Arbeit, gilt nicht nur als "Macher" und "knallharter Realo", sondern auch als leidenschaftlicher Fan neuer Technologien. Deren Förderung gehört zu den aktuellen Aufgaben des SPD-Politikers. Im ComputerPartner-Interview stellt sich Clement den Fragen zum ITK-Standort Deutschland.

Im Koalitionsvertrag heißt es, die Bundesregierung werde die Förderung von Schlüsseltechnologien, darunter Informations- und Kommunikationstechnologie, weiter vorantreiben. Irgendwas scheint schief gegangen zu sein: Die UMTS-Thematik kommt nicht aus den Kinderschuhen, statt Fachkräftemangel fürchten die Unternehmen Massenentlassungen, der ITK-Beitrag zum Wirtschaftswachstum liegt in Deutschland mit 0,4 Punkten auf einem Niveau, das in den USA bereits Anfang der 80er-Jahre erreicht worden war. Ist aus der Zukunftsbranche etwa ein Sorgenkind geworden?

Clement: Nein. Die Informations- und Kommunikationstechnologie ist aus einer modernen, wissensbasierenden Wirtschaft nicht mehr wegzudenken. Allerdings hat uns die Dotcom-Krise mit der Nase darauf gestoßen, dass auch in der Informationswirtschaft die Gesetze der Marktwirtschaft gelten. Die Lehre, die wir daraus ziehen, ist aber nicht Resignation, sondern ein realistischer Optimismus. Die Fakten zeigen doch, dass die Informationswirtschaft auf einem guten Weg ist:

- Jeder zweite Deutsche über 14 Jahren nutzt heute das Internet, ob beruflich oder privat.

- Deutschland ist der größte E-Commerce-Markt in Europa.

- Wir haben mit knapp 60 Millionen Nutzern heute bereits mehr Mobilfunk- als Festnetzanschlüsse.

- Und schließlich: Die deutsche ITK-Branche ist mit einem Jahresumsatz von rund 140 Milliarden Euro und etwa 800.000 Beschäftigten eine der tragenden Säulen unserer Volkswirtschaft.

Ich will gar nicht übersehen, dass uns vor allem die angelsächsischen und skandinavischen Länder auf bestimmten Feldern der Informationswirtschaft noch voraus sind. Dies aufzuholen muss unser Ziel sein. Nur ein Beispiel: Wir wollen erreichen, dass bis 2005 Breitband zur dominierenden Internet-Zugangstechnologie wird.

Viele Unternehmer bemängeln, dass die ITK-Branche zwar gerne als Wirtschaftsmotor bezeichnet wird, ihre Bedeutung für die Schaffung und Sicherung von Arbeitsplätzen aber in der politischen Praxis bislang nicht ausreichend gewürdigt wurde. Herr Minister, Sie gelten seit Jahren als Freund und Förderer des technischen Fortschritts. Darf die Branche nach Ihrem Amtsantritt neuerdings auf ein offeneres Ohr im Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit hoffen?

Clement: Das Ministerium, das ich zurzeit verantworte, setzt sich wahrlich nicht erst seit meiner Amtszeit aktiv und beharrlich für den technischen Fortschritt, für die Hoch- und Spitzentechnologien ein. Das setzen wir mit allem Nachdruck fort. Wir wollen und wir müssen im Interesse der Zukunftsfähigkeit unserer Volkswirtschaft auf den damit angesprochenen Feldern Spitzenplätze im Weltmaßstab halten oder erreichen. Das ist bei Licht betrachtet unsere wichtigste Reformaufgabe. Entsprechend brauchen wir wesentlich höhere öffentliche und private Investitionen als heute in Forschung und Entwicklung.

1999 wurde von der Bundesregierung das Aktionsprogramm "Innovation und Arbeitsplätze in der Informationsgesellschaft des 21. Jahrhunderts" verabschiedet, erste Erfolge wurden Anfang 2002 vorgestellt. Zu einer Spitzenposition im Ländervergleich reicht es aber trotzdem noch nicht: Derzeit müssen sich durchschnittlich 14 Schüler einen PC und 25 einen Internetanschluss teilen, nur sechs Prozent der Mediziner nutzen den PC für den Austausch von Patientendaten. Von einer intensiveren Modernisierung würde auch die ITK-Wirtschaft profitieren. Was muss Ihrer Ansicht nach getan werden, um der Entwicklung zur digitalen Gesellschaft mehr Tempo zu verleihen?

