Zertifizierungs-Programme: Viel Aufwand für große Namen

07.11.1997
MÜNCHEN: "CLP," "CNE" oder "MCP" - hinter den Abkürzungen stehen wohllautende Zertifizierungstitel, die Marktvorteile verschaffen sollen: Hersteller sehen ihr Produkt am Markt von Spezialisten betreut, während sich Händler mit den Titeln schmücken, um sich vom Mitbewerb abzusetzen und die Kunden über die Qualifikation zu locken.Adel verpflichtet: Das war in blaublütigen Kreisen nicht irgendein Spruch. Es ging um Ehre und um den guten Ruf. Nun bilden Software-Unternehmen zwar keinen neuen Stand, doch sie heben besondere Leistungen hervor und zeichnen aus - wenn es um die Kompetenz eines mit ihnen verbundenen Händlers geht. Ein vom Hersteller gewährtes Zertifikat adelt nicht nur den Handelspartner, sondern bedeutet dem Kunden: Hier stehen Fachleute bereit, die mit geballtem Know-how helfen, oft komplexe Anwendungen für die eigenen Zwecke nutzbar zu machen.

MÜNCHEN: "CLP," "CNE" oder "MCP" - hinter den Abkürzungen stehen wohllautende Zertifizierungstitel, die Marktvorteile verschaffen sollen: Hersteller sehen ihr Produkt am Markt von Spezialisten betreut, während sich Händler mit den Titeln schmücken, um sich vom Mitbewerb abzusetzen und die Kunden über die Qualifikation zu locken.Adel verpflichtet: Das war in blaublütigen Kreisen nicht irgendein Spruch. Es ging um Ehre und um den guten Ruf. Nun bilden Software-Unternehmen zwar keinen neuen Stand, doch sie heben besondere Leistungen hervor und zeichnen aus - wenn es um die Kompetenz eines mit ihnen verbundenen Händlers geht. Ein vom Hersteller gewährtes Zertifikat adelt nicht nur den Handelspartner, sondern bedeutet dem Kunden: Hier stehen Fachleute bereit, die mit geballtem Know-how helfen, oft komplexe Anwendungen für die eigenen Zwecke nutzbar zu machen.

Zertifizierungen kommen jedoch nicht nur Händlern zugute: Ohne eine enge Partnerschaft zu den regionalen und lokalen Spezialisten könnten Produzenten ihre anspruchsvolle Software nur schwer absetzen. Vor allem Anwendungen der Bereiche Groupware/Intranet, Netzwerk und Datenbank sind aufgrund ihrer Struktur oft erklärungsbedürftig. Wo der handbuchlesende Laie vor unüberwindbaren Schwierigkeiten steht, muß der Experte her. Den finden ratsuchende Firmen in Fachzeitschriften, auf Messen, in Branchenbüchern oder indirekt per Anfrage beim Hersteller des Programms. Wichtige Orientierungshilfe: Zertifikate, mit denen Software-Händler vor Ort werben. "Das gibt den Kunden die Gewißheit, ein Gegenüber zu haben, das sich mit den Produkten auskennt", benennt George Alexander den zentralen Vorteil der Zertifizierung.

Der Marketing-Mann der Firma "Netconsult EDV Marketing GmbH" in Frankfurt am Main spricht als Vertreter eines "Premium Business Partners" des Software-Hauses Lotus Development, München. Diese höchste Stufe der Zertifizierung durch Lotus hebt Netconsult in den Adelsstand der Händler. "Für Lotus sind wir ein Aushängeschild", berichtet Alexander.

