Allied Telesis

ATI kehrt zu Enterprise und Channel zurück

07.02.2008
Nach zweieinhalb Jahren hat Netzwerker Allied Telesis (ATI) seine kostspielige NSP-Strategie mittels Vollbremsung gestoppt. Erste Priorität haben erneut der Channel und das Enterprise-Geschäft.

Von Wolfgang Leierseder

"Wir haben das schnelle Vorpreschen gestoppt." ATI-Besitzer Takayoshi Oshima zum NSP-Geschäft.

Nach zweieinhalb Jahren hat Netzwerker Allied Telesis (ATI) seine kostspielige NSP-Strategie (Network Service Provider) mittels Vollbremsung gestoppt. Die Carrier werden wieder in die zweite Reihe gestellt. Erste Priorität haben erneut der Channel und das Enterprise-Geschäft.

Wann sich das NSP-Debakel haus-intern abzeichnete, will Netzwerker Allied Telesis nicht sagen. Takayoshi Oshima, Gründer und Präsident des japanischen Unternehmens, erklärte dazu gegenüber ChannelPartner: "Wir haben uns zu sehr auf dieses Thema eingelassen. Vieles war uns unbekannt. Daraus haben wir gelernt."

Beobachter des Unternehmens sind sich allerdings sicher, dass spätestens Mitte vorigen Jahres in dem Unternehmen bekannt war, dass die Strategie, sich vor allem dem NSP-Geschäft zu widmen, nicht zu dem gewünschten schnellen Erfolg geführt hatte. Die Umsätze des Unternehmens stagnierten, die stolze Umsatzprognose des Jahres 2006, binnen zwei Jahren den Umsatz von 500 auf 750 Millionen Dollar zu steigern, erwies sich als falsch. Dazu Oshima: "Die Umsätze mit den Carriern waren unvorhersehbar."

Im Klartext: Es blieb bei den 500 Millionen, und das Unternehmen musste nicht nur weltweit Kosten einsparen, sondern sich auch genau überlegen, mit welcher Strategie es den verirrten Netzwerk-Karren wieder auf die Hauptstraße zurückbringen könnte. "Es gab viele Diskussionen", versichert ein Beobachter.

An deren Ende ATI sich dazu entschloss, den vernachlässigten Channel und das Unternehmensgeschäft wieder an die erste Stelle zu rücken. Das ging nicht ohne spektakuläre Wechsel im Management vor sich: Maik Lankau, weltweit verantwortlich für den Vertrieb und führend bei der NSP-Strategie, sowie Lankaus EMEA-Stellvertreter Francesco Stramezzi wurden Mitte vorigen Jahres entmachtet; in Deutschland verließen Geschäftsführer Markus Otto und nahezu alle NSP-Verantwortlichen das Unternehmen. "Es braucht einfach mehr Zeit, um NSP-Kunden zu finden und mit ihnen stabile Geschäfte zu machen", blickte Oshima, dem firmenintern nachgesagt wird, er kümmere sich in seinem Unternehmen um alles, zurück

Fokus auf den Channel
Die ausgedünnten Channel-Mannschaften aber können nach dem Richtungswechsel aufatmen. Dem neuen EMEA-Chef Stefano Verginelli zufolge heißt nämlich die vorrangige Aufgabe der Teams, die in Europa wieder aufgestockt werden sollen, "das Vertrauen der Enterprise-Kunden wieder zurückzugewinnen".

"Wir müssen das Vertrauen der Enterprise-Kunden zurückgewinnen." Stefano Verginelli, neuer EMEA-Chef bei ATI.



Verginelli - von dem Oshima sagte, er sei derjenige, der "ein Team führen kann", den Umkehrschluss aber, dass dazu auch Teams notwendig seien, mit einem Lächeln quittierte - erklärte gegenüber ChannelPartner: "Um das Enterprise-Geschäft wieder ins Zentrum zu rücken, müssen wir zum Kunden gehen." Das ist angesichts des zweistelligen Umsatzrückganges im Stammgeschäft Switches und Router, aber auch Netzwerkkarten, dringend notwendig.

So will Verginelli beispielsweise die in Deutschland auf drei Leute ausgedünnte Channel-Mannschaft auf fünf Leute erweitern. Das wird zwar eine Weile dauern, sinnierte Dietmar Kirsch, Marketing- und Channel-Chef in Deutschland, doch auch er schien guten Mutes zu sein. "Wir haben sehr loyale Partner", versicherte er.