Clement: Politik und Wirtschaft können gemeinsam Impulse setzen, um die Wachstumspotenziale der Informations- und Kommunikationstechnologien zu mobilisieren. Ein besonders wichtiges Schwungrad sehe ich in der Initiative D21. Deren Erfolgsmodelle - wie das Projekt "Schulen ans Netz" - bestätigen, dass der eingeschlagene Weg über eine enge Zusammenarbeit von Wirtschaft und Politik der richtige ist. Der Bundeskanzler hat durch die erneute Übernahme des Beiratsvorsitzes unterstrichen, welchen Stellenwert wir der Förderung der Informationswirtschaft beimessen. Von besonderer Bedeutung sind dabei Fragen der IT-Sicherheit, etwa die elektronische Signatur. Wir hoffen, dass das von uns angestoßene Signaturbündnis die Unsicherheit der Verbraucher und auch des Mittelstandes beim elektronischen Handel überwinden hilft.

Welche konkreten Schritte sind als Nächstes geplant?

Clement: Derzeit bereiten wir das Programm "Informationsgesellschaft Deutschland 2006" vor. Mit diesem Programm werden wir unsere IT-Ziele für diese Legislaturperiode bündeln. Einer der Schwerpunkte wird dabei das von Ihnen angesprochene Thema Gesundheit sein. Da sehe ich in der Tat Nachholbedarf. Das betrifft viele Aspekte des Gesundheitswesens wie die elektronische Gesundheitskarte, die meine Kollegin Schmidt alsbald schrittweise für alle Versicherten der gesetzlichen Krankenversicherung einführen will. Diese elektronische Gesundheitskarte erweitert die bisherige Krankenversichertenkarte von einer einfachen Speicherkarte hin zu einer echten Prozesskarte mit vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten. Darauf sollen - unter Wahrung des Datenschutzes - der europäische Notfalldatensatz des Patienten, die persönliche Identifikation sowie elektronische Verweise auf Gesundheitsdaten des Patienten integriert werden.

Von weltweit 23 Millionen Kabelmodems sind lediglich 0,4 Prozent in Deutschland installiert. Das liegt vor allem an der fehlenden Leistungsfähigkeit der Netze. Wenn die Bundesregierung Deutschland einen Spitzenplatz im digitalen Zeitalter sichern will, ist es da nicht höchste Zeit, auch den Ausbau dieser Infrastrukturen voranzutreiben?

Clement: Keine Frage, schnellen und leistungsfähigen Kommunikationsnetzen gehört die Zukunft; wir könnten da heute schon weiter sein. Man muss die Entwicklung aber im Zusammenhang mit den unterschiedlichen, im Wettbewerb stehenden Zugangstechnologien sehen. Da sind wir gar nicht schlecht positioniert. Momentan gibt es rund 3,5 Millionen DSL-Anschlüsse, mit steigendem Anteil der Wettbewerber der Telekom. Voraussichtlich vier der ursprünglich sechs UMTS-Netzbetreiber werden im Verlauf dieses Jahres - vor allem in den Ballungsräumen - an den Start gehen.

Eine gute Ergänzung dazu sind die WLAN-Netze, von denen bereits mehr als 800 in Deutschland in Betrieb sind. Nicht zu vergessen die im Aufbau begriffene Satelliten-DSL-Technologie, die gerade im ländlichen Raum eine Alternative zu kabelgebundenen Diensten darstellen kann und sich mittelfristig durch Satelliten-Rückkanäle bei konsumentenfreundlichen Preisen am Markt etablieren wird.

Was die Nutzung des Kabels betrifft, so hätten derzeit mindes-tens 1,5 Millionen Haushalte die Möglichkeit, einen schnellen Internetzugang per Kabelmodem zu nutzen. Dass es nur knapp 100.000 sind, liegt auch an den günstigen Konditionen der Alternativen. Ich werde bei den Netzinhabern aber weiter für eine Modernisierung der Netze werben.

Mit Skepsis beobachtet die Branche die Debatte über eine mögliche Ausdehnung der Rundfunkgebührenpflicht und über urheberrechtliche Abgaben auf neue multimediale Endgeräte. Welchen Standpunkt vertreten Sie bei diesen Fragen?

