CW-Gespräch mit Mobility-Experte Tim Schertgens

Arbeitsplatz der Zukunft?

02.01.2015 von Bernd Seidel
Mobilität und Digitalisierung verändern die Arbeitswelt. Neue Arbeitsplatzkonzepte sind dafür nötig - und sie fordern die IT.

Mobil, persönlich und flexibel soll der Arbeitsplatz sein und private Geräte soll er unterstützen. Nur die passenden Tools auszuwählen, reicht nicht aus, um den Future Workplace zu managen, meint Tim Schertgens, Mobility-Experte der Direkt Gruppe aus Hamburg.

CW: Was kennzeichnet einen "Workplace of the Future"?

Schertgens: So viel vorweg: Den Future Workplace per se gibt es nicht. Das wäre zu einfach. Geräteausstattung, Sicherheitsniveau, Anzahl der Anwendungen, Apps und wie viel Mobilität nötig ist, hängt von der Art der Tätigkeit und den damit verbundenen Geschäftsprozessen ab.

"Ein Selbst-Management ist nicht sinnvoll, da viele Benutzer nicht ausreichend für den sicheren Umgang mit Daten sensibilisiert sind." Tim Schertgens ist Senior Business Consultant und verantwortlich für den Bereich Business Development Future Workplace bei der Direkt Gruppe.
Foto: Direkt Gruppe

CW: Wie sieht denn Ihr Arbeitsplatz aus?

Schertgens: Ich nutze die vollen Möglichkeiten eines mobilen Arbeitsplatzes. Dazu gehören ein Slider-Notebook mit Touchscreen unter Windows 8.1, ein iPad Mini sowie ein Android Smartphone. Also mehr oder weniger die ganze Palette an Angeboten. Als Berater bin ich viel unterwegs, brauche Daten offline und greife auf Daten in meiner Firma zu, kann über das Notebook und Tablet auf Kundenumgebungen zugreifen oder dort komplett auf virtuellen Desktops oder über virtuelle Apps arbeiten. Und das unabhängig von Zeit und Ort. Wobei da auch der Knackpunkt liegt: Der Job und der Grad der Mobilität müssen zueinanderpassen. Wenn das der Fall ist, ergeben sich große Potenziale und eine enorme Flexibilität. Das ist für mich der Future Workplace.

Mobility-Dschungel

Verwaltung der mobilen Geräte.
Verwaltung der auf den mobilen Geräten zugänglichen Unternehmensapplikationen.
Administration der mobil genutzten Unternehmensdaten und -informationen bis hin zur mobilen Business Intelligence (BI).
Mobile Security mit speziellen Sicherheitsfunktionen.

CW: Managen Sie die Devices selbst?

Schertgens: Ja. Meiner Meinung nach kann nur, wer die Praxis kennt, dies auch effizient und gut beim Kunden als Berater einsetzen.

CW: Wäre das Selbst-Management der Geräte durch die Mitarbeiter eine probate Lösung für Unternehmen?

Schertgens: Aus meiner Sicht nein! Hat man eine Mobile-Device-Management-(MDM-)Lösung, kann man zwar ein User-Self-Service-Portal anbieten, damit ein Mitarbeiter sein Gerät selbst ins Management aufnehmen und konfigurieren kann. Dies entlastet zumindest die IT-Mitarbeiter. Aber ein Selbst-Management ist nicht sinnvoll, da viele Benutzer nicht ausreichend für den sicheren Umgang mit Daten sensibilisiert sind. Apps werden häufig installiert, ohne darauf zu achten, worauf sie zugreifen, welche Daten genutzt werden und ob die Daten weitergegeben werden dürfen. Früher war es äußerst schwierig, an Nutzerdaten zu kommen, heutzutage sind die Benutzer damit sehr freizügig.

CW: Zum Future Workplace gehören auch Geräte, die der User privat nutzt, oder er bringt seine eigenen Tools mit. Doch Risiken durch Bring your own Device (ByoD) sind heute technisch nicht mehr in den Griff zu kriegen, sagen Analysten von Gartner. Einzige mögliche Lösung sei, den Mitarbeitern mehr zu vertrauen. Klingt nach Kapitulation, oder?

Schertgens: Ich war nie der Überzeugung, dass ByoD eine Strategie ist, die es in Deutschland zu nennenswerten Ergebnissen bringen könnte. Das bestätigen übrigens auch aktuelle Studien. Die Rechtslage bleibt immer in einer Grauzone, ein Support von beliebigen Endgeräten ist kaum realisierbar. Es müssen genaueste Trennungen erfolgen, nicht nur der Daten auf den Geräten, sondern auch in den Richtlinien, die den Umgang mit den Geräten regeln. Steuerrechtliche und lizenzrechtliche Fragen sind mit den jeweiligen Experten zu erörtern. Und letztendlich müssen immer wieder Diskussionen mit Mitarbeitern geführt werden, die sich nicht das Gerät "ausspähen" lassen wollen oder die Unterstützung benötigen, weil das teure Smartphone hinuntergefallen ist und kostspielig repariert oder gar ersetzt werden muss.

So statten Firmen ihre Mitarbeiter mit IT aus

Quelle: Bitkom, Stand 2013

CW: Wie sicher ist denn Ihr mobiler Arbeitsplatz?

