Auslaufmodell fester Arbeitsplatz

06.11.2006 von Ina Hönicke
Globalisierung, Mobilität und virtuelle Projektteams heißen die neuen Zauberformeln. Im digitalen Leben sind nicht mehr der Standort eines Unternehmens oder eines Menschen, sondern Handy, Modem und Laptop gefragt. Eine neue Spezies von IT-Profis erobert die Arbeitswelt.
Immer unterwegs: Vom Mitarbeiter der Zukunft wird ein hohes Maß an Mobilität erwartet.

Anno 2008: Zwei Wochen lang hat Siemens-Manager Erwin Schnell Meer und Palmen genossen, jetzt beginnt er sich zu langweilen. Er greift in die Tasche, holt seinen Multikommunikator heraus und wählt sich in das Firmennetz von Siemens ein. Über eine Videobrille schaut sich Schnell die neuesten Projektausschreibungen an. Das Projekt 3812 interessiert ihn. Also bewirbt sich er um die Leitung des Projekts. Telefonate und E-Mails jagen zwischen Urlaubsort und München hin und her, nach drei Tagen hat er den Zuschlag. Aber Schnell steigt nicht etwa in den nächsten Flieger, sondern bleibt in aller Ruhe dort, wo er ist. Zunächst einmal sichtet er die Skill-Datenbank von Siemens. Der Münchener Manager sucht nun diejenigen Kollegen, die ihm als am besten geeignet erscheinen, für das Projekt heraus und verhandelt mit ihnen über den mobilen Videocomputer. Spezialisten, die an verschiedenen Orten dieser Welt zu Hause sind, finden sich so innerhalb kürzester Zeit zu einem virtuellen Team zusammen.

Hier lesen Sie ...

  • ... warum der feste Arbeitsplatz zum Auslaufmodell wird;

  • warum die Zukunft virtuellen Teams gehört;

  • warum Mitarbeiter flexible Arbeitsformen mehr schätzen als Manager.

Als Siemens diesen Film vor 15 Jahren als Zukunftsvision des modernen Arbeitens vorführte, ahnte wohl keiner, wie schnell der Schritt von der Fiktion zur Realität gemacht sein würde. Die zunehmende Globalisierung sowie der verstärkte Einsatz von Informationstechnologie haben die Art und Weise, wie die Menschen miteinander kommunizieren und arbeiten, dramatisch verändert - und werden es noch weiter tun.

"Der feste Arbeitsplatz wird zum Auslaufmodell, kein Berufsbild wird langfristig mehr sicher und stabil sein", erklärt der amerikanische Ökonom Richard M. Locke vom Massachusetts Institute of Technology (MIT). Im digitalen Leben würden mobile Computerexperten zunehmend die Arbeitswelt beherrschen. Solche Prognosen sind nicht nur jenseits des großen Teichs zu hören. "Der goldene Kugelschreiber zum 25-jährigen Jubiläum gehört der Vergangenheit an", davon ist auch der ehemalige Ministerpräsident von Baden-Württemberg und jetzige Wirtschaftsberater Lothar Späth überzeugt. Sein Fazit: "Mit den neuen Arbeitsformen wie Telearbeit, Zeitarbeit oder Freelancing werden sich alle in diesem Land auseinander setzen müssen. Diejenigen, die sich an traditionelle Werte klammern, werden es spätestens dann tun, wenn sie sich einen neuen Job suchen müssen."

Während in den USA bereits viele Millionen Menschen, die so genannten Telecommuter, zu Hause am Computer arbeiten, hat sich Telearbeit in Deutschland in diesem Ausmaß noch nicht durchgesetzt - dafür aber andere Arbeitsformen. Die Zukunft gehört, darin sind sich die Arbeitsmarktexperten einig, den globalen und virtuellen Teams. Globale Teams entstehen, weil die Unternehmen und Forschungsinstitute aufgrund der immer kürzer werdenden Entwicklungszeiten die Softwaretätigkeiten rund um den Erdball wandern lassen. Wenn beispielsweise die Entwicklergruppe eines IT-Unternehmens in London Feierabend macht, werden die erzielten Zwischenergebnisse via Satellit nach Los Angeles übermittelt. Dort beginnt für einen anderen Teil des Teams dann gerade ein neuer Arbeitstag.

In drei Tagen Umzug nach Estland

Global arbeiten heißt auch, mobil zu sein, sich - wenn es sein muss - blitzschnell für das andere Ende der Welt zu entscheiden. Ein Beispiel ist Karlheinz Wurm, der innerhalb von drei Tagen aus den USA nach Estland umsiedelte. Als die IT-Firma Skype ihm einen Job als Softwareentwickler in Tallinn anbot, schaute er erst einmal im Atlas nach, wo das überhaupt liegt. Der Diplominformatiker hatte zum damaligen Zeitpunkt gerade sein Studium an der University of Connecticut beendet und sich bei einer Reihe von IT-Unternehmen beworben. Skype, ein Unternehmen, das den Menschen weltweit kostenloses Telefonieren sowie Chats und Dateiübertragungen anbietet, antwortete als einzige Firma innerhalb von 24 Stunden. In diesem Tempo ging es weiter. Der Softwarespezialist musste online eine Reihe von Tests bestehen und wurde ebenfalls online von seinen künftigen Chefs interviewt. Drei Tage nach der Zusage saß er bereits im Flugzeug gen Osten. Wurm arbeitet nun seit Juli 2005 bei Skype Tallinn und ist überzeugt, dass "Mobilität die beste Voraussetzung für interessante Jobs im IT-Bereich ist".

