Zeiterfassung: Mainframe auf dem PC

18.03.2004
Viele Applikationen werkeln derzeit immer noch auf Großrechnern - und das zur vollen Zufriedenheit der Kunden. Dennoch setzen viele von ihnen mittelfristig auf die PC-Plattform. Hier warten also noch viele Migrationsprojekte auf ihre Vollendung. Von ComputerPartner-Redakteur Dr. Ronald Wiltscheck

Bis 1997 setzte die EADS-Tochter Eurocopter ausschließlich Großrechnersoftware ein, um die internen Prozesse zu steuern. Bereits zwei Jahre zuvor lagerte das Unternehmen das eigene Rechenzentrum komplett aus. Dadurch erhielt der Hubschrauberhersteller jeden Monat eine detaillierte Rechnung über die in Anspruch genommenen Leistungen, also über Softwarenutzung, CPU-Last, Speicherplatz, Menge der Ausdrucke und Ähnliches.

Doch im Jahr 1997 änderte sich die IT-Landschaft bei Eurocopter von Grund auf. Für die zwei bestehenden Niederlassungen sollte von da an nur noch eine einzige EDV-Abteilung zuständig sein. Während in Ottobrunn bereits SAP R/2 im Einsatz war, werkelte in Donauwörth nach wie vor das Mainframe-basierte ERP-System. Der kleinste gemeinsame Nenner bei der Zusammenführung der IT- Infrastrukturen beider Standorte hieß nun SAP R/3.

Für diesen Systemwechsel zu einer Standardsoftware gab es mehrere Gründe: Zum einen erfüllten die bestehenden Anwendungen nicht mehr die Anforderungen der Benutzer, zum anderen wollte man die alten Applikationen nicht mehr manuell auf das Jahr 2000 umstellen. So begann Eurocopter noch im gleichen Jahr die Migration der eigenen ERP-Software auf R/3. Seit 2000 sind alle SAP-Module mit Ausnahme von Human Resources flächendeckend im Einsatz.

Auslagerung der IT wird rückgängig gemacht

Gleichzeitig entschied sich aber der Anwender, seine IT wieder ins Haus zu holen. Zum einen erschienen ihm die Betriebskosten des ausgelagerten Rechenzentrums als zu hoch, zum anderen wollte er das SAP-Know-how in eigenen Händen halten. Derzeit sind lediglich untergeordnete DV-Tätigkeiten einem externen Dienstleister überlassen: Benutzerservice, User-Helpdesk und PC-Installation.

Ende 2001 schließlich hatte Eurocopter die meisten Mainframe-Routinen auf eine Client/Server- basierte Plattform migriert. Lediglich eine Applikation sperrte sich gegen eine allzu leichte Migration - die Zeitwirtschaftsanwendung "Zina" von Unilog. Nicht, dass dies technisch nicht möglich gewesen wäre, aber Zina war doch recht speziell auf die Bedürfnisse von Eurocopter zugeschnitten: Für die etwa 4.500 Angestellten gab es zum damaligen Zeitpunkt 39 unterschiedliche Arbeitszeitmodelle. Diese musste das System berücksichtigen, wenn es die "Kommt"- und "Geht"-Zeitpunkte der Mitarbeiter erfasste. Für die unterschiedlichen Arbeitsbereiche bei Eurocopter (Fertigung, Verwaltung,

Entwicklung) sind nämlich unterschiedliche Betriebsvereinbarungen getroffen worden, was Überstundenzuschläge Schichtabrechnungen, Pausen- und Urlaubszeiten betrifft. Dies alles in das HR-Modul (Human Resources) von R/3 abzubilden hätte ungefähr ein Jahr gedauert.

Das führte zu einer für Eurocopter unhaltbaren Situation. Nach dem Abschalten fast aller Mainframe-Applikationen musste einzig und allein für die Zeiterfassungs-lösung ein Großrechner im ausgelagerten Rechenzentrum weiterbetrieben werden. Die Kosten für die Miete der Rechenleistung, aber auch für die Softwarelizenzen (ERP-System Cics und Mainframe-Datenbanken) sowie für die Arbeitszeit und den Service des Rechenzentrumsbetreiber waren exorbitant hoch.