Die braucht er auch, denn das wieder zu alten Ehren gekommene Segment Enterprise - worunter ATI das Netzwerkgeschäft mit kleinen und großen Kunden versteht - steht weltweit für zirka 60 Prozent des Gesamtumsatzes, in Europa deutlich mehr. Und dieses Geschäft, das ATI mit einer rasanten Produkterweiterung begleiten will, wird "zu 99 Prozent" (Verginelli) über den indirekten Kanal abgewickelt.

Einziger Trost für die deutlich kleiner gewordenen NSP-Mannschaften, die nach wie vor in einer eigenen Business-Einheit, in Europa etwa unter der Führung von Kenneth Torp, agieren: Sie werden weiterhin die Speerspitze sein, mit der ATI als Ausrüster von Service-Providern gegen Konkurrenten wie Cisco operieren wird - aber eben geduldig, gemäß dem Motto: "Wir müssen auch warten können" (Oshima).



Drei Fragen an Takayoshi Oshima

Am Rande der europäischen Pressekonferenz in Portugal sprach ChannelPartner mit Takayoshi Oshima, Gründer und Eigner von Allied Telesis.

? Muss man das europäische NSP-Geschäft als Fehlschlag bezeichnen?
Takayoshi Oshima: Wir haben uns zweifellos zu sehr auf dieses Geschäft festgelegt und dabei nicht beachtet, dass NSP-Projekte viel länger dauern und mehr Ressourcen binden, als wir uns das vorgestellt haben.

? Heißt das, Sie ändern durch die Refokussierung auf das Enterprise-Geschäft Ihre TK-Strategie?

Oshima: Nein, aber wir haben das bisherige schnelle Vorpreschen gestoppt. Wir müssen lernen, uns in diesem Segment an unseren Entwicklungsmöglichkeiten zu orientieren. Wenn zum Beispiel ein Service Provider von uns in einem Projekt ständige Softwareänderungen verlangt, müssen wir dem nachkommen. Aber wir können nicht zu viele derartige Projekte gleichzeitig realisieren. Wir müssen in diesem Geschäft geduldig sein und kleinere Schritte machen.

?ATI hat, im Gegensatz zu den vorigen Jahren, kein Wort zu WLANs, WiMax und weiteren Funknetztechnologien verloren. Warum?

Oshima: Wir beschäftigen allein 40 Ingenieure und Entwickler zu Funknetzen. Aber unsere Geschäftserfahrung zeigt: Zuerst kommt das Kabel, dann erst das Netz. Wir sind eine klassische Ethernet-Company, seit 20 Jahren, und bleiben dabei. Wir müssen auch hier lernen, unsere Möglichkeiten mit den Anforderungen der Kunden in Gleichklang zu bringen. Wirklich voll ausgebaute Funknetze mit allen Services werden wir in vielleicht fünf Jahren erleben.



Kommentar des Redakteurs:
Allied Telesis: der Aufprall auf der Wirklichkeit.

Als Netzwerker Allied Telesis (ATI) vor mehr als zwei Jahren erklärte, er werde sein traditionelles Netzkomponentengeschäft künftig stiefmütterlich behandeln, dagegen sein neues Geschäft mit NSPs (Netzwerk-Service-Provider) so stark wie möglich forcieren, wunderte sich so mancher Beobachter des Geschehens. Das Geschäft mit NSPs, erkennbar an dem Namen "Triple play"- Video, Sprache und Daten über eine IP-Verbindung -, machte damals erste Gehversuche, und wer diesen beiwohnte, kam um die Annahme nicht umhin, es werde noch viel Wasser flussabwärts fließen, bis die Gehversuche gelingen.
Doch ATIs neues Management wollte davon wenig wissen. Beflügelt von einigen japanischen Projekten glaubte es, sich sehr früh als Triple-Play-Anbieter in Szene setzen zu können. Man wollte an diese Geschäfte glauben - entsprechend verpasste sich ATI einen neuen Look und eine NSP-lastige Organisation.
Derweil sich die Beobachter fragten, welche Berater ATI zu so einer waghalsigen, kaum marktkonformen Strategie geraten haben mochten, sorgte das Unternehmen mit Triple-play-Jubelmeldungen für eine günstige Stimmung.
Zwar widerlegten die Umsatzzahlen die Stimmung, und das traditionelle Netzwerkkomponentengeschäft verlor deutlich an Wachstum. Doch ATI machte von seinem Recht auf Triple-play-Selbstdarstellung Gebrauch. Erst als die Zahlen unübersehbar schlecht waren, zog das Unternehmen die Notbremse. Und kehrt jetzt fast reumütig zum angestammten Geschäft zurück.
Was ATI von seinem Ausflug gelernt hat, ist Folgendes: Man kann den Markt nicht lehren, wohin er gehen soll. Nur indem man mit ihm geht, kann man neue Möglichkeiten auftun. Das ist alles.