Grundrecht hat Vorrang vor Eigentumsrecht

Arbeitgeber muss Werbe-Mails von ver.di dulden

28.08.2009
Dr. Christian Salzbrunn zur gewerkschaftlichen Mitgliederwerbung per E-Mail.

In Zeiten, in denen die deutschen Gewerkschaften einen erheblichen Mitgliederschwund verzeichnen müssen, erlangt für sie die Mitgliederwerbung eine besonders wichtige Rolle. Es ist dabei auch nachvollziehbar, dass sich die Gewerkschaften heutzutage moderner Kommunikationsmittel bedienen möchten, wie z. B. der Mitgliederwerbung per E-Mail.

Das BAG hatte in einem aktuellen Urteil vom 20.01.2009 einmal mehr darüber zu entscheiden, inwieweit Gewerkschaften unmittelbar in den Betrieben aktive Werbung um Mitglieder betreiben können. In dem zu entscheidenden Fall ging es um ein Dienstleistungsunternehmen auf dem Gebiet der Informationstechnologie, das an mehreren Standorten ca. 3.300 Mitarbeiter beschäftigt.

Anfang 2007 stellte das Unternehmen ein Standortkonzept auf, das die Schließung mehrere Standorte und auch die Versetzung von Arbeitnehmern vorsah. Obwohl bei dem Unternehmen die Nutzung der betrieblichen E-Mail zu privaten Zwecke verboten war, versandte die Gewerkschaft ver.di daraufhin an alle Mitarbeiter an deren dienstliche E-Mail Adresse elektronische Mitteilungen. In diesen E-Mails informierte sie die Mitarbeiter des Unternehmens über den gewerkschaftlichen Standpunkt zu den geplanten Maßnahmen, über ihre Verhandlungsziele und über die weitere Vorgehensweise. Ferner benannte sie die für die Gewerkschaft handelnden Personen und deren Kontaktmöglichkeiten.

Das Unternehmen erhob dagegen Klage und begehrte von der Gewerkschaft ver.di, es bei Androhung eines entsprechenden Ordnungsgeldes in Höhe von 250.000 Euro zu unterlassen, unaufgefordert E-Mails an die betrieblichen E-Mail-Adressen ihrer Mitarbeiter zu versenden. Es berief sich dabei auf das Eigentumsrecht aus Art. 14 Abs. 1 GG (Grundgesetz) und auf das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb aus Art. 2 Abs. 1 GG. Die Übersendung dieser E-Mails sei für das Unternehmen mit erheblichen Kosten verbunden gewesen.

Betätigungsfreiheit der Gewerkschaften geschützt

Das Arbeitsgericht Frankfurt und das Hessische Landesarbeitsgericht gaben der Klage zunächst statt, wohingegen das BAG die Klage des Unternehmens letztlich abwies. Die Richter des BAG befanden es für zulässig, wenn sich eine tarifzuständige Gewerkschaft an Arbeitnehmer über deren betriebliche E-Mail-Adressen mit Werbung und Information wendet. Dies gelte auch dann, wenn der Arbeitgeber den Gebrauch der E-Mail-Adressen zu privaten Zwecken zuvor untersagt habe.

Zu berücksichtigen sei nämlich die durch den Art. 9 Abs. 3 GG grundrechtlich geschützte Betätigungsfreiheit der Gewerkschaften, die auch die Entscheidung der Gewerkschaft stütze, potenzielle neue Mitglieder über einen solchen Weg anzusprechen. Dieses Recht habe auch Vorrang vor dem Eigentumsrecht des Arbeitgebers und auch vor seinem Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb, solange der E-Mail-Versand nicht zu nennenswerten oder spürbaren wirtschaftlichen Belastungen führe.

Des Weiteren könne sich das Unternehmen gegenüber der Gewerkschaft zur Begründung eines solchen Unterlassungsanspruches auch nicht auf das Persönlichkeitsrecht der jeweiligen Mitarbeiter stützen (BAG, Urteil vom 20.01.2009, Az.: 1 AZR 515/08).

Da das betreffende Unternehmen im Klageverfahren keine konkreten Störungen des Betriebsablaufs und auch keine messbaren wirtschaftlichen Nachteile vorgetragen hatte, muss es die Versendung der gewerkschaftlichen E-Mails nun erst einmal dulden.

Der Autor Dr. Christian Salzbrunn ist Rechtsanwalt.

Kontakt:

Alt-Pempelfort 3, 40211 Düsseldorf, Tel.: 0211 1752089-0, E-Mail: info@ra-salzbrunn.de, Internet: www.ra-salzbrunn.de