Emulation der Cobol-Anwendung als Königsweg

Als günstigste Alternative zur manuellen Einpflege der Arbeitszeitmodelle in das SAP-System blieb nur die Option, die Mainframe-Anwendung so zu belassen, wie sie war, und sie lediglich eins zu eins auf eine PC-Plattform zu übertragen und dort zu emulieren. Software, die so etwas leisten konnte, bot schon damals Micro Focus. Deren Cobol-Entwicklungsumgebung für Windows war ursprünglich nur dafür konzipiert, für Großrechner vorgesehene Anwendungen auf einem herkömmlichen PC zu entwickeln und zu testen. Nachdem diese Cobol-Anwendungen auf einem Windows-Client zum Laufen gebracht wurden, konnten der Quellcode zum Mainframe geschickt und dort nochmals kompiliert werden. Mit der stark gestiegenen Leistungsfähigkeit der PC-Hardware wurde dieses Konzept jedoch auch für den produktiven Betrieb interessant. Als schließlich immer mehr Anwender ih- re Cobol-Entwicklungsumgebung ausschließlich unter Windows nutzen wollten, erweiterte Micro Focus seine Werkzeuge, sodass heute die Abbildung von Mainframe-Prozessen auf der PC-Plattform möglich ist.

Nachdem Micro Focus als Anbieter derartiger Systeme sowohl Eurocopter als auch Unilog bekannt war, fiel die Entscheidung für den "Mainframe Express" relativ rasch. Der erste Test der Portierung einer Cobol-Anwendung auf den PC fiel bei Eurocopter erfolgreich aus: Innerhalb eines Nachmittags wurde eine Host-Applikation auf einem Notebook zum Laufen gebracht. Es schlossen sich noch detaillierte Verhandlungen bezüglich des Projektumfangs an, doch zwei Monate später, im Mai 2002, begann Unilog mit der Installation eines zusätzlichen NT-Servers bei Eurocopter.

Quellcode unter Windows rekompiliert

Technisch war danach die Portierung der Zeitwirtschaftslösung nicht weiter schwierig, der Quellcode musste lediglich noch einmal unter Windows rekompiliert werden. Für die Implementierung des Windows-Servers, der Cobol-Entwicklungsumgebung von Micro Focus und der Zina-Anwendung selbst benötigten die Unilog-Spezialisten lediglich anderthalb Tage.

Kleinere Probleme tauchten dennoch während des Kompiliervorgangs auf: Da stellte sich nämlich heraus, dass der Kunde selbst zwei marginale Änderungen am Quellcode von Zina vorgenommen, aber nicht dokumentiert hatte. "Diese Ungereimtheiten konnten wir aber mit Eurocopter relativ rasch klären", erinnert sich Rainer Becker, einer der am Projekt beteiligten Mitarbeiter von Unilog.

Unerwartete Schwierigkeiten gab es aber bei der Abbildung der kundenindividuellen JCL-Prozeduren. JCL steht hier für "Job Control Language", damit lassen sich einzelne Routinen ("Jobs") in IMBs Großrechnerwelt zusammenstellen, starten und überwachen. Denn nachdem nun mal das Windows-Betriebssystem beim Kompilieren von Cobol-Code zum Teil anders reagiert als ein Host-Rechner, mussten die Unilog-Experten einige weitere Modifikationen an dem Quellcode von Zina vornehmen. Ansonsten waren aber keinerlei Anpassungen nötig; Micro Focus Mainframe Express konvertiert IBMs EBCDIC-Zeichensatz (Extended Binary-Coded Decimal Interchange Code) automatisch in das auf der PC-Plattform geläufige ASCII-Format.

Die Batch-Jobs zur Berechnung der Arbeitszeiten samt zugehöriger Vergütung laufen dafür auf dem Windows-Server um den Faktor vier schneller als auf dem in die Jahre gekommenen Host-Rechner. Allerdings steht für diese Arbeit ein dezidierter PC-Server bereit, was auf dem Host natürlich nicht der Fall war. Dies wirkt sich auch in der Stabilität von Zina aus. Kam es laut Unilog früher bis zu vier Störungen im Monat, so sind es derzeit nur drei bis vier Unterbrechungen pro Jahr - für einen Windows-NT-Server durchaus ein Wert im Rahmen der Möglichkeiten.