Intensive Schulung bei Lotus

Der Weg hin zum "Premium Business Partner" führt über zahlreiche Hürden, die nur mit gut geschulten Mitarbeitern und durch den Nachweis erfolgreich bewältigter Projekte überwunden werden können. Große Software-Häuser haben ein komplexes System entwickelt; je nach Leistungsfähigkeit gehören die Händler verschiedenen Kategorien an, gelten beispielsweise als einfache Wiederverkäufer von Produkten oder als hochqualifizierte technische Partner der Kunden. Der ausschließlich auf "Reselling" bedachte Händler wird bei Lotus allerdings mehr und mehr zur Rarität: "Die meisten kommen und möchten Business Partner werden", weiß Sabine Einwanger, Leiterin des Lotus Information Service. Das Lotus Business Partner Programm bietet drei Stufen der Anbindung an: "Member", "Qualified Partner" und "Premium Partner". Wer daran teilnimmt, erhält von Lotus ein von Stufe zu Stufe umfangreicheres Paket zur Vertiefung des Wissens sowie Informations-Tools. Das kostet den Händler im ersten Jahr 1.750 Mark, in den weiteren Jahren jeweils 1.345 Mark. Je enger die Bindung an Lotus, desto umfangreicher die Gegenleistung - mit Online-Vernetzung und Zugang zu diversen Datenbanken. Höchste Weihen können nur Firmen erlangen, die einen besonders geschulten Mitarbeiter in ihren Reihen haben, den ,,Certified Lotus Professional" (CLP).

Strenge Kriterien bei Novell

Auch der Düsseldorfer Netzwerk-Spezialist Novell zertifiziert seine Vertriebspartner nach strengen Kriterien. Den Titel "Novell Autorisierter Fachhänd1er" erhalten nur solche Firmen, die einen "Certified Novell Engineer" (CNE) an Bord haben - einen Fachmann oder eine Fachfrau ähnlich dem CLP, der oder die spezielles Wissen zu Novell-Produkten nachweisen und eine Prüfung ablegen muß. Einmal im Jahr setzt Novell seine "Roadshow" in Bewegung: Die Händler werden durch Referenten und Präsentationen vor Ort "re-autorisiert".

"Wir sind daran interessiert, möglichst viele qualifizierte Fachleute auf dem Markt zu etablieren, die zudem Novell als Multiplikatoren unterstützen können", erklärt das Düsseldorfer Unternehmen. Zertifizierung bedeute einen Maßstab für die Kunden, an dem die Kompetenz des Händlers ablesbar ist. Informationen aus erster Hand, laufende Schulung an den neuesten Produkten sowie volle Unterstützung durch den Hersteller lauten die großen Pluspunkte für autorisierte Novell-Händler.

Microsoft gibt sich großzügig

Eine großzügigere Zertifizierung wird dem Branchenriesen Microsoft zugeschrieben. Was den einen ihr CNE oder CLP ist, ist dem Anbieter von Windows NT der MCP, der "Microsoft Certified Professional". Mindestens zwei MCPs muß ein autorisierter Händler in seinen Reihen haben, um am "Solution Provider Program" teilnehmen zu können. "Die Anforderungen an die Mitarbeiter sind denen von Novell ähnlich, aber längst nicht so streng", beurteilt Jens Rodewyk das Verfahren bei Microsoft. Das Systemhaus Anders & Rodewyk GmbH in Hannover verfügt über Zertifikate beider Unternehmen. Rodewyk kennt die Unterschiede. Microsoft verlangt seiner Auskunft nach für den MCP-Titel lediglich zwei Lehrgänge von jeweils zwei Wochen Dauer.

Doch wie das Verfahren zur Zertifizierung auch aussieht: Die Software-Hersteller wissen ihre Produkte gut am Markt betreut. Sowohl Novell als auch Lotus sprechen davon, daß sie auf die vielen Spezialisten bei den Händlern angewiesen sind. Endanwender müssen geschult, Unternehmen im Sinne der Produzenten beraten werden, und schneller Support gehört sowieso dazu. Lotus weist zusätzlich auf die stärkste Produkteinführungs-Phase seiner Geschichte hin, um weitere Business Partner zu gewinnen. Seine "Qualified Partner" unterstützt das Unternehmen zudem mit Marketing-Programmen.

Allein bleiben die Fachhändler also nicht. Im Gegenteil: Sie erfahren enge Bindung an die Software-Riesen. Mancher allerdings sieht in zu großer Nähe auch Gefahren: Das eigene Geschäft könnte sein eigenständiges Profil verlieren, es wird gesichtslos und zu einem beliebigen Anhängsel der großen Industrie. Einige Händler steuern im Rahmen der Möglichkeiten dagegen, präsentieren sich beispielsweise auf Messen mit eigenen Ständen, statt sich unters Dach eines mächtigen Partners zu begeben. Schließlich leisten sie zum Teil eigenständige Arbeit, entwickeln auf der Basis fertiger Groupware spezielle Anwendungen, zugeschnitten auf die Bedürfnisse der Kunden.

