Urlaub

Abhängen will gelernt sein

29.08.2006 von Judith-Maria Gillies
Arbeitspsychologen empfehlen Vielarbeitern mindestens eine längere Pause im Jahr. Doch damit tun sich die auf Flexibilität und Belastbarkeit getrimmten IT-Profis schwer. Wir zeigen, wie auch Computerfachleute sich eine Pause gönnen können.
Wichtig ist, einmal im Jahr länger als nur ein paar Tage Urlaub zu machen.
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Vier Wochen Südamerika! Von solchen ausschweifenden Fernreisen kann Hans-Christian Boos nur noch träumen. "Da hätte ich Angst, dass in der Zwischenzeit hier was anbrennt", so der Gründer und Vorstand des Frankfurter IT-Dienstleisters Arago 2006 im Gespräch mit der COMPUTERWOCHE. Doch trotz der Verantwortung für einen Laden mit damals 63 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von rund zehn Millionen Euro verhängte sich der Firmenchef keine generelle Urlaubssperre: "Zwei Wochen Sommerurlaub sind kein Problem." Gerade ist er im Schwarzwald unterwegs - zum Radfahren und Reiten.

Boos machte vor, was Experten schon lange predigen: "Urlaub kann sich jeder arbeitende Mensch leisten - vom angestellten Programmierer bis zum Selbständigen", sagt Katharina Dietze, Geschäftsführerin des Schwelmer Instituts für Beratung und Training in Unternehmen (IBT). Und Urlaub, so betonen Mediziner, ist alles andere als ein Luxus.

Zu wenig Urlaub wirkt sich auf die Motivation aus

"Wer nicht einmal im Jahr für mindestens drei zusammenhängende Wochen Urlaub macht, beutet seinen Körper aus. Und damit macht er sich langfristig seine eigene Motivation kaputt - auch für die Arbeit", warnt Gunter Frank, Allgemeinmediziner am Heidelberger Präventions- und Gesundheitsnetz.

Die wirtschaftliche Lage im Allgemeinen und die Lage auf dem Arbeitsmarkt im Besonderen hatte in den letzten Jahren dazu geführt, dass die Dauer der Urlaubsreisen immer kürzer wurde. Nun scheint zumindest die Bereitschaft wegzufahren, größer geworden zu sein.

Doch daran halten sich die Deutschen nicht. Durchschnittlich gingen sie 2005 gerade mal 13,3 Tage auf Reisen. 1980 waren es noch 18,2 Tage, wie die 22. Deutsche Tourismusanalyse des BAT-Freizeitforschungsinstituts in Hamburg aufzeigt. Fortschrittlichen Arbeitgebern liegt die Erholung ihrer Beschäftigten am Herzen. Das Schweizer Bankhaus UBS beispielsweise schickt seine Mitarbeiter pro Jahr in einen mindestens zweiwöchigen Zwangsurlaub. Selbst die Führungsriege bleibt von dieser Regelung nicht verschont.

Ein langer Urlaub als Glücksfall: Manch ein Arbeitnehmer tut sich damit schwer. So errechnete das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) der gewerkschaftlichen Hans-Böckler-Stiftung, dass allein 2004 rund 75 Millionen Urlaubstage verfallen sind. Im Schnitt ließ damit jeder Arbeitnehmer 2,2 Urlaubstage sausen. Führungskräfte taugen dabei nicht als Vorbild. Obwohl die Work-Life-Balance, also das Gleichgewicht zwischen Arbeit und Freizeit, mittlerweile zum Standardwortschatz in Management-Kreisen gehört, machen viele Betroffene oft genug bei sich selbst eine Ausnahme. Nach Erhebungen des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) verzichten insbesondere höher Qualifizierte auf die vorgeschriebene Urlaubszeit.

Die Zeichen erkennen, wenn man urlaubsreif ist

Wann es Zeit wird für Erholung ist leicht zu erkennen. "Vermehrte Alltagsfehler wie das Verbummeln von Schlüsseln sind Zeichen dafür, dass Auszeiten nötig sind", erklärt Sven Hollmann, wissenschaftlicher Berater am Institut für Arbeitsphysiologie an der Universität Dortmund, der seit elf Jahren zum Thema Arbeitsbelastung forscht. Weitere Signale fürs notwendige Herunterschalten: zunehmende Gereiztheit und Ungeduld.

Doch auch Abhängen will gelernt sein - zumal sich diese Fähigkeit in keiner Stellenbeschreibung findet. "Die Arbeitsrealität verlangt derzeit von Fach- und Führungskräften höchste zeitliche, örtliche und inhaltliche Flexibilität. Da haben viele schon Probleme, abends oder am Wochenende von ihrem Aktivitätsniveau runterzukommen", sagt Frank Meiners, Diplompsychologe bei der Deutschen Angestellten Krankenkasse (DAK). "Im Urlaub brauchen daher viele sehr lange, ehe sie abschalten können - wenn sie es überhaupt schaffen."

Management muss langfristig planen können

Im ersten Schritt gilt es dafür, die freien Tage in der Firma erst einmal durchzusetzen. Viele Chefs sehen sich dafür mit in der Verantwortung. "Als Unternehmer muss ich dafür sorgen, dass unsere Mitarbeiter ihren Urlaub nehmen. Gelingt das nicht, zeugt das von schlechtem Management", sagt Uwe May, Geschäftsführer der IT-Beratung Maihiro in Ismaning. Wie er seine 40 Leute dazu bringt, die Auszeiten trotz prall gefüllter Auftragsbücher wirklich zu nehmen? "Durch regelmäßige Erinnerung und langfristige Planung."