Persönliches Gespräch bleibt wichtig

Neben globalen Teams erobern virtuelle Projektgruppen ebenfalls verstärkt die neue Arbeitswelt. Diese Gruppen werden für bestimmte Projekte zusammengestellt und nach Beendigung wieder aufgelöst. Damit die Zusammenarbeit klappt, kommen hier synchrone Medien wie Videokonferenzen und -telefonie auf der einen Seite und asynchrone wie E-Mail, Workflow oder verteilte Datenbanken auf der anderen Seite zum Einsatz. Internet, Intranet und Groupware liefern die Voraussetzung. Bei einer Reihe von Unternehmen gehört virtuelle Projektarbeit schon längst zum Alltag. Thorsten Lenk beispielsweise, Vorstandsmitglied beim Darmstädter IT-Unternehmen 5 Point, ist schon fast ein alter Hase: "Virtuelles Arbeiten muss wie früher das Telefonieren geübt werden." Ganz besonders wichtig bleibe jedoch das persönliche Treffen der virtuellen Mitarbeiter zum Start des Projekts, in dem sich die Teilnehmer kennen lernen können.

Stefanie Arnold, Capgemini: 'Die Zusammenarbeit in virtuellen Teams erfordert Disziplin und effektives Kommunizieren.'

Stefanie Arnold, Leiterin des Change-Management-Beratungsteams bei Capgemini, lebt ein typisch elektronisches Nomadenleben. Drei Tage in der Woche arbeitet sie bei einem Kunden in der Nähe von Köln, die restlichen zwei Tage reist sie von einem Kunden zum nächsten, um Workshops zu moderieren, Angebote zu unterbreiten oder sich mit ihren Kollegen abzustimmen. "Für die erfolgreiche Arbeit in virtuellen Teams ist es entscheidend, effektiv virtuell zu kommunizieren und ein angepasstes Projekt-Management anzuwenden. Denn diese Art von Zusammenarbeit erfordert Disziplin." Unternehmen, bei denen virtuelle Projekte gang und gäbe sind, verfügten über ein Open-Resource-Programm verfügen, in dem diejenigen Führungskräfte und Mitarbeiter gefördert würden, die für virtuelle Teams in Frage kämen. Vorgabe für die Beteiligten sei es, alle vier Jahre ihren Platz im Unternehmen zu wechseln und nur jeweils ein Jahr in einem Projekt mitzuarbeiten. Arnold: "Diese Experten sind flexibel und fit, wenn es darum geht, in andere Projekte oder auch Länder zu wechseln - kurzum, sie sind die virtuellen Mitarbeiter der Zukunft."

Skeptische Manager

Interessanterweise scheinen viele Beschäftigte die Möglichkeit, zum Arbeiten nicht an ihrem Schreibtisch sitzen zu müssen, weitaus positiver zu sehen als ihre Chefs. Laut einer vom Softwareanbieter Citrix beauftragten europaweiten Studie von Coleman Parkes nutzen Manager die mobile IT deutlich weniger als ihre Mitarbeiter. Aber nicht nur das: Im Gegensatz zu den befragten Beschäftigten sind die Entscheider vom Nutzen des mobilen Arbeitens noch nicht überzeugt. So glauben nur 39 Prozent der Führungskräfte, dass mobiles Arbeiten Effektivität und Effizienz deutlich steigert. Durch den Einsatz mobiler Technik erwartet nur jeder Dritte zum Beispiel kürzere Antwortzeiten gegenüber Kunden. Die restliche Belegschaft gibt dem mobilen Arbeiten wesentlich bessere Noten. Zwei Drittel der Befragten glauben an die Steigerung der Produktivität, wenn die Angestellten auch von unterwegs aus arbeiten können.

Dabei ist der Einsatz mobiler Technik hierzulande im europäischen Vergleich durchaus weit fortgeschritten: In jedem zweiten Unternehmen arbeiten 20 Prozent der Belegschaft zumindest gelegentlich auch unterwegs. In Zukunft werden es mehr sein, davon sind Arbeitsmarktexperten überzeugt. Mit mobilen Endgeräten wie Notebooks, Smartphones und Handhelds können Nutzer von nahezu überall auf Informationen zugreifen, die sie für ihre Arbeit benötigen. Doch der Zugriff von außen auf Daten des Unternehmensnetzes stellt auch immer ein Sicherheitsrisiko dar. Christian Boos, Geschäftsführer des Frankfurter Sicherheitsdienstleisters Arago: "Um diese Risiken zu reduzieren, braucht jedes Unternehmen, das virtuell arbeitet, ganz spezielle Sicherheitsmechanismen."

Damit das mobile Arbeiten insgesamt noch leichter wird, vereinbarten die Deutsche Bahn und T-Mobile ihre Zusammenarbeit bei dem Projekt "Railnet". Mit WLAN-fähigen mobilen Endgeräten sollen Reisende schon ab diesem Jahr in ICE-Zügen im Internet surfen. Auch der Handy-Empfang, der bislang des Öfteren gestört wird, soll verbessert werden. Die Flughäfen indes sind zum Teil schon mit so genannten WLAN-Hotspots ausgestattet. Dementsprechend werden wohl immer mehr Männer im dunklen Anzug in einem Cafe zu sehen sein, die ihre E-Mails checken, mithilfe mobiler Technik die Wartezeit am Flughafen für die Internet-Recherche nutzen oder in der U-Bahn ihrer Präsentation noch den letzten Schliff geben. (am)