Selbstmord in München

Berühmter Abmahn-Anwalt erschießt sich

22.02.2010
Einzelheiten über den verurteilten Rechtsanwalt von Gravenreuth, der sich das Leben genommen hat, als die Polizei in ein Haus eingedrungen ist, in dem er sich aufgehalten hat.

Der Münchner Rechtsanwalt Günther Freiherr von Gravenreuth (klick), der auf umstrittene Abmahnungen im IT-Bereich spezialisiert war, hat sich das Leben genommen. Der Anwalt hatte seinen Selbstmord am späten Abend des 21. Februar 2010 in einer E-Mail angekündigt ("letzter Gruß an die Runde"). Ein Empfänger hatte daraufhin die Polizei informiert, welche sich mit einem Sondereinsatzkommando auf den Weg zu von Gravenreuths Wohnung machte. Nachdem die Polizisten ihn weder in seiner Privatwohnung noch in seiner Kanzlei antrafen, machten sie sich aufgrund eines Hinweises auf den Weg zum Haus einer Studentenverbindung. Der Anwalt erschoss sich unmittelbar nachdem die Polizei in das Verbindungshaus eingedrungen war (Quelle: Münchner Merkur).

Der 61-jährige Jurist war im September 2008 unter anderem vom Landgericht Berlin wegen Betrugs zu 14 Monaten Haft verurteilt worden. Das Berliner Kammergericht verwarf im Februar 2009 die Revision des Rechtsanwalts. Von Gravenreuth hätte noch in diesem Monat eine Haftstrafe antreten sollen. Zuvor hatte er Strafaufschub beantragt, um ausreichend Zeit zu bekommen, seine Kanzlei in München aufzulösen.

Von Gravenreuth (gebürtig: Günter Werner Dörr) war als "Abmahn-Anwalt" zu trauriger Berühmheit in der deutschen IT-Szene gelangt. Er mahnte unter anderem Jugendliche ab, die in privaten Kleinanzeigen Computerspiele tauschen wollten. Dabei verwendete er einen üblen Trick: Er meldete sich bei den Jugendlichen als tauschwillige Schülerin "Tanja". Sobald die Angeschriebenen positiv auf deren Bitte um Software-Tausch reagierten, wurden sie wegen Verstoßes gegen das Urheberrecht abgemahnt, verschiedentlich auch angezeigt.

Ebenso ging er gegen Händler vor, deren Webseite wirkliche oder vermeintliche Fehler enthielten, ferner beispielsweise im Jahr 2002 gegen die damalige Suse Linux AG wegen angeblicher Markenrechte an einer Bildbearbeitungssoftware und gegen Linux-Guru Linus Torvalds.

Im Bundestagswahlkampf 2002 entdeckte der Rechtsanwalt eine neue Masche: Das CSU-Mitglied mahnte alle größeren Parteien außer seiner eigenen ab, weil sie E-Cards als unerwünschte Werbe-E-Mails versendeten. Wer nicht nachgab, wurde verklagt: Dem SPD-Kanzler Gerhard Schröder drohte von Gravenreuth sogar mit Ordnungshaft.

Die Tageszeitung taz erstattete schließlich Strafanzeige, als Gravenreuth mit falschen Angaben die Internet-Domain der taz pfänden ließ und versteigern lassen wollte, um eine – mittlerweile beglichenene – Forderung durchzusetzen. Wegen versuchten Betrugs und zusammen mit mehreren zur Bewährung ausgesetzten Strafen wegen Untreue und Urkundenfälschung (er hatte Gelder seiner Mandanten einbehalten) wurde er 2007 zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Bis zuletzt gelang es ihm, den Strafantritt zu verzögern.

In seiner Abschiedsmail hatte von Gravenreuth die "nicht ausgestandene Strafsache" als einen der Gründe für seinen beabsichtigten Freitod genannt. Letztlich seien aber schwere Beziehungsprobleme und der "Entzug des sozialen Umfelds" ausschlaggebend für seinen Schritt gewesen. Bei dem letzten Punkt dürfte vor allem der Ausschluss aus der renommierten katholischen Studentenverbindung Rhaetia gemeint gewesen sein (Quelle: Stadtmagazin München). Von Gravenreuth war dort stark verwurzelt. Mitglieder bei Rhaetia sind unter anderem der bayerische Kultusminister Dr. Ludwig Spaenle (CSU) und der Präsident des Bayerischen Anwaltverbandes, Anton Mertl. Zu den Ehrenmitgliedern zählt Papst Benedikt XVI.

Von Gravenreuth wurde am 12. Juli 1948 in München als Günter Werner Dörr geboren. Im Zuge der Liberalisierung des deutschen Namensrechtes änderte er am 24. Juni 1980 seinen Familiennamen und nahm den Geburtsnamen seiner Mutter an, die aus dem fränkischen Adelsgeschlecht Gravenreuth stammt (Quelle: Wikipedia). Juristisch betrachtet ist diese Namensänderung rückwirkend gültig. Vor dem Landgericht München scheiterte er später jedoch mit dem Versuch, die Nennung seines Geburtsnamens in einem Forum verbieten zu lassen. (tö)

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