Solche Aufträge spielen eine große Rolle, um begehrte Zertifizierungen zu erhalten. Die Dortmunder EDM Software AG arbeitet beispielsweise zur Zeit daran, von Lotus den Status "Premium Partner" verliehen zu bekommen. Neben ausgebildeten Mitarbeitern müssen Referenzkunden und erfolgreiche Entwicklungsprojekte nachgewiesen werden. Selbst wenn das Zertifikat erteilt wurde, muß die Firma weiterhin monatliche Berichte abliefern, um den Status zu wahren.

Der Aufwand jedoch lohnt sich, berichtet Kathrin Heider von EDM, die mit dem Projekt beauftragt ist. Dabei geht es weniger um den Wettbewerb zwischen verschiedenen Netzwerk-Systemen unterschiedlicher Hersteller; die Konkurrenz spielt sich vielmehr innerhalb der "Software-Familien" ab. Wenn Fachhändler beispielsweise bereits als "Premium Partner" Lotus zur Seite stehen, wirkt auf andere ambitionierte Händler der Druck, diesen höchsten Status ebenfalls zu erlangen. Denn große komplexe Projekte werden via Lotus nur an Partner weitergegeben, die ihre Leistungsfähigkeit unter Beweis gestellt haben und in der ,,Premium-Liga" spielen.

Ein Händler mit hoher Qualifizierung kann sich in der Regel besser auf dem Markt durchsetzen. In Ballungsgebieten wie dem Großraum München oder dem Gebiet Rhein-Main bieten sich den Kunden meist mehrere Händler an, die Produkte derselben Software-Firma vertreiben. Da kommt es schon mal darauf an, die Zertifikate offensiv als Werbemittel zu nutzen. So präsentiert EDM in Dortmund sämtliche Auszeichnungen auf Wandkalendern und in Prospekten.

Ahnlich verfährt die "Ergo Computersysteme GbR", Essen - von Novell autorisierter Fachhändler. "Ein Zertifikat spiegelt glaubwürdig die Kompetenz des Unternehmens wider, was unter Umständen die Kaufentscheidung beeinflußt", stellt Andrea Pape, Geschäftsführerin bei Ergo, fest. Neben Novell vertreibt Ergo auch Windows NT von Microsoft, allerdings ohne Zertifikat. Der Aufwand lohne sich für sie nicht, begründet Andrea Pape; Windows NT sei weniger lukrativ und habe längst nicht eine solche Marktstellung wie Novell.

Unterschiede beim Support

Anders & Rodewyk hingegen vermerken bei Neubeschaffungen eine große Nachfrage nach Windows NT. Mit Hilfe der Zertifizierung will das Unternehmen den Kunden kompetent zur Seite stehen. Die Unterstützung durch Microsoft hält sich allerdings in Grenzen: Lediglich zehn kostenlose Support-Calls pro Jahr gewährt der Branchenriese seinen autorisierten Händlern, weshalb Jens Rodewyk von einem "unterschiedlich partnerschaftlichen Verhalten" spricht: Bei Novell gibt es unbegrenzte Unterstützung ohne zusätzliche finanzielle Belastung. Vor einer zu engen Bindung an ein bestimmtes Unternehmen hat Rodewyk keine Angst. "Man ist keine Marionette des Herstellers", lautet sein Credo.

Dennoch wirkt insgesamt der Spielraum für freie Entscheidungen begrenzt. Die Komplexität der Software und Ratlosigkeit der Kunden verlangen gut geschulte Mitarbeiter, die zur Erlangung von Zertifikaten sowieso unabdingbar sind. Und das Logo "autorisierter Händler" birgt Anziehungskraft. Es scheint abzulaufen wie weiland beim Adel: Der Titel verpflichtet, bringt aber Privilegien mit sich. Nur hineingeboren wird in den Stand der Zertifizierten noch niemand. (Volker Dick)

Dieser Beitrag erschien zuerst in IT Marketing, Juni 1997.

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