Besonders jüngere Leute, die noch das lockere Studentenleben gewöhnt sind, muss er manchmal zu ihrem Glück zwingen. "Für sie ist es schwierig, sich im Januar schon festzulegen, wann sie im Sommer wegfahren wollen", so May. Seine Planungs- und Erinnerungsstrategie geht auf. Manche Maihiro-Mitarbeiter schaffen es sogar, vier bis sechs Wochen am Stück zu fehlen - vorausgesetzt, die Auftragslage erlaubt das.

Das "Ich-will-weg-Programm"

"Eine gute Vorbereitung auf den Urlaub kann gut drei Tage Nachbearbeitungszeit sparen", empfiehlt Katharina Dietze, Geschäftsführerin des Schwelmer Instituts für Beratung und Training in Unternehmen (IBT). Hier ihr Programm für das entspannte Fehlen bei der Arbeit:

  • Früh genug ist ein Stellvertreter auszuwählen und zu briefen. Der Kollege sollte dem Vorgesetzten und dem gesamten Team bekannt sein.

  • Für E-Mails empfiehlt sich das Anlegen eines Unterordners. Nicht so wichtige Posteingänge können hierhin umgeleitet werden – beispielsweise Newsletter, Privatpost und cc-Mails. Auf diese Weise muss sich der Urlaubsrückkehrer nach drei Wochen Abwesenheit nicht wahllos durch mehrere 100 Mails klicken, sondern hat zuerst nur die wichtigsten auf dem Schirm.

  • Außerdem bietet es sich an, dass der Stellvertreter oder die Sekretärin einen Unterordner "In Abwesenheit bearbeitet" anlegt. Darin sind alle Mails samt Antwort des Stellvertreters aufbewahrt. So weiß der Rückkehrer gleich, was mit der bereits gelesenen Mail passiert ist.

  • Generell gilt: Keine Angst vor dem Zugriff des Stellvertreters auf das eigene Mail-Postfach. "Da herrscht weit verbreitetes Misstrauen", beobachtet Dietze. "Viele fürchten, dass der Stellvertreter in den privaten Mails schnüffelt oder auf Geheimes stößt." Das sei unbegründet. Dietze: "So viel Vertrauen sollte man schon haben."

  • Zeit zum Durchatmen gewinnt man bei der Rückkehr,indem man schon vor Urlaubsantritt einen halben Tag Puffer einbaut, also offiziell erst einen Tag später aus dem Urlaub zurückkehrt. "Dann wird man nicht gleich am ersten Tag mit Anfragen von außen bombardiert", erklärt Dietze.

  • Selbständige , die ihr Büro nicht ganz verwaisen lassen möchten, leiten ihre Anrufe und Mails auf Handy, private Internet-Adresse oder Blackberry um. Damit die Erholung nicht zu sehr unter der Arbeitsbelastung leidet, ist es ratsam, für die Beantwortung der Nachrichten jeweils eine Stunde morgens und abends zu reservieren.

Das ist nicht immer der Fall. Manchmal ist ans Fernbleiben einfach nicht zu denken - in heißen Projektphasen etwa oder beim Aufbau einer Firma. Auch damit lässt sich leben, besonders wenn die Arbeit Spaß macht. "Wer im Job immer wieder neue Herausforderungen und Erfolge erlebt, kann möglicherweise eine Zeitlang sehr ausgefüllt leben", erklärt Mediziner Frank. Allerdings sei es gefährlich, für das persönliche Wohlfühlen allein auf ein einziges Pferd wie den Job zu setzen. "Reinpowern kann also eine Zeitlang - etwa ein halbes Jahr - angebracht sein", so Frank. "Danach sollte man aber auch wieder andere Lebensinhalte in den Alltag einbauen."

Hans-Christian Boos, Arago: "Ich bezweifle, dass man in drei bis vier Wochen seinen Akku für das ganze Jahr aufladen kann."
Foto: privat

Das findet auch Arago-Chef Boos: "Ich bezweifle stark, dass man in drei oder vier Wochen seinen Akku fürs ganze Jahr aufladen kann." Deshalb sorgt der gelernte Informatiker jeden Tag für Entspannungszeiten. Morgens schaut er bei seinen Pferden vorbei, nach der Arbeit klettert er oder setzt sich aufs Fahrrad. "Wenn man zwei Stunden mit dem Rad durch die Landschaft fährt, kriegt man den Kopf richtig frei", erzählt er begeistert. Wer braucht da schon vier Wochen Südamerika?

Abschalten schwarz auf weiß

Wer viel arbeitet, hat zwischendurch Ruhe verdient. Hier eine kleine Auswahl an Büchern übers Relaxen.

  • Christoph Eichhorn: "Gut erholen – besser leben. Das Praxisbuch für den Alltag", Verlag Klett-Cotta, 2006, 14,50 Euro.

  • Lothar Seiwert: "Die Bären-Strategie: In der Ruhe liegt die Kraft", Ariston Verlag, 2005, 14,95 Euro.

  • Lois Levy: "Total relaxed. 30 andere Ideen zum Auftanken, Abschalten und Wohlfühlen, Moderne Verlagsgesellschaft Mvg, 2005, 7,90 Euro.

  • Lisette Thooft: "Zehn Gebote der inneren Ruhe. Entschleunigen und entspannen in der No-Time-Gesellschaft", Verlag Urachhaus, 2006, 14,50 Euro.

  • Louis L. Hay, John C. Taylor: "Die innere Ruhe finden", Ullstein Taschenbuch Verlag, 2004, 6,95 Euro.