Clement: Die Rundfunkgebührenordnung ist Ländersache, die derzeit gültige Gebührenordnung läuft noch bis 2005. Grundsätzlich haben sich die Ministerpräsidenten darauf verständigt, dass sich die Gebühr nicht mehr an der Zahl der Geräte orientiert, sondern für einen Standort (Haushalt beziehungsweise Betriebsstätte oder auch Betriebsstandort) gelten soll. Momentan wird der Staatsvertrag "Reform der Medienordnung" vorbereitet, der voraussichtlich auch die Neuordnung der Rundfunkgebühren behandeln wird. ARD und ZDF haben vorgeschlagen, den Gerätebegriff auf Internet-PCs und Handys auszudehnen. Dieser Vorschlag verliert an Brisanz, wenn die Gebühr nicht mehr pro Gerät, sondern pro Standort, unabhängig von Art und Anzahl der Geräte, erhoben wird.

Noch ein Wort zum digitalen Rechtemanagement (DRM). Im Zusammenhang mit der Novellierung des Urheberrechts kommt es darauf an, dass einsatzfähige Sys-teme zur sicheren individuellen Abrechnung vorangebracht werden. Der Gesetzentwurf zur Umsetzung der Richtlinie fördert die Schaffung solcher Systeme, indem er sie rechtlich schützt. Darüber hinaus ist vorgesehen, dass die DRM-Systeme bei der Bemessung der Geräteabgaben berücksichtigt werden. Wir werden prüfen, welche weiteren Anreize für die individuelle Lizenzierung geschaffen werden können. Damit können letztlich pauschale Vergütungssysteme abgelöst oder zumindest zurückgedrängt werden.

Die Förderung des elektronischen Geschäftsverkehrs ist ein wesentlicher Handlungsschwerpunkt des Bundesministeriums für Wirtschaft und Arbeit. Tatsächlich scheint sich E-Business in Deutschland derzeit nur für große Konzerne zu lohnen. Der Mittelstand steht der kostenintensiven Thematik eher skeptisch gegenüber, funktionierende B2B-Marktplätze sind eine Seltenheit. Sind sich die Mittelständler der - von allen Marktforschern durchaus prognostizierten - Potenziale nicht bewusst, oder mangelt es ihnen einfach an Innovationsbereitschaft?

Clement: Es ist wahr, es sind noch viele Mittelständler, die sich abwartend verhalten. Wir sind deshalb auch dabei, noch bestehende Hindernisse für das E-Business zu beseitigen, etwa mit dem Signaturbündnis. Wir unterstützen den Mittelstand aber auch durch gezielte Beratungsangebote und Anreize: Unser Ministerium fördert schon seit 1998 insgesamt 24 regionale Kompetenzzentren, die dem Mittelstand und dem Handwerk Beratung, Schulung und konkrete sachkundige Einstiegshilfen anbieten. Dieses Netzwerk werden wir ausbauen und qualitativ noch verbessern. Ergänzend bringen wir das E-Business durch innovative Wettbewerbe wie "Start up Media" voran und mobilisieren dadurch das vorhandene Potenzial an kreativen Ideen.

Als Dauerbaustelle gilt auch das Thema E-Government. Es fehlt ein gemeinsamer Ansatz, bemängeln die Kommunen, und der Bitkom-Vorsitzende Bernhard Rohleder bezeichnet die zahlreichen Einzelinitiativen gar als "Flickenteppich". Ist seitens der Behörden in naher Zukunft ein Masterplan zur Umsetzung des virtuellen Rathauses in Sicht?

Clement: Die Bundesregierung ist mit "BundOnline" bereits einen großen Schritt gegangen. Aber damit ist es, wie wir wissen, im föderalen Staat nicht getan. Nun gilt es, das Angebot gerade auf kommunaler Ebene - ungeachtet vieler Fortschritte in Städten und Gemeinden - zu erweitern und vor allem übersichtlicher zu gestalten. Einen gemeinsamen Mas-terplan über alle föderalen Ebenen braucht es dazu nicht unbedingt; die bestehenden Möglichkeiten der Kooperation mit Ländern und Gemeinden können ebenso ans Ziel führen. Die Ergebnisse von "MEDIA@Komm", "E-Vergabe" und "BundOnline 2005" werden bereits wirkungsvoll verbreitet.

Unser Ministerium hat auf der Basis der "MEDIA@Komm"-Erfahrungen einen Ergebnistransfer eingeleitet, den wir gemeinsam mit den Ländern und Kommunen noch verstärken werden. Dasverhindert Doppelentwicklungen und vereinheitlicht Geschäftsprozesse. Die Etablierung des OSCI-Standards (OSCI = Online Services Computer Interface) mit Einrichtung einer länderübergreifenden Leitstelle ist hierfür ein gutes Beispiel.