Schertgens: Vertrauen, wie Gartner es anmahnt, ist das eine. Sicherheit benötigt aber auch Technik, Tools und Vorgaben. Dazu gehören etwa Laufwerksverschlüsselung, Antivirensoftware und komplexe Passworte auf den mobilen Endgeräten. Da ich mein privates Smartphone geschäftlich nutze, zählt auch die Trennung der Unternehmens- und privaten Daten durch den Einsatz eines weiteren verschlüsselten Containers dazu.

CW: Wie sollten IT-Verantwortlichen vorgehen, um für ihr Unternehmen das richtige Maß an Sicherheit zu erhalten?

Schertgens: Eigentlich gibt es keine wirklich neuen Ansätze und Strategien. Sicherheit hatte immer schon etwas mit Kosten zu tun. Es gibt genug Lösungen, um Daten erst gar nicht auf unsichere Endgeräte gelangen zu lassen, beispielsweise die App- oder Desktop-Virtualisierung. Hierbei bleiben die Daten immer im Rechenzentrum des Kunden. Nachteil ist, dass man dazu online sein muss, mit einer zumindest annehmbaren UMTS-Verbindung. Ist dies nicht möglich, ist es ratsam - wenn keine Standardsoftware passt -, auf Individualsoftware oder Apps zurückzugreifen. Diese Entwicklung wird aber teurer, je mehr Sicherheit und Verschlüsselung dort eingebaut wird.

CW: Laut einer Studie von PAC haben etwa 60 Prozent der Unternehmen keine langfristige Mobility-Strategie. Und nur 15 Prozent haben schon an der Sicherheit von mobilen Anwendungen und Daten gearbeitet. Hier gibt es massiven Nachholbedarf ...

Schertgens: Die Herausforderung ist meist, dass die Unternehmen die Komplexität einer Enterprise-Mobility-Strategie unterschätzen.

CW: Und sie daher erst gar nicht angehen?

Schertgens: Je mehr man sich damit beschäftigt, desto klarer zeichnet sich ab, dass, vergleicht man es mit dem menschlichen Körper, vom kleinen Zeh bis zum Ohrläppchen alle Aspekte in einer Firma angefasst und neu ausgerichtet werden müssen. Dieser umfassende Ansatz fehlt leider meist in den vorliegenden Mobility-Strategien. Der Ruf nach Tools wird schnell laut, leider oft viel zu früh.

CW: Wer im Unternehmen sollte die Mobility-Strategie entwerfen?

Schertgens: Häufig sind es heute die IT-Abteilungen. Wenn es gut läuft, auch mit Einflüssen aus der Geschäftsleitung. Aber es gibt wesentlich mehr Interessengruppen: Fachabteilungen, "normale" und "VIP"-User, Datenschützer, Betriebsräte etc. Die technischen Lösungen sind eher der kleinste Anteil. Ein Geräte-Management zu installieren und organisatorisch und prozessual aufzubauen, ist Peanuts, wenn man bedenkt, dass die neuen Technologien aus der privaten Nutzung extreme Einflüsse auf die Unternehmenskultur haben. Kurz: Alle sind gefordert!

CW: Wie sehen denn Best-Practice-Ansätze aus?

Schertgens: Enterprise Mobility muss, so abgedroschen es klingen mag, umfassend betrachtet werden. Dazu sollten alle Key Player in strukturierten Workshops zusammenarbeiten. Interviews mit Mitarbeitern sollten geführt und daraus eine Mobility-Strategie abgeleitet werden. Dazu gehört auch eine Mobility-Roadmap, sprich die tatsächlichen Maßnahmenpakete, die nötig sind, um die gesetzten Ziele zu erreichen. Dies geschieht idealerweise, bevor technische Lösungen eingeführt werden, was im Moment aber eher selten zu finden ist.

CW: Was ist denn für Unternehmen das Gefährlichste am Future Workplace?

Schertgens: Das Gefährliche für Unternehmen ist, die Zeichen der Zeit nicht zu erkennen. Die jungen Leute kennen und lieben diese Welt mit ihren technologischen Gegebenheiten. Sie sind seit ihrer Kindheit damit vertraut und erwarten das auch von ihren Arbeitgebern. Kann ich als Unternehmen die Erwartungen nicht erfüllen, handle ich mir einen deutlichen Wettbewerbsnachteil gegenüber innovativeren Firmen ein. Kurz: Für Unternehmen, die hier nicht auf dem neuesten Stand sind, wird es schwieriger, Mitarbeiter zu rekrutieren und zu halten.

CW: Okay - erst die Strategie und dann die Roadmap. Wo liegen die Stolpersteine bei der Einführung von Enterprise-Mobility-Management (EMM) und MDM-Tools?

Schertgens: MDM ist eigentlich einfach. Wenn ich mir Gedanken gemacht habe, was ich absichern möchte und welche Plattform zu meinem Unternehmen passt, ist ein Proof of Concept mit zwei bis drei MDM-Herstellern sinnvoll. Dabei sollte man neben den Herstellern, die bei Marktforschern als führend gelistet sind, immer auch die Lösung eines deutschen Anbieters testen, beispielsweise von Datomo. Denn wer sich nicht erst seit der NSA-Affäre mit dem Patriot Act und den US-Behörden beschäftigt, weiß, dass die Sicherheit der Daten und Systeme eher fragwürdig ist.

CW: Wann sollte man die Finger vom Future Workplace lassen?

Schertgens: Generell kann ich die Finger nicht mehr davon lassen. Was tief im privaten Leben der Mitarbeiter verankert ist, muss sich früher oder später auch im Arbeitsalltag wiederfinden.