Investition hat sich nach sechs Monaten ausgezahlt

Insgesamt nahm das Zina-Projekt bei Eurocopter etwa ein halbes Jahr in Anspruch, wobei die meiste Zeit davon für die Vorbereitungen und die kundenindividuelle Anpassungen verwendet wurden. Für das Einrichten des eigentlichen Sys-tems berechnete Unilog dem Kunden lediglich 40 Arbeitsstunden. So ging schließlich das Windows-basierte Zeiterfassungssystem am 13. September 2002 live. In den folgenden drei Monaten optimierte Unilog noch sporadisch die Job-Verarbeitung und die Ausgabe der Reports am Drucker.

Das gesamte Projekt kostete Eurocopter nicht ganz 50.000 Euro. Ein Fünftel davon nahm Unilog ein - für die Servicearbeiten Planung, Implementierung und Anpassungen. Der Rest entfiel auf die Anschaffung des PC-Servers (Compaq Proliant ML370 mit zwei Prozessoren, 512 MB RAM und einer 30-GB-Festplatte) sowie auf die Softwarelizenzen (Microsoft Windows NT und Micro Focus Mainframe Express).

Eurocopters Wartungsverträge mit Unilog bestehen weiterhin fort, denn an der Software selbst hat sich ja kaum etwas verändert. So musste auch der Kunde nicht neu geschult werden; die etwa 120 Angestellten, die die Arbeitszeiten der 4.500 erfassten Personen bearbeiten, sehen ja nach wie vor ihre alte Arbeitsoberfläche - nur eben auf einem gewöhnlichen Windows-PC.

Gleichzeitig entfallen nun die Kosten für das nicht mehr benötigte Mainframe, der Betrieb von Zina hat sich unter Windows sogar vereinfacht. Hinzu kommen die Performance-Gewinne: Sechs Arbeitstage lassen sich auf dem PC in 35 Minuten abrechnen, der Host hat dafür früher bis zu zwei Stunden benötigt.

Auch für Unilog hat sich die Migration von Zina auf Windows gelohnt: Es war zum einen ein erstes Projekt mit Einschluss der Micro-Focus-Technologie, zum anderen erhöhte der Dienstleister damit die Bindung an seinen Kunden.

Meinung des Redakteurs

Großrechner waren einmal die Arbeitstiere der unternehmensinternen DV. Mittlerweile erreichen aber auch PC-Server ein vergleichbares Maß an Performance und Stabilität. Da mit den heutigen Technologien Migrationen mit fünfstelligen Budgets zu realisieren sind, ist ein ROI (Return on Investment) von einem halben Jahr, wie im vorliegenden Fall, gar nicht mal so selten.

Solution Snapshot

Kunde Eurocopter Deutschland GmbH, www.eurocopter.com

Problemstellung Der Betrieb des Mainframe-basierenden Zeitwirtschaftssytems Zina im ausgelagerten Rechenzentrum war sehr teuer und sollte auf einer PC-Plattform in eigener Regie betrieben werden.

Lösung Hardware: PC mit 1,4-GHz-Prozessor, 512 MB RAM, 30-GB-Festplatte Betriebssystem: Windows NT Software: Micro Focus Mainframe Express für den Betrieb von Cobol/Cics Anwendungen auf dem PC

Dienstleister Unilog Systems Integration GmbH, Niederlassung Essen, www.unilog.de

Technologielieferant Micro Focus GmbH, www.microfocus.com

Kontaktaufnahme bestehendes Kundenverhältnis

Verhandlungsdauer zwei Monate

größte Herausforderung Abbildung der Stapeljobs auf PC-Basis

unerwartete Schwierigkeiten Berücksichtigung der vom Kunden vorgenommenen Änderungen am Quellcode

Implementierungsdauer 1,5 Tage

Arbeitsaufwand des Planung, Realisierung, Implementierung: 40 Stunden Dienstleisters

Kostenumfang des Projekts 50.000 Euro

Projektaufteilung Hardware: 10 Prozent; Software-Lizenzen: 70 Prozent; Dienstleistung: 20 Prozent

Service- und Wartungsverträge unverändert; schlagen mit 9.000 Euro pro Jahr zu Buche

Schulung nicht erforderlich, da die Anwendung aus Sicht der Fachabteilung unverändert blieb

Benefit für Kunden Kostenreduktion, leichtere Bedienbarkeit, höhere Performance

Benefit für den Dienstleister erster Referenzkunde für Migrationsprojekte im Umfeld von Micro Focus; Kundenbindung erhöht

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