ITK-Verbände kritisieren, dass die Bundesregierung lediglich Unternehmensgründungen aus Hochschulen und Forschungseinrichtungen die Hand durch Förderungsmaßnahmen reichen will. Es wurden aber sicherlich mehr New-Economy-Firmen in einer Garage als in einem Labor gegründet. Sollten nicht auch für Start-ups, die aus der Wirtschaft kommen, bessere Rahmenbedingungen geschaffen werden?

Clement: Die Förderung techno-logieorientierter Unternehmensgründungen ist eines unserer wichtigsten Anliegen; denken Sie beispielsweise an das Programm "Beteiligungskapital für kleine Technologieunternehmen (BTU)". Insbesondere für den Multimedia-Bereich hat unser Ministerium mit dem Gründerwettbewerb Multimedia bereits eine breit angelegte Offensive für Firmengründungen praktiziert. Mit einem Anteil von 45 Prozent stellen Unternehmen den wichtigsten Herkunftsbereich dar, gefolgt von Gründungen aus Hochschulen, die etwa bei einem Drittel liegen. Gründungen, die auf Forschungseinrichtungen zurückgehen, lagen bei diesem Wettbewerb im Schnitt bei fünf Prozent.

Hervorgegangen sind aus diesem Wettbewerb mehr als 1.000 im Markt aktive Unternehmen mit rund 10.000 neuen Arbeitsplätzen. Das jährliche Umsatzvolumen dieser Unternehmen wird auf mehrere hundert Millionen Euro geschätzt. Das Potenzial des Multimedia-Bereichs ist weiterhin groß; vor allem der Markt für mobile Anwendungen auf der Basis neuer Breitbandtechnologien entwickelt sich. Zur verstärkten Ausschöpfung dieses Potenzials sollen auch künftig Erfolg versprechende Gründungsideen eine Chance erhalten. Wir verfolgen dieses Ziel, wie schon gesagt, etwa mit dem Wettbewerb "Start up Media".

Walter Deuss, ehemaliger Karstadt-Chef und heute Präsident der Bundesarbeitsgemeinschaft der Mittel- und Großbetriebe des Einzelhandels, rechnet damit, dass 2003 nochmals rund 10.000 Ladenbesitzer zahlungsunfähig werden. Vor allem kleine und familiengeführte Betriebe seien betroffen, sie könnten im Wettlauf um den günstigsten Preis nicht bestehen. Klaus Brinkmann, Vorsitzender des Verbandes der Herrenbekleidungsindustrie, spricht in diesem Zusammenhang sogar von "regelrechten Erpressungsversuchen", wenn er sagt: "Der preisaggressive Handel fordert von seinen Lieferanten Abgabepreise, die jenseits aller betriebswirtschaftlich möglichen Kalkulation liegen". Sieht die Bundesregierung hier Handlungsbedarf, um die kleinen Läden zu schützen, oder überlässt sie dies dem freien Spiel der Marktkräfte?

Clement: Ich setze auf die Marktkräfte. Dem Ruf nach dem Staat sollte ein Blick auf die ökonomische Wirklichkeit vorangehen. Im deutschen Einzelhandel - wie übrigens in anderen Branchen auch - herrscht intensivster Wettbewerb, der ganz entscheidend vom Einkaufsverhalten des hierzulande äußerst preisbewussten Verbrauchers geprägt ist. Wir haben darauf zu achten, dass dieser Wettbewerb funktioniert und die Marktteilnehmer sich an bestimmte Grundregeln halten. Dass dem so ist, bestätigen uns das Bundeskartellamt und die Monopolkommission.

Das deutsche Wettbewerbsrecht hat sich bewährt. Es stellt die Instrumente zur Verfügung, um gegen Missbrauch von Marktmacht vorgehen zu können. Darüber hinaus hat die Bundesregierung im Jahr 2000 mit der beteiligten Wirtschaft eine Initiative für eine gute Praxis im Leistungswettbewerb vereinbart.

Die durch das Bundeskartellamt veröffentlichten Auslegungsgrundsätze zum entsprechenden Paragrafen des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen haben dazu beigetragen, die Entscheidungspraxis zum Verbot unter Einstandspreis transparenter zu gestalten und unfaire Praktiken zu vermeiden. (mf)

www.bmwi.de

www.bundesregierung09.de

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